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Mum is not alright

Die Serie »Maid« zeigt Erfahrungen einer weißen Unterklassenmutter und Familientraumata im spätkapitalistischen Patriarchat

Von David Ernesto García Doell

In »Maid«, der neuen Miniserie von Netflix, kämpft die Protagonistin Alex (Margaret Qualley) gegen patriarchale Gewalt, staatliche Bürokratie und Armut. Es geht dabei um die Dekonstruktion des (männlich-weißen) American Dream, dem Versprechen also, dass durch harte Arbeit Aufstieg und ein glückliches Leben im Kapitalismus möglich seien. Im Verlauf der Handlung wird stattdessen klar, wie viel Privilegien und schieres Glück es für Unterklassenmütter braucht, um an den Verhältnissen nicht zugrunde zu gehen.

Die Serie basiert auf Stephanie Lands Autobiographie »Maid: Hard Work, Low Pay, and a Mother’s Will to Survive« (2019), die mit den Worten beginnt: »Meine Tochter lernte im Obdachlosenheim das Laufen«. Land, die selbst aus der sogenannten Mittelklasse ins Lumpenproletariat abgestiegen war, erhielt Morddrohungen dafür, dass sie ihre Tochter mit Essensmarken ernährt und mit ihr in Obdachlosenunterkünften übernachtet hatte. Denn Schuld sei letztlich die alleinerziehende und verlassene Mutter, nicht die kapitalistischen und patriarchalen Verhältnisse.

Während Feuilleton und Linke derzeit insbesondere über das maskulinistische Dystopie-Spektakel »Squid Game« debattieren, gibt es mit »Maid« eine Serie, die es schafft, die Hermetik patriarchaler Gewalt und ihrer Deckung darzustellen. Sie knüpft an Elemente eines magischen Realismus in der Weise an, wie Trauma, Traumaaufarbeitung und Unterklassenperspektive in der Protagonistin passieren. Das ständige Ticken des virtuellen Kontostandes auf dem Bildschirm macht die Armutserfahrung allgegenwärtig. Das abstrakte bürokratische Monster begegnet Alex immer wieder in Form von Formularen und Personen, deren Chauvinismus sie deklassiert und imaginiert klassistisch beleidigt.

Einschüchternde Institutionen der Klassengesellschaft

»Maid« beginnt mit Alex’ nächtlicher Flucht. Sie wartet, bis ihr Ehemann/ Boyfriend Sean (Nick Robinson) eingeschlafen ist, packt einen Rucksack und nimmt die zweijährige Tochter Maddy mit aus der Trailer-Wohnung. Rückblenden zeigen, dass Splitter einer von Sean nach ihnen geworfenen Vase in Maddys Haar der letzte Tropfen in einem Fass voller sexistischen Missbrauchs sind, den Alex nicht mehr ertragen kann. Alex und Maddy schlafen zunächst in ihrem Auto. Die erste Erfahrung von Wohnungslosigkeit endet abrupt, als sie von einem Polizisten geweckt werden. Obwohl es ein öffentlicher Ort ist, dürfe sie nicht dort schlafen. Sie landet schließlich beim Sozialamt, wo zum ersten Mal jener Verfremdungseffekt aufritt, der die ganze Serie durchzieht: Alex imaginiert, dass die Sozialarbeiterin sie als »jobless white trash piece of shit« anspricht, eine weiße Lumpenproletarierin, die Geld vom Staat erwarte, obwohl sie nur ein Stück Scheiße sei. In der Realität fragt die Sozialarbeiterin sie allerdings lediglich unhöflich nach einem Formular. Die Institutionen der Klassengesellschaft sind einschüchternd; sie bestimmen nicht nur das materielle Sein, sondern auch das Bewusstsein der unteren Klassen.

Die Sozialarbeiterin fragt nach einem Nachweis über ihre Elternschaft, worauf Alex antwortet, sie könne ihr lediglich ihre Schwangerschaftsstreifen zeigen. Sie spürt, dass sie in einer Welt der Bürokratie und offiziellen Dokumente angekommen ist, in der ihre bisherige lebensweltliche Praxis nicht ausreicht. Die Sozialarbeiterin fragt sie, was sie vom Sozialamt wolle: Sie könne ihr nicht helfen, wenn sie keinen Job habe. Um einen Job zu bekommen, braucht Alex allerdings Kinderbetreuung für Maddy. Und um einen staatlichen Zuschuss für die Kinderbetreuung zu erhalten, braucht es einen Job. Alex kommentiert diesen bürokratischen Teufelskreis für Unterklassenmütter mit: »Was ist das für Scheiß!«. Immer wieder wird sie vor solchen bürokratischen Unmöglichkeiten stehen. 

Angesichts der bürokratischen Gewalt der Klassengesellschaft wendet sich Alex in ihrer Verzweiflung an ihre freigeistige, egozentrische und psychisch kranke Mutter Paula (Andie MacDowell). Diese hat zunächst Freude daran, Zeit mir ihrer Enkeltochter zu verbringen, ist allerdings als Betreuungsperson ungeeignet und gibt Maddy entgegen der Absprache schnell an Sean ab. In der ganzen Serie wird niemand von Alex’ Familie je den sexistischen Missbrauch durch Sean ernst nehmen, geschweige denn Alex dabei helfen, diesem zu entkommen. Die Kernthemen der Serie bilden die (heteronormative) Familie als Trauma-Ort, das Decken der patriarchalen Gewalt durch das soziale Umfeld und die generationale Ebene dieser Gewalt. Paula, so stellt sich im Verlauf der Serie heraus, wurde von Alex’ Vater Hank (Billy Burke) ebenfalls misshandelt und floh mit Alex in einer ähnlichen Weise vor der patriarchalen Gewalt, wie Alex nun mit Maddy. 

Welcher Ausweg bleibt der Protagonistin? Um zu überleben und für ihre Tochter zu sorgen, beginnt Alex als Putzfrau zu arbeiten und schafft schließlich den Weg ins Frauenhaus. Sie ist in Bezug auf die Lohnarbeit mehr Unternehmerin ihrer selbst, muss außer einem Staubsauger und der Uniform alle Putzutensilien selbst kaufen, wird von der Chefin und den Kolleginnen schlecht behandelt. Ihre erste »Kundin« ist Regina (Anika Noni Rose), eine reiche Schwarze Anwältin, die Alex zunächst schlechter behandelt als ihren Hund. Diesen entführt Alex in einer kapriziösen Wendung mit Danielle (Aimee Carrero), einer Leidensgenossin aus dem Frauenhaus, um vorenthaltenen Lohn einzufordern. Die Konfrontation zwischen Alex und Regina konstituiert erstere als klassenbewusste Mutter. 

Alex landet in einer Welt der Bürokratie, in der ihre bisherige lebensweltliche Praxis nicht ausreicht.

Im Verlauf der Serie kommen sich Regina und Alex allerdings näher. In Abwesenheit eines solidarischen Umfelds wird die chauvinistische Kleinbürgerin eine der wichtigen Bezugspunkte und Unterstützungspersonen für Alex. Auch Regina ist zutiefst unglücklich und einsam. Die ungleichen Frauen begegnen sich im Thema der Verlorenheit und Mutterschaft, die Regina trotz größter Bemühungen nicht realisieren kann. Sie vermittelt Alex, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen und dass ihr allein Lohnarbeit Sicherheit geben könne. Durch ihren ökonomischen Status war es Regina möglich, eine Leihmutter und eine Eispenderin zu gewinnen. Aber am Ende sind da nur Verzweiflung und Einsamkeit. Selbst dort, wo an den American Dream geglaubt wird und Teilhabe an Ausbeutung von anderen gelingt, gibt es kaum Glück.

Restposten des American Dream

Während Erfahrungen von Gender und Klasse komplex dargestellt werden, spielen Race und Disability in »Maid« eine untergeordnete Rolle, besonders das Thema psychische Krankheit wird sehr schematisch behandelt. Die Protagonistin erhält Unterstützung durch Schwarze Frauen und Women of Color. Danielle, die stereotyp als Power-Latina gespielt wird, übernimmt die Rolle einer großen Schwester. Die Schwarze Leiterin des Frauenhauses, Denise (BJ Harrison), fungiert zudem als stoische Retterin in der Not. Dabei wurde zu Recht von Keely Weiss im englischsprachigen Diskurs zur Seriedarauf hingewiesen, dass Schwarze, Indigene und Women of Color in den USA wesentlich häufiger von Gewalt und Armut betroffen sind: Die normschöne weiße Alex sei nicht das typische Gesicht von sexistischem Missbrauch und Armut. Auch Mutter Paula wird oft in einer stereotypen Art als bipolar dargestellt, sodass sich der Charakter teilweise auf einen (traurigen) Comic-Relief reduziert. 

Margaret Qualley und die Showrunnerin Molly Smith Metzler (»Shameless«, »Orange is the new black«) sprechen (in Interviews) von der Bedeutung von Alex’ Privilegien als Faktor für ihre Widerständigkeit. Im Verlauf der Serie nähert sich Alex Sean, der die Alltäglichkeit und Banalität patriarchaler Gewalt verkörpert, wieder an. Er wird nicht als Monster dargestellt, aber auch nicht entschuldigt. Alex und Sean haben beide eine traumatische Kindheit erlebt, doch der traumatisierte Mann missbraucht, während die traumatisierte Frau versucht, ihr Kind und sich selbst zu schützen. Nachdem Sean erneut gewalttätig wird, versinkt Alex wortwörtlich erneut in der Familienanordnung. Sie befindet sich am Ende der achten Folge physisch in der Couch versunken und metaphorisch gesprochen an jedem Trauma-Ort, von dem aus kaum eine eigene Aktivität mehr möglich scheint. Metzler sagt, dass die meisten Personen es nicht aus dieser Situation herausschaffen.

Das Ende der Serie ist dennoch betont positiv. Selbst wenn Alex’ Glück hervorgehoben werden soll, so scheint der Weg von traumatischer Kindheit, Trailerwohnung und Frauenhaus zu einem Stipendium an einer Universität unglaubwürdig kurz. Ein merkwürdiges Happy End, das man vielleicht als Restposten des American Dream deuten kann: Am Ende wird auch ohne Klassenkampf und feministische Reproduktionsrevolution alles okay. Eine Fundamentalkritik an der Serie oder Netflix, die darauf abzielt, dass so letztlich konsumierbare Gesellschaftskritik hergestellt werde, geht allerdings fehl: Gewiss ist »Maid« kein sozialistischer Realismus oder eine erschütternde ästhetische Erfahrung. Aber dass Hollywood massenkulturell die Erfahrungen einer weißen Unterklassenmutter darstellt, ist Ausdruck einer veränderten gesellschaftspolitischen Situation in den USA des 21. Jahrhunderts. Der Stand der Kämpfe prägt auch den Stand der Kulturindustrie, nicht nur umgekehrt.