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|ak 694 | Alltag |Reihe: Komm bitte!

Kommt bitte, Arno Dübels Freund*innen

Von Pajam Masoumi

Arno Dübel ist tot. Mit 67 Jahren starb der polarisierende Hamburger, der zu Beginn der 2000er zur Hassfigur des anständigen Deutschen und einer Ikone der arbeitsscheuen Linken wurde.

Dübel wuchs als eines von zehn Kindern in einem Arbeiter*innenhaushalt auf und verließ nach der 9. Klasse die Schule. Anschließend begann er eine Maler- und Tapezierausbildung, welche er kurz vor Ende wegen Zerwürfnissen mit dem Lehrmeister abbrach. Nach der abgebrochenen Ausbildung arbeitete Dübel eineinhalb Jahre im Lager und schlug sich anschließend mit Sozialhilfe und Gelegenheitsjobs durch.

Mit nur 30 Jahren wurde Arno Dübel mit Tuberkulose diagnostiziert, war anschließend auf Medikamente angewiesen und galt, durch abgebrochene Ausbildung und chronische Krankheit, als schwer in den Arbeitsmarkt vermittelbar. Arno Dübel war, im Sprech der neuen Linken, mehrfach marginalisiert, erlebte »Klassismus« – und wehrte sich trotzdem (oder gerade deswegen) so eloquent wie lustig gegen den Arbeitszwang.

Als »Deutschlands bekanntester Arbeitsloser« wurde Arno Dübel durch die Talkshows gereicht, in Zeitungen verrissen, in zahllosen Clips wurden seine Zitate verbreitet. Diese wurden mal zur Abfeierei eines vermeintlich widerständigen Proleten, deutlich häufiger aber zur Selbsterhöhung über den Pöbel genutzt. Für Linksradikale eignet sich Dübel weniger als Ikone, denn als Mahnung, ein weiteres Mal die Chance zur Solidarität verpasst zu haben.

Nicht nur die Bürgerlichen haben sich über Arno Dübel erhoben, auch die radikale Linke hat verpasst, Dübel als einen der Abgehängten, als das mögliche revolutionäre Subjekt zu verstehen. Statt Skandalisierung der unwürdigen Bedingungen unter denen Dübel lebte, wurde der beleidigende Umgang der Medien kritisiert. Statt die Existenz Dübels als eine inhärent politische zu begreifen, als eine Existenz, die das Abziehbild der neoliberalen Geschichte seiner Zeit war, erfreute man sich an seiner Verweigerungshaltung gegen das Jobcenter und ließ ihn mit den folgenden Sanktionen alleine.

Vielleicht hielten Marxist*innen seine Analyse für vulgär, aber indem er für alle hör- und sichtbar immer wieder die Frage aufwarf, weshalb er denn arbeiten solle, wenn auch die Arbeitenden in Altersarmut landen, brachte er einen Kritikpunkt an der herrschenden Politik ins Spiel, welcher bis heute nicht geklärt ist. Die Erkenntnis, dass es Ausbeutung ist, für den Reichtum eines anderen zu arbeiten, ist Kern der Marxschen Kritik, und Arno Dübel hat sie verstanden.

Letztlich wurde Dübel trotzdem ausgebeutet. Nicht nur im Kontext der vielen Talkshows und der spät versuchten Musikkarriere, sondern auch Arno Dübel als Subjekt. Seine Geschichte wurde Teil der Propagandamaschinerie des neoliberalen Kapitals: Sie zeigte den einen ihre abschreckende Zukunft, sollten sie sich nicht den Zwänge des Kapitalismus beugen. Die anderen bogen sich Dübels Biographie als Weg in das vermeintlich gute Leben des Müßiggangs zurecht, indem sie die Projektion des selbstbestimmten, da nicht den unmittelbaren Zwängen des Marktes ausgesetzten, Arbeitslosen unkritisch übernahmen.

Beides ist nur eine Vorstellung und wird dem Menschen Arno Dübel nicht gerecht. Also kommt bitte, Freund*innen von Arno Dübel – und erzählt, wie er wirklich war.

Pajam Masoumi

ist in der Online-Redaktion bei ak.