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|ak 693 | Alltag |Reihe: euer Ehren

Arbeitsrecht statt Lichternetz

Von Moritz Assall

Das Bild zeigt ein glitzerndes Kristallherz, das an einer Schnur hängt und als Pendel benutzt wird.
Manchmal steht das Pendel auf »Pay what you owe me, don´t act like you forgot«, wie Rihanna sagen würde. Foto: Carsten Tolkmit/Flickr , CC BY SA 2.0

Community«, schrieb der Soziologe Reinhard Kreissl einmal, »Community ist die semantische Rache des Englischen für Rucksack, Blitzkrieg und Kindergarten«. Im selben Text warnt er vor dem »Herrschafts- und Kontrollpotenzial« des Formats der »Community«, denn »der kollektive Druck auf den Einzelnen durch die Gruppe ist dabei viel effektiver, kostengünstiger und scheinbar humaner als die an der Spitze konzentrierte Sanktionsmacht gegenüber individuellen Akteuren«.

Vielleicht ist das der Grund dafür, dass im postfordistischen Dienstleistungskapitalismus das »Wir« im Vordergrund steht und die Aufteilung in Kapital und Arbeit als Relikt vergangener Zeiten abgetan wird. Stattdessen: Start-ups und Agenturklitschen mit Tischkicker, Kühlschränken voller Mate, Casual Fridays und Alkoholatemgeruch des Chefs beim After-Work-Gathering. Dafür gibt es aber keinen Betriebsrat, Tarifvertrag oder auch nur Überstundenausgleich, weil das Unternehmen ja eher ein gemeinsames Projekt ist und alle eine Gemeinschaft, mit »ganz flachen Hierarchien«, wenn überhaupt. In einem Interview mit dem Vice Magazine erklärte der slowenische Marxist Slavoj Žižek, im modernen Kapitalismus komme »der Chef in Jeans« und »das soziale Spiel ist, dass sie so tun müssen, als wären sie Freunde«. Fast schon logisch ist entsprechend Žižeks Empfehlung, der erste Schritt zur Befreiung bestehe darin, seinen Chef »zu zwingen, sich wirklich wie ein Chef zu verhalten«: »No comradeship«, keine Kameradschaft, keine Community, klare Verhältnisse.

Über einen ähnlichen Schritt von Gemeinschaft zu Klassenantagonismus hatte Anfang dieses Jahres das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden, in einem Rechtsstreit, der zuvor schon mehrere Gerichte beschäftigt hatte und von diesen sehr unterschiedlich beurteilt wurde. Die Klägerin, selbst Volljuristin, verlangte nachträglich gut 46.000 Euro Lohn für ihre Arbeit in einem Yoga Ashram. Ziel dieser Yogagemeinschaft, wird an anderer Stelle zitiert, sei »die Vergrößerung der Kräfte des Friedens und des Verständnisses auf der Erde durch Aufbau weiterer Lichtpunkte im Lichtnetz der Erde«. Die Lichtpunkte im Lichtnetz der Erde sollten dabei offenbar unter anderem durch 42 Stunden Yogaunterricht pro Woche durch die Klägerin aufgebaut werden. Dieser Unterricht war laut ihres Vertrags zwar das »feste Aufgabengebiet (…) zum Erhalt der Spirituellgemeinschaft«, sie könne sich aber auch »zusätzlich innerhalb der Gemeinschaft vielfältig einbringen«, das alles aber zur persönlichen Entwicklung »und nicht, um einer Erwerbstätigkeit im Sinne eines rein materiellen Zugewinns nachzugehen«. Dafür gab es entsprechend kein Gehalt, sondern ein »Taschengeld« im niedrigen dreistelligen Bereich, gestaffelt nach Dauer der Mitgliedschaft, dazu Aufschläge »als symbolische Wertschätzung der Gemeinschaft« für Mitglieder in Führungspositionen. Eine Art Haustaschengeldtarifvertrag der besonderen Sorte also.

Beendet werden konnte der Arbeitsvertrag (»die Mitgliedschaft«) zum Beispiel bei »Nichteinfügen in die spirituelle Schwingung« der Gemeinschaft. Wie die Schwingungen so waren, lässt sich einer Mail des Vereinsvorsitzenden entnehmen, die in einem Urteil zitiert wird: »In dem Schreiben findet sich ein Abschnitt über Begriffsersetzungen, in dem beispielsweise vorgeschlagen wird, eine Ersetzung des Wortes ›Kündigung‹ durch ›Beendigung der Mitgliedschaft‹, von ›Urlaub‹ durch ›sevafreie Zeit‹, ›Arbeit‹ durch ›Seva‹ oder ›dienen‹, ›Probezeit‹ durch ›vorläufige Mitgliedschaft‹, ›Mitarbeit‹ durch ›Mitgliedschaft‹ (…) ›Abmahnung‹ durch ›Erinnerung‹« und so weiter. Entsprechend, so argumentierte der Verein vor Gericht, gab es auch keinen Arbeitsvertrag, nur Mitgliedschaft in der spirituellen Gemeinschaft und damit verbundenen Gemeinschaftsdiensten, vergleichbar etwa mit einem Kloster.

Das sah die Klägerin anders, verlangte Nachzahlung des Gehalts mindestens nach Mindestlohn – und gewann. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass ein Arbeitsvertrag und damit die Verpflichtung zur »Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit« besteht. Also Arbeitsrecht statt Lichternetz und spiritueller Schwingungen. Oder, in Worten Žižeks: No comradeship, keine Kameradschaft, keine Community. Klare Verhältnisse.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.