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|ak 703 | Alltag |Reihe: Komm bitte!

Komm bitte, Lesben

Von Kuku Schrapnell

Eine Frau (der Kopf ist nicht zu sehen) sägt mit einer Stichsäge eine Spanplatte.
Im Leben unserer Autorin ist etwas Unerwartetes passiert. Foto: Mikael Blomkvist / Pexels

Wer selbst transitioniert oder Leute kennt, die ihren Körper mit synthetisch hergestellten Hormonen bereichern, weiß, dass diese kleinen Botenmoleküle eine Menge auf dem Kasten haben. Neben den fast schon langweiligen Auswirkungen wie zum Beispiel mehr oder weniger Haarwachstum und das generelle Wachsen oder Schrumpfen von verschiedenen Körperteilen ist das wohl Spannendste die Veränderung sexueller Vorlieben. Das passiert so häufig, dass es sich schon zum Meme gemausert hat – dabei dachte ich nach über einem Jahr mit Östrogen eigentlich, ich sei die große Ausnahme …

Denkste! Ganz harmlos gehe ich auf eine Party und tanze bei einem mäßig guten DJ zu ziemlich guter Musik. Nicht weit von mir entfernt erspähe ich einen schönen Mann, an den ich langsam näher heran tanze, als sich plötzlich meine ganze Welt auf den Kopf stellt. Da tanzt nämlich, eben noch von einer Säule versteckt, die heißeste Lesbe der Welt – und ich bin hin und weg. Es ist 19 Jahre her, seit ich zum ersten Mal wem gesagt habe, dass ich schwul bin, und bisher hielt ich das für eine unerschütterliche Wahrheit. Während ich versuche, weiter sowohl den Typen neben mir als auch die Dyke vor mir anzutanzen, muss ich mein Selbstbild kräftig überarbeiten.

Vielleicht ist es ja möglich, gleichzeitig lesbisch und schwul zu sein? In Berlin gibt es immer noch das jährliche Lesbisch-Schwule Stadtfest, und was ein Stadtfest kann, kann ich ja wohl schon lange! Heutzutage wirkt es ein bisschen aus der Zeit gefallen, nur von lesbisch und schwul zu sprechen und nicht queer zu sagen oder gleich alles aufzuzählen und bei irgendeiner Form von LSBTIQA* zu landen. Und trotzdem fühlt es sich nicht ganz richtig an, wenn ich mich selbst bisexuell nenne, weil da immer noch mitschwingt, in der ein oder anderen Weise heterosexuell zu sein, und das möchte ich auf jeden Fall vermeiden. Ohne hier der heterosexuellen Leser*innenschaft auf die Füße treten zu wollen, aber mir persönlich wäre das peinlich.

Im Schwulsein hab ich schon einige Übung, und ich würde sagen, in der Szene mit all ihren Schönheiten und Abgründen kenne ich mich aus. Aber ich weiß absolut nicht, wie man lesbisch ist. Natürlich habe ich einige lesbische Freund*innen, aber ich habe auch Menschen sehr lieb, die jeden morgen ins Fitnessstudio gehen, um Hanteln zu stemmen, die mehr wiegen als ich, ohne dass ich die geringste Lust hätte, das auch mal auszuprobieren. Aber Lesbe werden ist jetzt mein neues Ziel.

Für den Anfang höre ich, während ich diesen Text schreibe, »an actually good lesbian playlist« auf Spotify, und sie ist nicht nur wirklich gut, sondern auch erstaunlich traurig. Ein altes Stereotyp, dass Lesben immer traurig oder wütend sind. Andererseits habe ich Depressionen, und in Anbetracht der Weltlage kann man ja nur wütend werden! Ich sehe das als ersten Punkt auf der Haben-Seite.

Wie großartig Lesben sind, zieht sich durch Geschichte, Gegenwart und wahrscheinlich auch Zukunft: Was wäre die Dichtung ohne Sappho, der Katholizismus ohne Jeanne d’Arc und die AfD ohne Alice Weidel? Die letzte in der Aufzählung war vielleicht ein bisschen daneben, aber jede Identitätskategorie hat ihre Irrlichter, und die Weidel hat schon mehr als deutlich gemacht, dass sie sich nur als Frau, die mit einer Frau zusammen ist, definiert, nicht als Lesbe.

Hier soll es aber um echte Lesben gehen. Lesben, die Teil von lesbischen Communities sind. Lesben, die politisch sind. Lesben, die lesbisch daten. Lesben, die auf Lesben stehen. Lesben, die ganz und gar lesbische Dinge tun. Aber was sind lesbische Dinge? Die Klischees sagen Motorradfahren (geht nicht wegen Individualverkehr und fossilen Brennstoffen), Handwerken (dafür bin ich eindeutig zu ungeschickt mit mehreren Narben an den Händen, weil Brotschneidemaschinen schon zu gefährlich für mich sind) oder lange, tiefgründige und liebevolle Beziehungen zu Freund*innen und Lover*innen führen.

Letzteres klingt nicht nur möglich für mich und alle anderen, die ihre ersten Schritte in Richtung Lesbentum machen wollen, sondern auch erstrebenswert, vielleicht sogar über die lesbische Community hinaus. Jetzt sagt meine Erfahrung mit lesbischen Freundinnen, dass es ganz so schön und paradiesisch auch unter Lesben nicht zugeht, aber meine Erfahrung in schwulen Kontexten und all die schrecklichen Berichte, die ich von Heten höre, sagen, dass es im Vergleich schon erstaunlich nah an dieser schönen Utopie liegt.

Gerne würde ich jetzt schreiben, dass die alte Parole »Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis« stimmt, aber offensichtlich ist das Quatsch. So sehr sich Sexualität auch wandeln mag, so wenig kann sie erzwungen werden, und an dieser Stelle möchte ich auch den Glauben, dass Männer sich aus dem Patriarchat befreien können, nicht aufgeben. Aber vielleicht sollten wir uns alle ein paar Lesben suchen und von ihnen lernen. Und wer weiß, vielleicht reißt mich ja eine von ihnen auf.

Kuku Schrapnell

ist neben ihrem neuen Job als schwule Sex-Kommunistin auch Trans-Aktivistin, gut aussehend und Wahl-Ostdeutsche.