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|ak 674 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Getränke­dosen­öffnungs­zisch­geräusch

Von Moritz Assall

Das Getränkedosenöffnungszischgeräusch, wirklich einmalig! Foto: Dosionair/Flickr, CC BY-ND 2.0

Es gibt ja schon ein paar Sachen, die sind eigentlich leider nicht so ganz so toll, machen aber ziemlich Spaß. Bei mir steht zum Beispiel ganz weit oben, an einem heißen Sommertag eine eiskalte Limonade aus einer Getränkedose trinken. Ganz im Ernst: Die klirrend kalte, von Kondenswasser benetzte Dose, das erwartungsvolle Hochdrücken der Lasche, das blecherne Klacken, wenn das Metall der Mündung aufbricht, dieses Zischen, Kohlensäure steigt auf, der erste Schluck – einfach einzigartig!

Wie einzigartig, war nun Gegenstand eines Verfahrens vor dem europäischen Gerichtshof, der sich intensiv mit dem »Klang, der beim Öffnen einer Getränkedose entsteht, gefolgt von etwa einer Sekunde ohne Geräusch und einem Prickeln von etwa neun Sekunden« auseinander zu setzen hatte. Im Kapitalismus gilt es bekanntlich stets, durch irgendwelche brauchbaren oder unbrauchbaren Neuerungen des Produkts die Konkurrenz auszustechen, um die Mehrwertabschöpferei etwas anzukurbeln. Darum hatte die Klägerin mit erheblichem technischem Aufwand ein vermeintlich ganz besonderes Getränkedosenöffnungszischgeräusch entwickelt. Dazu wurde in der Dose ein spezieller Stickstoffbehälter angebracht, der sich beim Öffnen etwas zeitversetzt in die Getränkeflüssigkeit entleert, weshalb das Zischen überdurchschnittlich lange anhält. Außerdem, so die Klägerin, entstehe durch die ganz spezielle kurze Pause zwischen dem Öffnen der Dose und dem Einsetzen des ganz speziellen Zischens ein »zusätzlicher Überraschungseffekt«, der die Aufmerksamkeit der Verbraucher*innen erregen solle.

In Sachen Aufmerksamkeit der Verbraucher*innen scheint mir hier besonders treffend, was Wolfgang Fritz Haug vor mittlerweile 50 Jahren in seiner »Kritik der Warenästhetik« formulierte: »Schein wird für den Vollzug des Kaufakts so wichtig – und faktisch wichtiger – als Sein. Was nur etwas ist, aber nicht nach Sein aussieht, wird nicht gekauft. Was etwas zu sein scheint, wird wohl gekauft.« In den Augen des kaufenden Subjekts sei vor allem »das Warenschöne« entscheidend, also der scheinbare Gebrauchswert des Objekts. Scheinbarer Gebrauchswert: als Prinzip ziemlich verrückt, im Kapitalismus aber eine lohnende Sache, was über diese Wirtschaftsform ja schon so einiges aussagt. Jedenfalls versuchte die Klägerin, dieser Logik folgend, nun die akustische Warenästhetik der Dose auch zu ordentlich Geld zu machen. Darum wollte sie den »Klang, der beim Öffnen einer Getränkedose entsteht, gefolgt von Geräuschlosigkeit und einem Prickeln« markenrechtlich schützen lassen, auf dass es bei der Konkurrenz weniger perlen möge. Manch Richter*in wird sich da vielleicht insgeheim schon auf eine feuchtfröhliche Verhandlung gefreut haben, alles im Dienste der Rechtsfindung natürlich. Doch weit gefehlt. Das Getränkedosenöffnungszischgeräusch wurde den Richter*innen des Europäischen Gerichtshofes recht trocken in Form einer 14 Sekunden dauernden Tonspur zugesandt, die den Lauten der Dose nun quasi aus der Dose lauschen und auf ihre schützenswerte Einzigartigkeit beurteilen mussten. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie das hohe Gericht mit spitzen Ohren zusammensaß und andächtig der Tonspur lauschte. Dieses Klacken – ganz speziell? Diese kurze Stille – ganz singulär? Dieser »Klang eines Prickelns von Perlen von etwa neun Sekunden« – ganz einzigartig?

Leider nein. Nüchtern stellten die Richter*innen fest, es ermangele dem Zischen einer »gewissen Resonanz … anhand deren der angesprochene Verbraucher es als Marke und nicht bloß als funktionalen Bestandteil oder als Indikator ohne wesenseigene Merkmale erkennen kann«. Es sei einfach so, dass »nämlich der Klang, der beim Öffnen einer Dose entsteht, in Anbetracht der Art der in Rede stehenden Waren als ein rein technisches und funktionelles Element angesehen« werde, »da das Öffnen einer Dose oder Flasche einer spezifischen technischen Lösung im Rahmen des Umgangs mit Getränken zum Zwecke ihres Verzehrs inhärent ist.« Wenn es eine Hölle gibt, dann ist sie so, wie sich diese Rechtssprache anfühlt. Für die Klägerin kam es allerdings noch schlimmer. Selbst die technisch so aufwendig zeitversetzt hergestellte »Kombination der Klangelemente und des geräuschlosen Bestandteils« des Getränkedosenöffnungszischgeräusches ist laut den Richter*innen »in ihrer Struktur nicht ungewöhnlich, da die Klänge des Öffnens einer Dose, einer Geräuschlosigkeit und eines Prickelns vorhersehbaren und üblichen Elementen auf dem Getränkemarkt entsprechen.« Also doch bloß ein gewöhnliches Geräusch mit profanem Perlen.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.