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Arbeitsverweigerung der Justiz

Die Ausstellung »Three Doors« untersucht das rassistische Attentat von Hanau und den Mord an Oury Jalloh mithilfe von Forensic Architecture

Von Zara Momand

Die Ausstellung in Frankfurt zeigt unter anderem eine Rekonstruktion der Geschehnisse in der Arena Bar in Hanau, in der der Täter mordete. Foto: Norbert Miguletz, copyright: Frankfurter Kunstverein

Im Frankfurter Kunstverein wurde am 2. Juni die Ausstellung »Three Doors – Forensic Architecture/Forensis, Initiative 19. Februar Hanau, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« eröffnet, welche systemischen Rassismus und Behördenversagen in Form von vorhandenem Beweismaterial und architektonischen Analysen auf Wände und Bildschirme bringt. Dabei stehen die »drei Türen« jeweils sinnbildlich für Fälle und Orte, in denen die deutsche Justiz nicht nur versagt hat, sondern Mitschuld trägt.

Der Großteil der Ausstellung widmet sich den Ergebnissen zum Attentat in Hanau. Die erste Tür repräsentiert den blockierten Notausgang der Arena-Bar, die am 19. Februar 2020 zu einem der Tatorte neun rassistischer Morde wurde. Die zweite symbolisiert die Haustür des Täters, die nach klaren Erkenntnissen eine fragwürdige Arbeitsweise seitens Polizei in derselben Nacht deutlich macht. Die dritte Tür stellt den Fall des aus Sierra Leone stammenden Oury Jallohs dar, der 2005 in Dessau in einer regelmäßig überwachten Gewahrsamszelle gefesselt verbrannte.

Forensic Architecture wurde zusammen mit seiner Berliner Schwesteragentur Forensis von unter anderem der Initiative 19. Februar dazu beauftragt, offene Fragen im Zusammenhang mit den Anschlägen zu untersuchen und Material für eine Reihe von Zwecken in juristischen, politischen und kulturellen Foren sowie für Medien, Aktivismus und Lobbyarbeit zu erstellen. An den Wänden des Frankfurter Kunstvereins erstrecken sich nun Chroniken, die bis ins kleinste Detail veranschaulichen, wann, wo und wie sich die Geschehnisse in der Tatnacht in Hanau abspielten. Ebenfalls ausführlich aufgelistet werden staatliche Ermittlungsschritte und -abschlüsse, die den betroffenen Familien bis heute nicht die nötige Klarheit liefern können.
Dass die Polizei in der Tatnacht fahrlässig und unsauber arbeitete, war bereits bekannt: Der Notruf war unterbesetzt, Opfer wurden vor Ort nicht umgehend versorgt und Familien nicht über den Tod ihrer Angehörigen informiert.

»Three Doors – Forensic Architecture/Forensis, Initiative 19. Februar Hanau, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«

wird noch bis zum 11. September 2022 im Frankfurter Kunstverein ausgestellt und zeigt auch vier weitere Arbeiten zur laufenden Arbeit der »Gegenforensik« von Forensic Architecture. Die ausgesuchten Untersuchungen erforschen rassistisch motivierte Fälle in Europa und in den USA. Sie ermitteln und werfen kritische Fragen zu nationalem und internationalem systemischem Rassismus sowie Menschenrechtsverletzungen auf.
In Gedenken an Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu
und Oury Jalloh. In Gedenken an alle von rassistischer Gewalt Betroffenen; all jenen, denen Gerechtigkeit verwehrt wurde und auch jenen, deren Namen sich nicht in unser Gedächtnis eingebrannt haben.

Dabei blieb es jedoch nicht. Forensic Architecture und Forensis werteten in ihrer brillanten wissenschaftlichen Arbeit Video- und Tonmaterial aus, stellten Räume, Laute, Bewegungen, Geschwindigkeiten und Abfolgen auch unter Berücksichtigung von Störfaktoren nach und konnten Einblicke gewinnen, die in dieser Form bisher nicht existierten. Es wurde ermittelt, dass alle fünf Personen, die aus der Arena-Bar flüchten wollten, dies hätten schaffen können, wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre. Videoaufnahmen zeigen auch, dass das Haus des Täters nicht ausreichend abgeriegelt worden war und das SEK dieses über Stunden hinaus nicht stürmte; er hätte unbemerkt weiterhin morden können.

Außerdem sind die Aussagen des Vaters des Attentäters nicht nachvollziehbar: Er habe die Schüsse des Täters innerhalb des Hauses nicht identifizieren können, Geräuschanalysen hingegen sind anders zu deuten. Zudem geht aus den Tonaufnahmen des Polizeihubschraubers hervor, dass keine klare Kommunikation zwischen den Einsatzkräften stattfand und die Flugroute ziellos verlief. Verantwortung für diese Art von Desinteresse und Arbeitsverweigerung wurde bisher nicht übernommen. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Bundesanwaltschaft stellten ihre Ermittlungen 2021 ein, obwohl im Juni bekannt wurde, dass 13 der 49 hessischen Polizisten, die an rechtsextremen Chatgruppen teilnahmen, in genau jener Nacht eingesetzt worden waren. Erst anschließend wurde ein Untersuchungsausschuss zum Behördenversagen eingeleitet.

Auch im Falle Oury Jallohs konnten Erkenntnisse gewonnen werden. So wurden in Zusammenarbeit mit der Initiative In Gedenken an Oury Jalloh Rauchflecken an der Zellentür analysiert, die darauf hindeuten, dass er wahrscheinlich von den Polizeibeamten, die ihn in Gewahrsam hielten, ermordet wurde. Das forensische Gutachten ergab zudem, dass er vor seinem Tod schwer misshandelt wurde.

Die durch Forensic Architecture aufbereiteten Ergebnisse zeigen exemplarisch das gewaltige Ausmaß strukturellen und institutionellen Rassismus auf.

Man könnte meinen, ein Rechtsstaat und seine Exekutive stünden immer für Gerechtigkeit ein und die Justiz handle entsprechend fair – Anderes zeigt sich jedoch vor allem in Fällen, in denen Menschen von rassistischer Gewalt betroffen sind.
Die durch Forensic Architecture aufbereiteten Ergebnisse zeigen exemplarisch das gewaltige Ausmaß strukturellen und institutionellen Rassismus auf, sowie die systematische Arbeitsverweigerung von Ermittlungsbehörden und Justiz. Überlebende, Trauernde, Bedrohte müssen offenbar selbst die Arbeit der eigentlich Zuständigen übernehmen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als selbst lückenlose Aufklärung zu ermöglichen, Spenden zu akquirieren und öffentliches Bewusstsein zu schaffen. Bis heute warten die betroffenen Familien auf Einsicht, auf eine Entschuldigung und die Übernahme von Verantwortung, die ihnen vermutlich nicht viel geben kann, aber mehr als zusteht, nachdem ihnen so viel genommen wurde.

Zara Momand

studiert Psychologie in Frankfurt am Main und ist seit 2016 unter anderem als Dolmetscherin in Asylverfahren tätig. Sie arbeitet mit Geflüchteten im klinisch-psychologischen Kontext und widmet sich der Bildungsarbeit über ungleiche Strukturen in der psychologischen Versorgung.