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»Je suis Karl« ist Porno für Identitäre und zeigt die Halbherzigkeit der Mehrheitsgesellschaft im Umgang mit Rassismus

Von Kirsty Gordon

Für Abschreckung zu sexy, für Rassismuskritik zu halbherzig. Die Neue Rechte wird den Film lieben. Foto: Michaela Hermina, Copyright Pandora Film

Der Film »Je suis Karl« von Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich ist ein Abbild des deutschen Diskurses über die Gefahr von rechts: Halbherzig, ohne Konsequenz und ohne klaren Fokus benutzt er die Geschichten der Betroffenen rechter Gewalt für eine fragwürdige Inszenierung.

Es geht um die Geschichte der deutsch-französischen Familie Baier aus Berlin Friedrichshain, die einem rechten Paketbombenanschlag unter »false flag« zum Opfer fällt. Zufällig überleben Alex (Milan Peschel) und seine Tochter Maxi (Luna Wedler) − seine Frau Inès und die Zwillingsbrüder Hans und Franz sterben. Alex und Maxi verlieren sich in ihrer Trauer, sind schwer traumatisiert. Als Maxi von Reporter*innen verfolgt wird, lernt sie den Identitären Karl (Jannis Niewöhner) kennen, der scheinbar Anteil an ihrem Schicksal nimmt. Dabei war er es, der die Paketbombe an Maxis Vater ausgeliefert hat. Er lädt sie zu einer Sommerakademie in Prag ein. Sie soll, so seine Hoffnung, als Kronzeugin für vermeintlich islamistischen Terror herhalten und die Entwicklungen hin zum Tag X beschleunigen.

Überwältigt von der eigenen Trauer und der Trauer ihres Vaters, beschließt Maxi, der Einladung zu folgen, und gerät in den Sog der jungen Identitären, dessen Anführer Karl ist. In Prag angekommen, erlebt Maxi die neurechte Szene als einen vibrierenden Meltingpot für ihre verzweifelten Gefühle. Das Spiel mit der Metapolitik geht auf: Harte Beats neurechter Bands, Kriegserklärungen und ein bisschen Acid hauen rein. Mitunter ist es wie mit der tausendsten Hitler-Doku, die von ntv bis Phoenix hoch und runter laufen: Klar, das Ganze soll der Abschreckung dienen, aber irgendwie ist es dafür zu sexy. Die Faszination für das Böse darf endlich wieder an die Oberfläche kommen. Na wunderbar.

Rechte Märtyrer

Maxi, die in einem Berliner Kiez mit Regenbogenfahnen an Balkonen aufgewachsen ist und deren Eltern zu Beginn des Films den libyschen Geflüchteten Yusuf (Aziz Dyab) über die deutsche Grenze geschmuggelt haben, schließt sich Karl und seinen identitären Kamerad*innen an und reist mit ihm nach Straßburg, wo sie ihre Geschichte in einer dramatischen Rede vor Anhänger*innen der französischen Rechten erzählt. Besorgt um Maxi reisen Alex und Yusuf ihr nach, um sie abzuholen. Maxis Rede vor den französischen Rechten schlägt ein, und die Identitären wollen nicht länger auf den Tag X warten. Ohne Maxis Wissen plant Karl einen Coup: Vor laufender Kamera lässt er sich erschießen, um zum Märtyrer zu werden, indem die Rechten es wie ein islamistisches Attentat aussehen lassen. Direkt nach den Schüssen brechen gewalttätige Straßenkämpfe bewaffneter Rechter in ganz Europa aus: Der Tag X ist nun gekommen. Der Film endet damit, dass Yusuf Maxi und Alex ins Dunkle der Kanalisation führt, um aus der Stadt zu gelangen.

Als Thriller gedreht, verliert sich der Film in der durchaus gut recherchierten Ästhetik und Rhetorik der Neuen Rechten. Dadurch stellt sich ab dem Zeitpunkt des Bombenanschlags in jeder Szene die Frage, für wen dieser Film bitte sein soll. Die Fokussierung auf eine weiße Familie in Berlin und die absurde Storyline lassen darauf schließen, dass er definitiv nicht für Menschen gedreht wurde, die täglich von Rassismus und rechter Gewalt betroffen sind, sondern vielmehr für diejenigen, die sich 2021 anscheinend noch erlauben können, über rechte Bewegungen erstaunt zu sein. Auf der Webseite des Films findet sich neben pädagogischem Material und Memes die Möglichkeit, den Film für den Schulunterricht anzufragen. Hinzu kommt eine breit angelegte Filmtour an Schulen und Kinos in vielen deutschen Großstädten.

Ein Film für Leute, die es sich im Jahr 2021 noch erlauben können, über rechte Bewegungen erstaunt zu sein.

Die Produktion tritt selbstbewusst und gut gefördert auf, die Pressestimmen auf der filmeigenen Seite verweisen auf einen radikalen Film, der schockiert und zur rechten Zeit kommt. Schockierend ist jedoch, wie so oft beim deutschen Film, vor allem die fehlende Analysefähigkeit der Filmschaffenden. So beschreibt Wendner den Film als »eine Liebesgeschichte und die Geschichte einer Urangst, die wir alle haben. Angst vor dem Fremden, das uns Schaden zufügen könnte. Es ist eine uralte, indifferente Emotion« und naturalisiert damit kolonialrassistische Ideen. Gepaart mit dem Hauptthema des Films, der »Verführung durch Rechts«, reiht der Film sich in die deutsche Tradition der Täter-Opfer-Umkehr ein. Deshalb scheint es für die Filmschaffenden auch nicht problematisch, das Leid Betroffener rechter Gewalt zu nutzen, um die Löcher im Skript zu stopfen.

So zum Beispiel die fragwürdige Aneignung des Slogans »Je Suis Charlie«, der, ohne darauf zu verweisen, auf die Anschläge auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt von 2015 Bezug nimmt, oder die sexistische, adultistische Darstellung seiner verführbaren Protagonistin, deren Trauma als Begründung ihrer politischen Verführbarkeit herhalten muss. Der Gipfel aber ist die Nutzung realer Aufnahmen rechter Hetzjagden, die für die Szenen des »Tag X« benutzt werden, und die extremen Gewaltdarstellungen speziell gegen Schwarze Menschen sowie die Ausbeutung der Schicksale Geflüchteter. Der Film bedient sich schamlos am Schmerz der Betroffenen extrem rechter und rassistischer Gewalt.

Die Darstellung des libyschen Geflüchteten Yusuf stößt dabei besonders auf. Sein Schicksal wird eingangs genutzt, um die politische Gesinnung der Familie Baier darzustellen. Yusuf kommt danach in der Geschichte erst wieder vor, als Alex von der Polizei befragt wird, wie der Bote aussah, der ihm die Paketbombe in die Hand gedrückt hatte. Da der Paketbote einen dunklen Bart hatte und das Attentat als islamistisch eingestuft wird, erzählt Alex der Polizei, dass ein Geflüchteter namens Yusuf länger bei ihnen in der Wohnung gelebt habe.

Diese assoziative Denunziation wird nicht aufgelöst oder thematisiert, als Yusuf in der nächsten Szene Alex besucht, um ihm beizustehen. Alex erkundigt sich zwar, ob Yusuf jetzt Ärger mit der Polizei habe, entschuldigt sich jedoch nicht und geht auch nicht auf Yusuf ein, als dieser davon erzählt, dass ein Bruder als vermisst gilt, weil sein Boot nie in Europa angekommen ist und er vermutet, dass dieser ertrunken ist. Yusuf ist derjenige, der Kontakt zu Maxi aufnimmt und beschließt, mit dem Auto nach Straßburg zu fahren, um sie abzuholen. Es ist Yusuf, der allein im Auto kauert, als die rechten Krawalle ausbrechen, und es ist Yusuf, der noch ein Lied für Alex und Maxi singt, während er die beiden durch die Kanalisation raus aus der Stadt führt.

Yusuf ist somit ein Stereotyp des »guten Ausländers«, dessen Geschichte nicht zählt, der trotzdem immer freundlich, hilfsbereit und aufopfernd sein muss. Die Figur Yusuf hat selbstverständlich auch gar kein Problem damit, dass rassistische Ängste auf ihn projiziert werden und er eine Rolle erfüllt, die seine menschliche Komplexität und seinen Schmerz unterschlägt. Die absurde Schlussszene, die Hoffnung vermitteln soll, obwohl die Protagonisten sich grade buchstäblich in der Kanalisation befinden, verhöhnt das Schicksal von Yusuf, der nun zum zweiten Mal flüchten muss.

Selbstgerecht, sexistisch, rassistisch

Der Film kann somit höchstens als eine psychologische Repräsentation der Selbstsicherheit der Produzenten, die Thematik völlig durchstiegen zu haben, dienen, worin der wahre Horror liegt: Es geht ums Rechthaben, nicht um die Opfer, nicht um eine Auflösung der Zustände. Damit spiegelt der Film auch die öffentlichen »Diskurse« über Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland wider. Er ist selbstgerecht, sexistisch und rassistisch und benutzt das Leid Betroffener rechter Gewalt, um eine halbherzige, fragwürdige Message rüberzubringen und sich damit die Hände reinzuwaschen – man hat ja schließlich ganz große Aufklärung gegen Rassismus abgeliefert.

Die geneigten Zuschauer*innen lernen an einem Abend mit »Je suis Karl«, dass Nazis auch schlau sein können und nicht immer Glatzen haben. Vielleicht bedient der Film damit am Ende doch eine Urangst, nämlich die, dass diejenigen, die wirklich betroffen sind, niemals den Schutz erfahren werden, dessen sie bedürfen und dass Deutschland zunächst immer damit beschäftigt sein wird, den Blick nicht zu lange dorthin schweifen zu lassen, wo es wirklich drückt: auf die hohe Anschlussfähigkeit rassistischer und extrem rechter Ideologien bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein und auf eine festverankerte rechte Bewegung, die diesen Film zweifelsohne als Lobeshymne verstehen wird.

Kirsty Gordon

ist Sozialpädagogin und Bildungsreferentin.