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Sirenen und Nymphen

Eine kritische Betrachtung von »Femme Fatale: Blick – Macht – Gender« in der Hamburger Kunsthalle

Von Anne Meerpohl

Als eines der wenigen feministischen Werke wird »Lilith« von der Malerin Sylvia Sleigh aus dem Jahr 1967 gezeigt. Foto: © Estate of Sylvia Sleigh/Karen Mauch Photography/Rowan University Art Gallery

Manchmal sagt ein Blick mehr als tausend Worte. Und manchmal legen tausend Blicke ein Machtverhältnis offen. So geschehen in der aktuellen Wechselausstellung »Femme Fatale« in der Hamburger Kunsthalle, die mit einem wilden Ritt durch die westeuropäische Kunstgeschichte zeigt, wie sehr der männliche Blick (Male Gaze) auf weibliche Körper die Kunst beeinflusst und dominiert hat. Die Ausstellung will mit patriarchalen Blickweisen brechen, aber lässt die Subjekte der Begierde dafür wenig selbst zu Wort kommen.

Titelgebend für die Ausstellung ist die Figur der Femme Fatale. Von der griechischen Mythologie, über die Bibel bis in die Popkultur steht die Darstellung der Femme Fatale symbolisch für die Art und Weise, Frauen in der Kunst als bedrohliche und manipulative Figuren zu präsentieren. Die Femme Fatale wird oft als eine Figur gezeigt, die ihre Schönheit und Sexualität nutzt, um Männer in Versuchung und in Schwierigkeiten zu bringen.

Die erste Femme Fatale, die wir kennenlernen, ist die Loreley. Die Loreley ist eine Figur aus der deutschen Mythologie, die oft als sinnliches und verführerisches Wesen dargestellt wird, das Männer mit ihrem Gesang in den Tod reißt. In der Kunstgeschichte wurde die Loreley oft als eine schöne Frau mit langen Haaren und wenig Kleidung dargestellt – auf einer Klippe sitzend lockt sie mit ihrem Gesang die Fischer auf dem Rhein an, sodass diese an den Felsklippen zerschellen.

Weiter geht es in den folgenden Ausstellungsteilen mit sexualisierenden und dämonisierenden Darstellungen von Figuren wie Helena, Lilith, Salome und weiteren. Eine Aneinanderreihung männlicher Blicke, die misogyn auf Frauenkörper starren. Selten ist in der dicht gehängten Ansammlung von Bildern eine nicht-männliche Position zu finden, ebenfalls unregelmäßig eine zeitgenössische Arbeit.

Selten ist in der dicht gehängten Ansammlung von Bildern eine nicht-männliche Position zu finden.

Und wenn sich doch mal eine zeitgenössische Perspektive findet, bleibt sie eher ein Randkommentar in einer Bilderflut von circa 200 Werken voller Männerfantasien. Das ist schade, denn zum Beispiel die Videoarbeit »Das Schöne muss Sterben« von Gloria Zein, die sich ironisch Schönheitsrituale aneignet und damit den Abschied von patriarchalen Sichtweisen in der Kunst einläuten will, geht darin unter.

Auch eine Video- und Tapeteninstallation »Six Acts« von Sonia Boyce nimmt in sechs Akten bildgewaltig rassistische Weltbilder und Geschlechterrollen auseinander. In den Filmausschnitten wird eine Performance gezeigt, die einen wiederkehrenden Skandal in der Kunstszene aufgreift: In der Manchester Art Gallery wurde symbolisch das Bild »Hylas und die Nymphen« abgehängt. Das Bild zeigt, wie sieben nackte Nymphen mit jeweils langem roten Haar den jungen Liebhaber des Gottes Herakles in einen Teich voller Seerosen locken. Die Szene vermittelt die Botschaft, dass der Jüngling der Schönheit der heimtückischen Mädchen machtlos gegenübersteht. Mit dem Abhängen des Bildes wurde an der nun leeren Wand Raum geschaffen, der die Besucher*innen einlud, sich mittels Post-its interaktiv mit weißen Schönheitsidealen und Geschlechterrollen auseinanderzusetzen, denen rassistische Weltbilder zugrunde liegen. Skandal! Cancel Culture! – Wo kommen wir denn hin, wenn diese Bilder nicht mehr gezeigt werden dürfen? Eine Antwort ist: In die Hamburger Kunsthalle, denn dieser gelingt es nicht, die kritische Auseinandersetzung mit der »Femme Fatale« ernsthaft aufrechtzuerhalten. Progressive Sichtweisen werden eher fragmentarisch und stellvertretend aufgezeigt. Patriarchale Blickweisen dominieren und mit dem binären Geschlechtersystem wird an keiner Stelle nachhaltig gebrochen. Von einer feministischen Ausstellung kann darum bedauerlicherweise keine Rede sein.

Zugutehalten könnte man den Ausstellungsmacher*innen, dass an einer Stelle ein bisher wenig populärer Aspekt der Kunstgeschichte aufgezeigt wird: die Verknüpfung antisemitischer Ideologie mit der Darstellung weiblicher Körper. Neben den etwas bekannteren Stereotypen wurden in vielen Epochen der Kunstgeschichte Bildelemente, die Schönheit, Intelligenz, Reichtum oder »Orientalismus« symbolisieren, zur visuellen Diffamierung jüdischer Menschen verwendet. Aber auch hier wäre ein tieferer Blick auf mehr als zwei Werke wichtig gewesen – vor allem vor dem Hintergrund der Diskussionen um die documenta fifteen im vergangenen Jahr. Inwiefern ist antisemitische Bildsprache in der Kunstgeschichte verankert, wie äußert sie sich gemeinsam mit Misogynie in der Kunst heutzutage?

Eingekaufter Feminismus

Immer wieder wird man auf das Begleitheft des Missy Magazine zurückgeworfen. Dieses leitet – im Gegensatz zu den knappen Wandtexten – fundierter in Begriffe wie den »Male Gaze« ein, der seit den 1970er Jahren eine feministische Analysekategorie für die Objektifizierung von Weiblichkeit, Schönheitsnormen und heterosexuellem Begehren in Kunst und Kultur bietet. Außerdem sind darin wichtige Impulse zu finden: Es wird beispielsweise dazu angeregt, über die offene Frage nachzudenken, ob es einen non-binären Blick überhaupt geben kann. Die Broschüre problematisiert weiße Schönheitsideale, Rassismus und Intersektionalität mithilfe einführender Texte. Doch das Heft kann nicht über den Eindruck hinwegtäuschen, dass sich die Hamburger Kunsthalle gern den hippen Feminismus aus Berlin eingekauft hat, anstatt selbst ihre Arbeit zu tun – denn sie verankert all die klugen Hintergründe, die das Missy Magazine anbietet, nicht in ihrer Konzeption. 

Antifeministischen Vernichtungsfantasien wie zum Beispiel von Otto Greiner, in dessen Werk mit dem Titel »Der Mörser« Frauenfiguren mit einem überdimensionierten Penis zermalmt werden, wird kaum etwas entgegengestellt. In den letzten Jahrzehnten haben sich bereits so viele feministische Künstler*innen an diesen Themen abgearbeitet, warum treten sie so wenig als Gegenspieler*innen in Erscheinung? Erst im letzten Viertel der Ausstellung finden sich künstlerische Positionen, die von Umdeutungsprozessen der Femme Fatale als selbstbestimmtes Subjekt erzählen. Aspekte wie Androgynität oder fluide Geschlechterrollen finden Einzug in Fotografien, Malereien und Grafiken.

Natürlich kann Vollständigkeit in einem Diskurs kein realistischer Anspruch für eine Ausstellung sein. Trotzdem bleibt eine Verwirrung über die Auswahl der Werke und ihre Anordnung zurück. Die wenigen zeitgenössischen Positionen, die intersektionale Zusammenhänge und selbstbestimmte Perspektiven aufgreifen sollen, wirken wie zögerliche Gesten, beinahe entschuldigend für ihre Stellvertretung.

Was die Inhalte versprechen, spiegelt die Ausstellung leider nicht wider, von Intersektionalität und einem kritischen Blick in die eigene Richtung, die Kunsthalle und wie sie den Kanon der Kunstgeschichte mitgestaltet, ist wenig zu entdecken. Die Kunsthalle suggeriert, sie würde sich in einen aktuellen Debattenstand einreihen – doch sie verfehlt diesen sowohl, was künstlerische als auch aktuelle feministische Diskussionen betrifft. Die Ausstellung ist vor allem eins: Ein Kassenschlager, der ein junges, feministisches Publikum anlockt, viele enttäuscht zurücklässt und bezüglich eines weiterführenden Wandels in der Institution selbst entmutigt. Übrigens dürfen wir uns am Ende des Jahres mal wieder auf eine Caspar David Friedrich Ausstellung »freuen«. Ein fataler Zwischenstand.

Anne Meerpohl

schreibt in freudiger Erwartung des Endes des Patriarchats. Sie lebt in Hamburg und beschäftigt sich mit queerfeministischen Themen in Form von Illustrationen, Malerei und Texten. Im Fokus steht dabei eine Utopie von Geschlechtlichkeit, Sexualität und Körpern.