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Die verschüttete Revolution

C.L.R. James’ Buch »Die schwarzen Jakobiner« über die haitianische Befreiung ist bis heute aktuell

Von Johannes Tesfai

Toussaint Louverture wurde oft zum Helden stilisiert, aber einen Aufstand macht man nicht alleine. Grafik: Melanie Nehls

Die Rückkehr der Haitianischen Revolution war vor allem eine akademische. 2011 erschien die deutsche Übersetzung von Susan Buck-Morss’ Essay »Hegel und Haiti«. Die US-amerikanische Professorin versuchte darin nachzuweisen, dass der deutsche Philosoph Hegel in seiner Herr-und-Knecht-Dialektik vor allem durch den Sklav*innenaufstand auf Haiti zu seiner Zeit beeinflusst war. Buck-Morss lieferte mit ihrem Essay vor allem eine strikte Hegel-Lektüre, stellte aber auch die wichtige Frage, warum dieses welthistorische Ereignis so in Vergessenheit geraten konnte.

Ein anderes Buch zur Haitianischen Revolution ist jetzt in einer überarbeiteten Übersetzung bei Dietz und b_books erschienen: »Die schwarzen Jakobiner« von C.L.R. James. Ein Buch, das sich viel mehr als kommunistische Analyse der Revolution denn als akademischer Titel versteht. 1938 erstmals veröffentlicht, schrieb der Autor, ein karibischer Marxist und wichtiger Protagonist und Propagandist der kommunistischen Linken der Zwischenkriegszeit, ein geradezu maßloses Buch.

Das liegt zum einen am Gegenstand seines Textes: Bevor Haiti ein unabhängiger Staat wurde, war es die ertragreichste Kolonie des vorrevolutionären Frankreichs. Kaffee und vor allem Zucker machte das aufstrebende Bürgertum in Europa reich. Der Zucker wurde mit einer immensen Zahl an Sklav*innen, die aus Afrika eingeschifft wurden, produziert. Im Zuge der Französischen Revolution beginnen auch in der Kolonie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, nicht nur die Monarchie in Frage zu stellen, sondern auch die Sklaverei zu bekämpfen. Ein Bürgerkrieg bricht aus, in dem die Sklav*innen um ihre Freiheit kämpfen und gegen eine Invasionsarmee von Napoleon siegen, der gerade dabei ist, Europa neu zu ordnen. Dieser Sieg gegen das französischen Ansinnen, die Sklaverei wieder einzuführen, ist wohl auch ein Grund für die bis heute fehlende Popularität der Haitianischen Revolution. Europas König*innen, Händler*innen und Industrielle hatten große Angst davor, dass sich ein Sklav*innenaufstand im profitablen Atlantikhandel wiederholen könnte. Der Text ist aber auch maßlos, weil er inhaltliche Verbindungen knüpft, die bis heute für theoretische und politische Diskussionen sorgen. Es geht um transnationale Räume wie den Atlantik, um Fragen von Rassismus und Klassenkampf und um vermeintliche Unterentwicklung.

Dieser Sieg gegen das französischen Ansinnen die Sklaverei wieder einzuführen, ist wohl auch ein Grund für die bis heute fehlende Popularität der Haitianischen Revolution.

Antirassismus und Klassenkampf

»Die schwarzen Jakobiner« ist zugleich ein antikolonialer Text, der seine Gegenwart 1938 kommentiert. Immer wieder betont James, dass Probleme aus der Haitianischen Revolution auf das damals noch kolonisierte Afrika übertragbar wären. Zugleich soll das Buch zum antikolonialen Kampf ermutigen, weil für James der haitianische Fall so etwas wie eine Unabhängigkeit vom sogenannten kolonialen Mutterland überhaupt denkbar macht.

Das Buch vereint die beiden großen Themen in James’ politischer und theoretischer Betätigung: Antirassismus und Klassenkampf. Der ehemalige Trotzkist organisierte in seiner Londoner Wohnung Diskussionszirkel über Panafrikanismus und Marxismus und war mit amerikanischen Marxist*innen in regem Austausch. Er versuchte in den 1940ern Schwarze Landarbeiter*innen in den USA zu organisieren, diskutierte aber auch mit Jomo Kenyatta und Kwame Nkrumah eine mögliche Dekolonisierung Afrikas. Kenyatta wurde später Präsident von Kenia und Nkrumah von Ghana. Im englischsprachigen Raum zählt James bis heute zu einem der Hauptvertreter der Johnson-Forest Tendency, einer eigenständigen Strömung des Marxismus, die sich der Kritik des sowjetischen Staatssozialismus verschrieben hatte, aber auch zu Fragen des Kolonialismus Texte veröffentlichte.

Stark ist »Die schwarzen Jakobiner« vor allem da, wo der Autor genau versucht, die Klassenverhältnisse während der Revolution auf der Karibikinsel zu verstehen. Und es liest sich zeitweise wie Karl Marx’ berühmte Studie »Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte«. Fand Marx dort die Parzellenbauern vor, die das Zünglein an der Waage waren, ob Louis Bonaparte nun seinen Putsch durchsetzen konnte oder nicht, sind es bei James die Gens de Couleur, die oft die Seiten wechseln und eine rassifizierte Zwischenklasse bilden. Die Kinder weißer und Schwarzer Eltern hatten in San Domingo, wie Haiti als Kolonie hieß, eine gesellschaftliche Sonderstellung. Sie waren zwar oft frei, aber unter den Weißen in der gesellschaftlichen Hierarchie. Da sie aber Eigentum erwerben konnten, wurden viele von ihnen schon vor der Revolution sehr wohlhabend. Zugleich waren sie im Alltag Lynchjustiz und Benachteiligungen ausgesetzt, die an die Gewalt der Jim-Crow-Ära in den USA erinnerte. Eine der Parallelen, die die dieses Buch so nebenbei erwähnt und damit oft mehr über das Wesen und die Kontinuität des Rassismus aussagt, als manch anderes Buch heutzutage.

Klassenanalyse des Aufstands

Zwischen den Schwarzen Sklav*innen und den armen und reichen Weißen der Kolonie sorgten Gens de Couleur für eine spezielle Dynamik im Haitianischen Bürgerkrieg. Für arme Weiße war die ausbrechende Revolution in Frankreich eine Möglichkeit, in der Kolonie materiell aufzusteigen, und sie sahen die nicht-weißen Mitbürger*innen als Konkurrent*innen an. Die Gens de Couleur schlugen sich erst auf die Seite der Konterrevolution, um die Sklaverei und ihr Eigentum zu sichern, waren sie selbst ja zum Teil Grundeigentümer*innen. Im Laufe der Revolution setzten sie sich aber für den Sturz der Monarchie ein, da die Revolution ihnen volle Bürger*innenrechte ermöglichen konnte, wie die Gleichheit vor dem Gesetz. Die Plantagenbesitzer*innen hingegen waren gegen die Emanzipation der Gens de Couleur, denn das hätte das rassistische Konstrukt der Sklaverei als solches ins Wanken gebracht.

Der Historiker Andreas Eckert nannte »Die schwarzen Jakobiner« mal einen Klassiker der Globalgeschichte. Bei der Lektüre wird klar, warum. Nicht nur, dass James die Verflechtung durch den atlantischen Dreieckshandel zwischen Afrika, Europa und der Karibik aufzeigt, sein Buch ist auch eine Geschichte der Französischen Revolution von der anderen Seite des Atlantiks. Es stellt sich schon die Frage, warum die meisten Abhandlungen über die Französische Revolution Haiti komplett aussparen. Denn sowohl die zeitweilige Aufhebung der Sklaverei, als auch ihre Wiedereinführung und die Entsendung einer Armee, um die revolutionären Sklav*innen zu stürzen, war Thema in Frankreich: in revolutionären Clubs, in Debatten des Nationalkonvents (das Parlament während der Revolution) oder unter Napoleons Regierungsstab. Die Geschichte der Französischen Revolution ist von Haiti nicht zu trennen und umgekehrt.

Schwach ist das Buch dort, wo James versucht, den wichtigsten General der Haitianischen Revolution, Toussaint Louverture, zum Helden zu stilisieren. Oft lesen wir davon, welch kluge Entscheidungen dieser traf und wie sehr er den einfachen Leuten verbunden war. Wohlwollend könnte man sagen, dass James 1938 gegen starke rassistische Ressentiments anschrieb, in denen eine Revolution und eine Armee, die nur von Schwarzen organisiert wurde, so unvorstellbar für viele Weiße dieser Zeit war wie schon 1789. Aber dieser Zugang schmälert ein wenig den klugen klassenanalytischen Zugang, den das Buch auszeichnet.

Ein Buch mit Folgen

Die analytische Perspektive, die James mit seinem Buch eröffnet, ist so bedeutend, dass der US-amerikanische Politikwissenschaftler Cedric J. Robinson James als den Begründer eines eigenständigen Schwarzen Marxismus ansieht: zum einen, weil James die vermeintliche Peripherie, die Kolonien, ins Zentrum rückt, weil dort produziert wird. Zum anderen wurde auf Haiti Zuckerrohr angebaut, eine arbeitsintensive und frühindustrielle Form der Produktion, was bei James den Unterschied zwischen Sklaverei und freier Lohnarbeit verwischen lässt. Nicht wenige Akademiker*innen im englischsprachigen Raum, die ihre Studien auch als Teil einer aktivistischen Theorie verstanden, haben sich auf die Prämissen von James eingelassen. Wenn Peter Linebaugh und Markus Rediker in ihrem Buch »Die vielköpfige Hydra« ein transatlantisches und multiethnisches Proletariat entdecken, schließen sie in ihrer Geschichtsschreibung ausdrücklich Sklav*innen mit ein.

»Die schwarzen Jakobiner« ist im englischsprachigen Raum seit vielen Jahren Stichwortgeber, aber nicht nur für kritische Stimmen an den Universitäten. Denn es war in Vielem seiner Zeit voraus. In den 1930ern war das Buch auch ein Vorschein auf die kommenden Aufstände. Eine globale Schwarze Bewegung wie Black Lives Matter war auch mit James’ Analyse denkbar. Aber sein Konzept einer Schwarzen Arbeiter*innenklasse, die diesseits und jenseits des Atlantik in Kämpfe tritt, finden wir in fast jedem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Immer wieder mit den beiden gleichen Themen: Rassismus und Armut oder mit anderen Worten Antirassismus und Klassenkampf.

C.L.R. James: Die schwarzen Jakobiner. Toussaint Louverture und die Haitianische Revolution. Herausgegeben von Philipp Dorestal und Çiğdem Inan. b_books, Dietz Berlin, Berlin 2021. 364 Seiten, 20 EUR.

Das Buch kann bei Abschluss eines ak-Jahresabos als Prämie gewählt werden.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.