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|ak 712 | Lesen |Rezensionen: aufgeblättert

Gefragter Baldwin

Aufgeblättert: »James Baldwin« von René Aguigah

Von Paul Dziedzic

Dieses Buch liest James Baldwin in seiner Zeit – und stellt ihm Fragen aus der Gegenwart«, schreibt der Kulturjournalist und Ressortleiter Kultur beim Deutschlandfunk René Aguigah in seinem Essay über den Jahrhundertautor. Seit dem Aufkommen der Black-Lives-Matter-Bewegung Mitte der 2010er Jahre erlebt Baldwin eine Renaissance. Nach der Ermordung von George Floyd durch Polizisten im Jahr 2020 kam es zu so massiven Protesten, dass sie unweigerlich an die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre erinnerten. In der Reflexion der amerikanischen Gesellschaft wurde auch in Deutschland – zumindest in den Feuilletons – nicht selten auf James Baldwin zurückgegriffen.

Das Format des Essays, das Aguigah gewählt hat, ist die denkbar beste Form, um über Baldwin nachzudenken, der selbst ein begnadeter Essayist war. Aguigah untersucht Baldwin und sein Verhältnis zur amerikanischen Gesellschaft, die sich in ihrem Selbstbild oft Illusionen hingibt und der Baldwin pointiert und ohne Scheu vor Streit ein anderes Bild vor Augen führte. Auf rund 200 Seiten verhandelt Aguigah mit Leichtigkeit und einem enormen Wissensschatz Baldwins Vermächtnis. Selbst erfahrenere Leser*innen werden darin noch etwas Neues lernen können. Interessant wäre aber auch die Auseinandersetzung mit der radikalen Tradition auf progressiver Seite gewesen, die im Buch leider auf die Black Panthers reduziert wird. Dabei hätten – wenn wir von heutigen Fragen sprechen – diejenigen, die von Abolitionismus und Racial Capitalism sprechen, zweifellos Fragen an Baldwin.

René Aguigah: James Baldwin. Der Zeuge. Ein Porträt. C.H. Beck Verlag, München 2024. 233 Seiten, 24 Euro.