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Extinction Rebellion auf dem Mars

Neues von der Besiedlung des Alls

Von Jan Ole Arps

Foto: Screenshot SpaceX

They can’t stop us all!« Über 1,5 Millionen Menschen meldeten sich unter diesem Motto für den 20. September auf Facebook zum Sturm auf die Area 51 an, jenes geheimnisvolle US-Militärgelände im Bundesstaat Nevada, auf dem wahlweise »neue Flugzeuge getestet« (US-Militär) oder Außerirdische festgehalten werden sollen. Zwischenzeitlich war die Aufregung groß, Militäreinheiten probten Szenarien für die Verteidigung des Areals, Medien spekulierten über mögliche Todesopfer. Am Ende kamen ein paar Hundert Alienfans in die Wüste von Nevada und feierten eine friedliche Party. Verletzt wurde niemand, gestürmt wurde auch nichts.

Das umgekehrte Ziel – nichts wie weg hier – verfolgt der Tesla-Chef und Gründer des Raumfahrtunternehmens SpaceX, Elon Musk, der die Besiedelung des Mars anstrebt. Während die US-Raumfahrtbehörde NASA ihre Ambitionen zur Expansion ins All nach dem Ende der Systemkonkurrenz massiv zurückschraubte, ist Musks Space-Euphorie ungebremst. Ende September präsentierte er die Transportrakete »Starship«, die in den nächsten Monaten Testflüge absolvieren, anschließend Tourist*innen um den Mond fliegen, ab 2024 dann Menschen zum Mars bringen soll. Bis zu 100 Passagiere sollen in ein »Starship« passen, außerdem ein Starterset für den Bau menschlicher Siedlungen. Der Weltraumtransporter mit der rostfreien Edelstahlverkleidung soll nicht nur in großer Zahl produziert werden, sondern auch mehrfach einsetzbar sein, um, beladen mit tonnenweise Material, zwischen Mars und Erde hin und her zu pendeln. In den 2060ern, so Musks Vision, könnten bereits bis zu einer Million Menschen in der Neubausiedlung auf dem Mars leben.

In den 2060ern, so Elon Musks Vision, könnten bereits bis zu einer Million Menschen auf dem Mars leben.

Musk, der auch in der Künstlichen Intelligenz und diversen anderen Industrien aktiv ist, beschrieb seine Motivation bei der Präsentation der Rakete im texanischen Boca Chica so: »Bewusstsein ist ein rares und wertvolles Gut, und wir sollten alles tun, um sein Licht zu bewahren, egal, was es kostet.« Deshalb solle die Menschheit zur »multiplanetaren Spezies« werden, intelligentes Leben dürfe nicht auf die Erde begrenzt bleiben. Und: »Wir sollten uns beeilen.« Musks Sorge gilt weniger der Selbstzerstörung der Menschheit durch den rücksichtslosen Verschleiß der Umwelt, er fürchtet, dass ein Asteroid oder ein dritter Weltkrieg das eventuell einzige intelligente Leben im Universum auslöschen könnten. Um das Risiko der Vernichtung durch einen lucky shot aus dem All zu minimieren, sollten dringend ein paar Backup-Planeten besiedelt werden.

Auch wenn Musks Mars-Mission ihre Fans hat, sind nicht alle von den Ideen des Multimilliardärs begeistert. Zu den Skeptikern gehört die NASA, die ungeduldig auf die bei SpaceX bestellte Rakete wartet, die Astronaut*innen zur Raumstation ISS fliegen soll. Auch gibt es Zweifel an Musks Zeitplänen, die sich schon öfter als etwas zu optimistisch erwiesen haben. Zudem müssten diverse Technologien, die für die »Kolonisierung« des Mars gebraucht würden, erst noch entwickelt werden. Und so weiter. Anfang Oktober wurde nun ein weiterer Einwand laut, eine Art Extinction Rebellion der Weltraumwissenschaft: Die Besiedlung des Mars durch Musk und seine Mitreisenden könnte außerirdisches Leben bedrohen, klagten Forscher*innen. Derzeit durchforsten Mars-Rover der NASA die Oberfläche des Roten Planeten nach allem möglichen. Wenn ab 2024 unter Musks Führung die ersten Menschen auf dem Mars aufschlagen, sei nicht mehr zweifelsfrei zu klären, ob Spuren von Leben (so es sie gibt) tatsächlich vom Mars stammen, oder ob es Importpartikel der Space-Touris von der Erde sind. Vor allem aber könnten menschliche Bakterien etwaigen Mars-Mikroben den Garaus machen.

Trotz wiederverwendbarer Raketen, Solarpanels und Auslöschungsrhetorik kann man Musks Kolonialpläne für den Mars also kaum als nachhaltig bezeichnen. Nachhaltig ist die Idee der Expansion ins All ohnehin nicht – und das nicht nur wegen des vielen Treibstoffs, der dabei verbrannt würde. Menschliches Leben ist in ein komplexes Ökosystem eingebunden, ohne das es nicht existieren kann. Kritischere Forscher*innen betonen, dass Mensch und Umwelt gar nicht getrennt voneinander gedacht werden können, die gedankliche Trennung sei das Hirngespinst eines patriarchalen Wissenschaftsverständnisses. Also vielleicht doch erst mal Extinction Rebellion auf dem Planeten, den wir bewohnen?

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.