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|ak 673 | Alltag |Kolumne: Geh bitte!

Geh bitte! Wolfgang M. Schmitt jr.

Von Kuku Schrapnell

Wolfgang M. Schmitt beim Malochen. Foto: YouTube

Wolfgang M. Schmitt jr., der manchen vielleicht eher unter seinem YouTube-Nickname »Die Filmanalyse« bekannt sein dürfte, hat es schon wieder getan. Wolfgang M. Schmitt jr. hat die Welt gerettet. Vielleicht nicht gleich die Welt, aber zumindest doch die Kultur, also die westliche. WMS tritt da auf den Plan, wo es noch wahre Ungerechtigkeiten gibt, wo die gesellschaftlichen Verwerfungen so offen zutage treten wie sonst kaum. WMS ist ein feingeistiger Kommentator des Weltgeschehens, mit imaginärer Zigarre und Whiskyglas in der Hand kämpft er gegen »die irren Diversity-Regeln der Amazon Studios«, wie der Titel seines neusten Videos verrät.

Aber der Reihe nach. WMS betritt die Bühne des Internets erstmals vor zehn Jahren. Damals noch als schüchterner Mittzwanziger sitzt er für seinen YouTube-Kanal vor einem fein hergerichteten Bücherregal und spielt den Akademiker. In seinen Videos macht er ein bisschen Frankfurter Schule, mimt den Ideologiekritiker im Anzug und stolpert durch Sätze, die möglichst intellektuell klingen sollen. Der Prototyp des anstrengenden linken Studenten, der mit zu viel Geld im Elternhaus und als alter Lehrerliebling der ganzen Welt das Filmegucken kaputt machen will. Scheinbar ein Erfolgskonzept.

Mittlerweile hat WMS drei weitere Kanäle und Podcasts. Wer jemals linke Männer gedatet hat, weiß, das sind drei weitere Red Flags – Warnsignale, bei denen man das Weite suchen sollte. Hinzu kommt noch ein Buch über Influencer, das, wie das gesamte Oeuvre des Juniors, vor allem aus Herablassung und hier und da ein paar Versatzstücken kritischer Kritik besteht. Apropos Kritik: In der Süddeutschen Zeitung wird er als »zorniger, stolzer Verteidiger von Kulturwerten« gefeiert. Aua.

So wundert es auch nicht, dass WMS mittlerweile eben nicht nur auf YouTube und in linksliberalen Blättern zu Wort kommt, sondern auch bei der Neuen Zürcher Zeitung schreibt. Die Selbstinszenierung als letzter bürgerlicher Intellektueller hatten schon so einige Linke drauf, die sich am Ende am rechten Rand wiederfanden. WMS versucht diesen Eindruck zwar ironisch zu brechen – durch bunte Anzüge und verrückte Krawatten – aber, ganz ehrlich, es stellt sich die Frage, ob ein Mensch in einem gelben Anzug überhaupt irgendwas zu Ästhetik sagen darf. Linke Kulturkritik, die nicht bei Männermode anfängt, ist für mich konterrevolutionär.

Stein des Anstoßes für WMS seinen neuesten Sermon sind die kürzlich erschienenen Richtlinien der Amazon Studios, die festlegen, dass beispielsweise nur noch queere Menschen queere Menschen spielen sollen und Schwarze Menschen nur Schwarze Menschen und so weiter. Logisch, könnte man sich denken, wenn man sich anguckt, wie die Lage für Schauspieler*innen ist, die nicht gerade Pierce Brosnan sind. Für Deutschland wurde das zuletzt im #actout-Manifest deutlich, mit welchem LGBTI-Schauspieler*innen auf Diskriminierung in ihrer Branche hingewiesen haben.

Für WMS steht das Ende der Schauspielerei kurz bevor. Mehr noch, wie jeder gute Kulturkritiker sieht er in dem Vorgabenschrieb des Konzerns gar »Neusprech«, der der neuen Rechten in die Hände spiele. Ironisch, denn die neurechte Rede von der bösen Identitätspolitik und dem mittlerweile überholten Feminismus schwingt, nun ja, er selbst. Kunst ist für ihn da, wo noch Grenzen überschritten und Regeln gebrochen werden – leider völlig unterschiedslos, ob diese Regeln Teil der herrschenden Ordnung sind oder eben gegen diese erkämpft wurden.

Um sich dann doch noch einen linken Anstrich zu geben, wird Sahra Wagenknecht herbeigerufen und die wirkliche echte Klassenpolitik gegen die irre liberale Identitätspolitik verteidigt. Getreu dem Kassenschlager: Und wer hat an den einfachen Arbeiter gedacht? Mal wieder keiner! Das ist eine öde, alte Leier – die Klassenfrage lässt sich eben überhaupt nicht stellen ohne eine grundsätzliche Analyse aller Unterdrückungsmechanismen. Ein Lied, dass Feminist*innen, Antirassist*innen und radikale Queers schon seit den 1970er Jahren singen.

Kuku Schrapnell

ist neben ihrem neuen Job als schwule Sex-Kommunistin auch Trans-Aktivistin, gut aussehend und Wahl-Ostdeutsche.