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|ak 690 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Top of the Pops

Von Moritz Assall

Hauptsache es knallt. Foto: Felix Stahlberg/Flickr , Public Domain Mark 1.0

Kaufen, verkaufen, G-W-G‘, Geld, Ware, mehr Geld, der ewige circle of life im Kapitalismus. Alles muss zirkulieren, sonst funktioniert das Ganze nicht. Aber was, wenn es stockt und die Ware im Regal liegt wie Blei? »Tant pis pour vous, sagt der Käufer« (1), schreibt Marx im zweiten Band des Kapitals, und weiter: »Eure Ware ist ein Ladenhüter und wahrscheinlich mehr oder minder angenagt vom Zahn der Zeit.« Das kann passieren, denn wie Marx in Anlehnung an Shakespeare an anderer Stelle feststellt: »Die Ware liebt das Geld, aber ›the course of true love never does run smooth‹« – was so viel heißt wie: Der Lauf der wahren Liebe verläuft nie glatt.

Schon zu damaligen Zeiten, erst recht aber im heutigen Lifestyle-Kapitalismus, in dem noch dem schnödesten Erdbeerjoghurt Lebensstil und Lebensgefühl zugeordnet wird, sind Image und Marke essenziell, um die true love des G-W-G‘ wieder in Wallung zu bringen. Denn, wie Robert Misik einmal schrieb: Oft ist das Image der eigentliche Gebrauchswert der Ware. Die Bedeutung der Marken als Imageträger nimmt dementsprechend immer weiter zu. Und ebenso floriert das Markenrecht, das nicht nur die Rechte an der jeweiligen Marke und damit die schwungvolle Kapitalverwertung sichert, sondern auch die albernsten Urteile aller Zeiten hervorgebracht hat.

Konkret sieht das dann aus wie in einem Urteil des Oberlandgerichts Hamburg. Geklagt hatte die Herstellerin der Marke »Corn Pops« (laut Urteil »Inhaberin verschiedener ›Pops‹-Marken«) gegen die konkurrierende Marke »Rice Pops«, denn die sei ja auch »Pops« und das markenrechtlich nicht zulässig. So einfach wollte sich die beklagte Marke »Rice Pops« aber nicht von der markenbeflügelten Kapitalverwertung abhalten lassen. Sie erklärte dem Gericht, das Wort »Pops« könne nicht Teil eines Markennamens sein, weil »Pops« »onomatopoetisch« (2) sei, also »eine beschreibende Sachangabe« für das Geräusch von Getreidekörnern, die »unter geringer Zufuhr von Fett geröstet« werden. Das Rösten der Körner sei nämlich »mit dem charakteristischen Pop-Geräusch« verbunden, einem »Pop«, »das demjenigen beim Öffnen einer Sektflasche ähnele«. Laut Urteil erklärte die Beklagte dem Gericht weiter, »der Herstellungsvorgang würde dementsprechend auch als ›poppen‹ bezeichnet. Überdies sei jedem von Kindesbeinen an die Herstellung von Popcorn – etwa auf dem Jahrmarkt – als ›Poppen‹ bekannt.« Und überhaupt sei »Pops« ein Alltagsbegriff, man denke nur an Lollypops oder Top of the Pops. Der Begriff »Corn« hingegen stehe im Englischen für »Getreide, Hühnerauge, Kitsch und olle Kamellen«. Angesichts dieser Bedeutungsfülle von »Corn« werde »der Verkehr die Marke der Klägerin nicht auf Pops verkürzen, sondern ihn in seiner Gesamtheit wahrnehmen« und darum »Corn Pops« nicht mit »Rice Pops« verwechseln.

Das sah das Oberlandesgericht Hamburg allerdings anders. Es gab der Klägerin recht und erklärte dies unter anderem damit, dass in der deutschen Sprache bei zusammengesetzten Begriffen der Gegenstand stets durch das zweite Wort bestimmt werde. Das Gericht schreibt: »Bei einer Bohnenstange handelt es sich um eine Stange, während die Stangenbohne eine Bohne ist. Popcorn ist demgemäß ein Corn, das – möglicherweise wegen des bei der Herstellung entstehenden Geräusches – pop ist. Andererseits sind Cornpops aus Corn hergestellte Pops, was auch immer das sein mag.« Alles klar? Dann wird es intim: »Entgegen der Annahme der Beklagten ist den angesprochenen Verkehrskreisen, zu denen auch die Mitglieder des Senats gehören, keineswegs seit frühester Kindheit die Herstellung von Popcorn als ›poppen‹ bekannt. Den Begriff ›poppen‹ kennen die Senatsmitglieder zwar, allerdings nicht von Kindesbeinen an, sondern erst etwa seit der Pubertät und in einem völlig anderen Zusammenhang, was hier aber nicht vertieft zu werden braucht« – womit dann wohl auch die letzte nie gestellte Frage gerichtlich beantwortet wurde. Und, leicht unterkühlt: »Die weiter angesprochenen ›Lollypops‹ und die ›Top of the Pops‹ spielen im hier interessierenden Zusammenhang keine Rolle.« Tant pis also für die Herstellerin der Rice Pops. Für die Klägerin kann es hingegen schwungvoll weitergehen mit G-W-G‘, dem capitalist circle of life der »Pops«. Was auch immer das sein mag.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.

Anmerkungen:

1) In den Schriften von Marx findet sich immer wieder ein Sprachenmischmasch, hier französisch-deutsch. »Tant pis pour vous, sagt der Käufer« heißt zu deutsch: »Pech für Sie, sagt der Käufer«.

2) Im Jura-Deutsch gibt es auch allerlei Nachschlagenswertes: onomatopoetisch heißt so viel wie lautmalerisch.