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|ak 678 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Gartenzwerge-Grill-Kampfplatz

Von Moritz Assall

In Gesicht und Haltung dieser freundlichen kleinen Zwerge spiegelt sich das innere Gleichgewicht ihres Nachbarn. Noch... Foto: Thomas Kohler/Flickr, CC BY 2.0

Menschen lieben, Menschen hassen, letzteres erstaunlich oft, ihre Nachbar*innen. Warum eigentlich? Der zotige Altherrenmarxist Slavoj Žižek schrieb einmal, die »liberale Toleranz von heute gegenüber dem anderen« werde »durch die obsessive Angst vor der Belästigung konterkariert«. Und weiter: »Da der Nächste oder der Nachbar, in der Mehrzahl der Fälle ein Ding ist, ein traumatischer Eindringling, einer, dessen unterschiedliche Lebensweise (oder vielmehr seine Art, sein jeweiliges Genießen in seinen gesellschaftlichen Praktiken und Ritualen zu materialisieren) uns stört, also unsere eigene Welt aus dem Gleichgewicht bringt, wenn er uns zu nahe kommt, vermag dies auch zu aggressiven Reaktionen führen, die diesen Unruhe stiftenden Eindringling los werden möchten.«

Wie solche »aggressiven Reaktionen« aussehen können, lässt sich vor Gericht bewundern, wenn etwa die lauten Nachbarskinder mit Kartoffeln beworfen werden (keine Körperverletzung laut Amtsgericht Frankfurt im November 2020) oder ein 71-Jähriger, der sich bei der samstäglichen Fußballübertragung der Sportschau durch die lautstarken Arbeiten des 88-jährigen Nachbarn mit der Kreissäge gestört fühlt, dies zum Anlass nimmt, mit einem Knüppel auf den Kopf des Nachbarn einzuschlagen, ihn ins rechte Ohr zu beißen und ihm abschließend auf gute Nachbarschaft seine Nase zu verdrehen (was alles überraschend verletzungsfrei ausging, dem Kläger wurden vom AG Frankfurt dennoch immerhin 800 Euro Schmerzensgeld zugesprochen). Dieser Hang zur Gewalt paart sich bisweilen mit einer nicht zu leugnenden Tendenz zur Pedanterie, wenn die Versäumnisse und Missetaten der verhassten Nachbarschaft in bester Bürokrat*innenmanier minutiös katalogisiert werden. Gerne werden hierzu auch echte oder unechte Videokameras auf das Nachbar*innengrundstück ausgerichtet, was in beiden Fällen regelmäßig von den Gerichten untersagt wird, denn auch durch Kameraattrappen entsteht ein »unzulässiger Überwachungsdruck« (Landgericht Koblenz). Ein Evergreen sind auch die Grillstreitigkeiten, weshalb sich in der deutschen Rechtsprechung eine eindrucksvolle Arithmetik aus Grill-Balkon-Abständen, Uhrzeiten, Vorwarnzeiten, Rauchentwicklung, Grillfrequenzen und so weiter und so fort entwickelt hat.

Die ungekürte Meister*innendisziplin des deutschen Nachbarschaftsstreits sind aber die »Frustzwerge«. Das sind spezielle, oft in detailverliebter Kleinarbeit selbst hergestellte Zwerge, deren Beschreibungen sich lesen wie beispielsweise in diesem Urteil des Amtsgerichts Grünstadt: »Es handelt sich um ca. 30 bis 35 cm große gartenzwergartige Gebilde …, die verschiedene, für einen Gartenzwerg untypische Posen und Gesten einnehmen. So zeigt einer der Zwerge dem Beobachter mit herausgestreckter Zunge den erhobenen Mittelfinger (sog. Fuck-you-Zeichen), ein anderer beugt sich mit heruntergelassenen Hosen nach vorne und zeigt sein entblößtes Hinterteil, ein weiterer hält sich die Nase zu und schließt dabei die Augen. Einige Zwerge halten bzw. hielten vorprozessual Schilder mit Parolen wie ›Pfälzer in die Pfalz, Wuppertaler in die Wupper‹ (der Kläger stammt aus Wuppertal).« In diesem Fall waren es über 30 Frustzwerge, über die das Gericht zu befinden hatte. Laut AG Grünstadt eine klare Beleidigung, denn letztlich sei hier nichts anderes geschehen, als dass sich der Hersteller der Zwerge selbst hingestellt habe, »um beispielsweise sein bloßes Hinterteil hinzustrecken, oder dem Kläger die Zunge herauszustrecken bei dem oben bereits erwähnten ›Fuck-you-Zeichen‹. Da dies dem Beklagten aus naheliegenden Gründen nicht permanent möglich ist, hat er sich entschlossen, die hier streitgegenständlichen Zwerge zu schaffen und diese für ihn ›handeln‹ zu lassen.« Soviel dann wohl zum Thema »seine Art, sein jeweiliges Genießen in seinen gesellschaftlichen Praktiken und Ritualen zu materialisieren«. Ob in der Nachbarschaft immer eine gewisse Distanz, eine gewisse Dosis »Entfremdung unerlässlich ist, will man friedlich zusammenleben«, wie Slavoj Žižek im selben Text andenkt – ich habe da in dieser Absolutheit dennoch meine Zweifel. Aber Fernsehen gucke ich auch gerne in Ruhe.