analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

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Wir trauern um einen Genossen, Kollegen und Freund

Am 27. November ist Hans-Hermann Teichler gestorben

Von ak-Kollektiv

Porträt von Hans-Hermann Teichler
Hans-Hermann im Jahr 2011. Filmstill aus der Leftvision-Doku »40 Jahre außerparlamentarische Bewegung, 40 Jahre ak«, zu sehen auf Youtube.

Viele, die heute in der ak-Redaktion sind, haben Hans-Hermann nicht mehr kennengelernt. Oder nur die Zeit kurz vor seinem Ausscheiden aus dem ak-Vertrieb 2021, als wegen der Corona-Pandemie die meisten Arbeiten – außer Layout und Vertrieb – im Homeoffice erledigt wurden. Abonnent*innen, die länger dabei sind, kennen ihn vielleicht als manchmal schwer zu verstehende Stimme am Telefon, wenn man eine Frage zum Abo hatte. Hans-Hermann hat oft belustigt davon erzählt, dass »die Leute mit uns reden, als wenn wir ein normales Unternehmen wären«. Damit meinte er, dass Leser*innen, die zum Beispiel ihr Abo vorzeitig beenden wollten, bisweilen auf das Schlimmste gefasst waren, etwa eine Art Knebelvertrag, aus dem man als Kund*in kaum rauskommt – und sich entsprechend für das Gespräch rüsteten. Für jemanden, der die Zeitung als politischen Zusammenhang, nicht als Produkt betrachtete, war das einfach erstaunlich. Ist doch klar, dass man unter Genoss*innen eine Lösung findet.

Auch jeder Buchladen, der ak im Sortiment hat, war Hans-Hermann wichtig. Er konnte Geschichten erzählen über die Buchhalterin einer Buchhandelskette oder den Genossen, der die Zeitung seit 30 Jahren in seiner Kleinstadt weiterverkauft. Weniger wichtig war, ob die Remissionen (die Meldungen über die Zahl der nicht verkauften Exemplare) stimmten, entscheidend war der Deal, den beide miteinander ausgemacht hatten. Dass Hans-Hermann auch anders konnte, erlebten Mitarbeiter*innen all jener Institutionen, mit denen man nicht so gerne zu tun hat. Dann legte er im Zweifel mitten im Gespräch einfach auf, die »spinnen ja«.

Viele, die vor uns kamen, haben noch ganz andere Erinnerungen an Hans-Hermann. 1971 war er Mitbegründer des Kommunistischen Bundes (KB) gewesen, einer der größeren sogenannten K-Gruppen Westdeutschlands mit Schwerpunkt in Hamburg, und Mitglied der geheimen – also auch nicht gewählten – Leitung der Organisation. Jemand, der die Politik des KB jahrelang prägte. In den zwei großen Spaltungen – 1979 um den Austritt eines Teils und deren folgendes Engagement bei der Gründung der Grünen und 1990/91 um die Frage, wie man sich im vereinigten Deutschland politisch verhalten sollte – blieb Hans-Hermann jeweils bei der »Mehrheit«, die allerdings immer kleiner wurde. Mit anderen Mitstreiter*innen sorgte er dafür, dass, wenn auch nicht die Organisation, so zumindest die Zeitung, wenn auch nicht als Arbeiterkampf, so zumindest als analyse & kritik, über die politisch düsteren 1990er Jahre gerettet und in neue Hände (unsere) übergeben wurde.

Hans-Hermanns Geschichte ist also mit ak aufs Engste verflochten. Solche Verflechtungen produzieren ihre eigenen Herausforderungen, gerade dann, wenn Lebensprojekte an neue Generationen übergehen sollen. Viele Zeitschriften oder Organisationen, die seit den 1970er Jahren entstanden sind, kennen das: Wer entscheidet, wann es Zeit ist, dass sich etwas ändert? Wann treten Gründer*innen von ihrer Rolle zurück und überlassen die Aufgaben anderen? Die Übergangsphase zur heutigen ak verlief nicht ohne Reibungen und Zerwürfnisse. Vor knapp zehn Jahren führten diese Fragen ak in die vielleicht größte Krise der Nach-KB-Zeit, in deren Verlauf sowohl ältere als auch jüngere Mitstreiter*innen ak verließen. Hans-Hermann blieb und spielte weiter eine Rolle dabei, den Laden zu manövrieren, damit Jahresabschlüsse ebenso wie Computer liefen.

Das Schreiben hat er schon vor vielen Jahren aufgegeben, niemals aber einen Standpunkt zu haben und diesen zu vertreten. Hans-Hermann ist Sinnbild des anzettelnden Aufstands gewesen. Innerhalb des Kollektivs, zuletzt im Pflegeheim, in dem er im Sommer in den Bewohner*innenrat gewählt wurde.

Wer wollte, konnte von Hans-Hermann etwas lernen, vielleicht nicht über leichte Übergänge, aber darüber, was es heißt, ein politisches Leben zu führen, vom Anfang bis zum Ende. Mit seinem »Bürosystem« ist nun schon die zweite neue ak-Geschäftsführungsgeneration konfrontiert, seine Spuren finden sich in jedem Ordner, jedem Computer und in jeder Ecke des ak-Kellers. In manchen dieser Ecken wünschen wir uns, dass sie einfach bleiben. In Erinnerung an einen unermüdlichen Genossen, Kollegen und Freund.