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|ak 666 | Alltag |Kolumne: Geh bitte!

Geh bitte! Harald Martenstein

Von Bilke Schnibbe

Harald Martenstein, wie er 2008 in Leipzig einen zum Besten gibt. Foto: Lumu/wikimedia, CC BY-SA 3.0

Was ist noch schlimmer, als sich Harald Martensteins Kolumnen selber durchzulesen? Sie sich von ihm auf NDR.de vorlesen zu lassen. Da hört man dann nämlich, wie angestrengt »witzig« er alle Wörter betont, die er lächerlich findet. Studentisches »Re-gen-bo-gen-re-fe-rat« zum Beispiel. Oder »Pro-no-men-run-de«. (Komischerweise auch »Vi-de-ooo«.) Neben jeder dieser Aufnahmen prangt ein Foto, wie der langhaarige Provokateur seine witzigen Wahrheiten gestikulierend ins Mikro brummelt: »Damals waren die Sachen noch so und so…«.

Bei der Folge »Martenstein über Pop-Feminismus« reißt er beispielsweise auf dem Bild seine kleinen Äuglein auf, fasst sich mit den Fingerkuppen an die Schläfen und spitzt die Lippen. »Wie kann man nur«, scheint er sagen zu wollen, der kleine Wadenbeißer, der erwachsene Frauen »Mädchen« und politische Widersacherinnen »kleine Satansbraten« nennt. Immer aus der betont gönnerhaften Haltung heraus, dass er ein alter Mann sei, der nur Fragen stellt. Er will eigentlich nur lieb sein, sagt er. Deshalb hat er auch die Angewohnheit in seinen Kolumnen Frauen ins Feld zu führen, die sich über irgendwas Gender-Gaga-mäßiges aufregen: Lana del Rey oder eine »feministische Freundin«. Er legt ihnen seinen Antifeminismus in den Mund und gibt selbst den verschrobenen Alt-Intellektuellen.

Bei ihm in der Uni hießen die Leute noch »der Ulli« und »die Gundi« und haben sich nicht gegenseitig mit Fantasieanredewünschen terrorisiert, lässt er uns in einem seiner neueren Beiträge zum Thema durchgeschossene Transen wissen. Aber Achtung, es ist keine Pronomenrunde, wenn Baby-Boomer und Friends einen Artikel vor ihren Namen setzen. Das ist ganz normal! Nor-mal. Ich sage: Artikelrunden sind das Gender-Gaga von Mitt-Fünfziger-Heten, die anderen ständig unter die Nase reiben müssen, dass sie einen Pimmel (»der Ulli«) oder eine Mumu (»die Gundi«) haben und wie »normale Leute« miteinander bumsen. Warum gelten eigentlich immer Homos und Transen als aufdringlich mit ihrem Sex und ihren Geschlechtsteilen? Wer setzt denn zwanghaft seinen Babys pinke oder hellblaue Mützchen auf, um aller Welt mitzuteilen, was das Kind für ein Geschlechtsteil hat? Genderwahn in jedem Spielzeuggeschäft, in jedem Musikantenstadl, in jeder Martenstein-Kolumne, überall, permanent. Aber das Problem ist die Pronomenrunde im Universitätsseminar.

Man sollte meinen, dass Harald schon die Gelegenheit gehabt hätte, sich zu beruhigen, anstatt zum 38. Mal dieselbe passiv-aggressive Kolumne darüber zu schreiben, dass queere Menschen einen an der Marmel haben. Dabei macht er noch nicht mal gute Witze, nein, sondern suhlt sich lediglich in seinem selbstgerechten »ich bin der gesunde Menschenverstand«-Gehabe. Martenstein ist das Fax-Gerät in der antifeministischen Technikabteilung. Braucht kein Mensch mehr, es sei denn irgendein Ulli will ein Leser-Fax in die Redaktion schicken. Ulli, schreib eine E-Mail, verdammt nochmal, wir haben nicht mehr 1998!

Bilke Schnibbe

war bis Oktober 2023 Redakteur*in bei ak.