Die Schubladen der alten Tante
Ihr haltet die 700. ak-Ausgabe in den Händen – was ihr in den letzten 52 Jahren verpasst habt
Von ak-Redaktion
700 Ausgaben ak – und nicht mal eine Fete gibt´s. Stattdessen sind wir für euch in die Katakomben hinabgestiegen und haben Skurriles, Ikonisches, leider Verlorenes und glücklicherweise Überwundenes aus 700 Ausgaben ak – analyse & kritik (bzw. bis 1991 Arbeiterkampf) ausgegraben.
1983 Gewaltdebatte
»Kinderkacke« sei das, was heute unter Militanz verstanden würde, klärte uns jüngst eine ältere ak-Genossin beim gemeinsamen Abendessen auf. Da habe man früher ganz andere Seiten aufgezogen. Behelmt nach Brokdorf, mit Tauen die Zäune einreißen, mit Teppichen über den Nato-Draht. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis wir mit unserem Stichprobenverfahren auf Texte zur Militanzfrage stießen und feststellen konnten: Die Genoss*innen von damals pflegten ein erfrischend pragmatisches Verhältnis zur Militanz. Wir zitieren aus ak 234, Seite 9: »Die Auseinandersetzung und der Kampf um Krieg oder Frieden wird mit Sicherheit die zentrale gesellschaftliche Frage der kommenden Jahre. Leider lässt es der Fahrplan der herrschenden imperialistischen Kräfte nicht zu, in Ruhe eine Strategie nach der anderen auszuprobieren. Und da alle Erfahrungen darauf hindeuten, dass die Imperialisten sich durch friedliche Mittel nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen werden, muß alles getan werden, um einen Ausschluss von gewaltsamen Mitteln gegen die Kriegsvorbereitungen aus der Friedensbewegung zu verhindern.« Ende der Diskussion. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Foto-Policy
Es gab wirklich viel zu sehen im Arbeiterkampf. Bilder über Bilder. Ausdrucksstark, wie wir es uns heute so manches Mal wünschen. Aber um ehrlich zu sein: Sie haben geklaut wie die Raben, unsere lieben Kolleg*innen vom KB. Einfach ein Bild aus dem Spiegel ausschneiden und zack, fertig ist das Seitenlayout. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn auch Fotograf*innen wie Hartmut Wojahn oder Marily Stroux haben ak mit teils epischen Bilderstrecken verschönert. Ihre Werke liegen noch immer in unserem Bildarchiv, in das wir oft staunend blicken. Einen Hang zum Morbiden gab es allerdings auch: Wir haben sie nicht gezählt, aber erschreckend viele Leichen pflasterten die ersten paar hundert ak-Ausgaben. Eine Foto-Politik, von der sich zum Glück schon einige Redaktionen vor uns verabschiedet wurde.
Jürgen/Stuttgart
Apropos Leichen: In 52 Jahren sammelte sich die eine oder andere Leiche im Keller an. Darunter Jürgen/Stuttgart, also known as Jürgen Elsässer. Ja, der rechte Hetzmeister war tatsächlich mal Mitglied im KB und ja, er schrieb auch in ak. Damals gegen Atomkraft, heute gegen Windräder. Damals gegen Antisemitismus, heute Antisemit. Damals Antideutscher, heute einer, der dem deutschen Faschismus zur Macht verhelfen will. Wie das geht, wusste Jürgen/Stuttgart schon in den 1990er Jahren, als er in ak 315 schrieb: »Deutsche sind für die Propagierung faschistischer und expansionistischer Ziele über das Medium Nationalismus anfälliger als Angehörige anderer Völker.« Jürgen/Stuttgart, du bist schlecht gealtert! Heute macht Jürgen/Stuttgart sich mit Autobiografien wie »Ich bin Deutscher: Wie ein Linker zum Patrioten wurde« die Taschen voll. Dabei hätten alle, die so gern etwas über sein Leben erfahren wollen, nur einmal bei einer unserer älteren Genossinnen nachfragen brauchen: Die sind sich nämlich ziemlich einig, dass Jürgen/Stuttgart schon immer »ein chauvinistischer Widerling« gewesen sei, und mehr muss man über Jürgen/Stuttgart eigentlich auch nicht wissen.
Wir fragen uns: Welche Puschen würde ein BSW-Männchen tragen?
Die »Karis«
ak ist ein Langstreckenlauf und irgendwo auf dem Weg haben wir die »Karis«, aka Karikaturen, verloren. Schade, denn die »KBW-Puschenmännchen« haben es uns beim Stöbern in den roten Archiv-Bänden besonders angetan. Die karierten Pantoffelträger symbolisierten die Genoss*innen des KB-Nachbarprojekts KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland). Vor diesem Hintergrund haben wir uns gefragt, welche Puschen ein BSW-Männchen wohl hätte? Sollen wir die Karis zurückholen? Schreibt es uns in die Leser*innenbriefe.
Jetzt wird zurückgepöbelt
Aus ak 244 aus dem Jahr 1984 erfuhren wir, dass es einst die Möglichkeit gab, als Redaktion direkt auf Leser*innenbriefe zu antworten: »Fragen eines lesenden Redakteurs: Was wollen die Autorinnen und Autoren dieses Leserbriefs uns nun eigentlich sagen? Dass mal wieder über die Perspektiven des KB und des AK diskutiert werden sollte? Ja, warum eigentlich nicht? Aber warum fangt ihr nicht gleich damit an? Und warum werden Leserbriefe nicht so verfasst, dass sie auch von Redakteuren ohne Gebrauchsanweisungen verstanden werden können?« Lieber ehemaliger Kollege, wir fühlen, was du fühltest. Auch Redakteur*innen brauchen hin und wieder eine Emorunde.
Knapp daneben, ist auch vorbei
Viele, aber nicht alle Texte der letzten 700 Ausgaben waren von analytischer Scharfsichtigkeit geprägt. In ak 232 von April 1983 machte sich die Kinderkommission des KB Gedanken um den neuen Videospiele-Hype und kam zu dem Schluss, dass »die Herrschenden den Kindern immer das Spielzeug verpasst haben, das ihren jeweiligen ökonomischen und politischen Zielen entsprach. Da ist es nur logisch, wenn angesichts der Kriegsvorbereitungen und einer computerisierten Arbeitswelt Kinder und Jugendliche mit den Killer-›Spielen‹ auf den aktuellen Stand der Kriegstechnik…« gebracht würden. Jetzt fragen wir uns: War Pacman ein Killerspiel?
Einige Jahre später, im April 1995, befasste sich ein geschätzter ehemaliger Redakteur dann mit der sich nun in vollem Gange befindlichen »digitalen Revolution« und ihren Folgen. »Die Versuche des Spiegel oder der Süddeutschen, die ›elektronische Zeitung‹ zu etablieren«, resümierte der Kollege, würden von Fachleuten mit Skepsis beobachtet. Denn zumindest das »Massenpublikum erwarte auf dem Bildschirm keine Zeitung, sondern Action«. Dieser Spirit hat bei ak zwar erstaunlich lange überlebt (ja, wir haben das Internet als Zeitung erst 2020 für uns entdeckt). Doch die Print-Krise greift inzwischen überall um sich.
Burn Dixie-Klo, Burn!
Ist das noch Kritik an Festivals, oder ist das schon »Hate Speech aus Lustfeindlichkeit« (Bilke Schnibbe in ak 674)? Das kann man sich fragen, wenn man sich die gesammelten Rants über die Festival-»Kultur« in ak mal in der Gesamtschau reinzieht. Beginnen wir mit dem Artikel mit der Überschrift »Zwischen Hippie und Pipi« aus dem Jahr 2002, in dem die Frage gestellt wurde: »Was bringt Menschen dazu, ein oder mehrere Wochenenden im Sommer stundenlang im Auto zu sitzen, für Eintrittskarten bis zu 150 Euro hinzulegen, um dann zu überhöhten Preisen schlecht gezapftes Bier zu trinken oder auf das selbstmitgebrachte, mittlerweile lauwarme Bier aus der Dose zurückzugreifen?« DJ Tommy, Autor des Textes, kam zur Conclusio, dass Festivals nichts anderes als ein »alternatives Schützenfest« seien. Ob nun Hippies oder Metaller, Fans fanden die Festivals auch 2007 nicht bei ak. Nicole Vrenegor nannte ihren Text »From Wacken to hell« und beschrieb die Situation im norddeutschen Wacken so: »Schlammbeschmierte Metaller halten den Stinkefinger in die Kamera, in Spitzenblusen gekleidete Landfrauen singen im Gemeindechor.« Rund zwölf Jahre später, im Jahr 2019, hatte sich die Sache nicht zum Besseren gewendet. So schrieb JT1R im Rant über das Fusion Festival: »Was mir vorab als Paradies verkauft wurde, stellte sich schnell wie die Hölle auf Erden dar.« Den Vogel abgeschossen hat letztlich Bilke Schnibbe in der Kolumne »Geh bitte. Fusion Festival« in ak 674: »Ferienkommunismus ist das Recht, sich auch trotz Pandemie mal wieder schön ein paar Drogen reindübeln zu dürfen, weil ›Feiern‹ ein Kulturgut ist, das geschützt werden muss vor den überzogenen Corona-Maßnahmen. (…) Ferienkommunismus ist, wenn man sich vormacht, dass mal wieder schön durch den Tisch zu treten Widerstand gegen das System ist. Selbstfürsorge ist ein politischer Akt, das hat doch auch diese eine Schwarze Feministin gesagt. Weil man im kapitalistischen System sehr geknechtet ist. Und als Knecht heißt es wenigstens ein paar Mal im Jahr: am Wochenende MDMA nehmen und sich am Montag bei Lohnfortzahlung krankmelden. Rebellisch.« Amen.
Anstatt die haarige Debatte auf dem Papier zu entscheiden, begab sich die Kommission damals selbst vor die Kinosäle
Die E.T.-Debatte
War »E.T.« eigentlich ein Film, der Kinder zu Solidarität, Offenheit und Antirassismus ermutigt, oder genau das Gegenteil? Wurden zentrale gesellschaftliche Probleme im Film einfach nur zu Geld gemacht? Oder sollten den Leuten nur Schuldgefühle eingeredet werden? Auch für solche Fragen war Platz im ak 231ff. Die Kinderkommission widmete sich Anfang der 1980er Jahre ausführlich den Pro und Contra-Argumenten der »E.T.«-Kritiker*innen- und Fans. So vermittle der Kinobesuch durchaus Solidarität und Verständnis für »Andersartigkeit«, hieß dies einerseits. Andererseits sei kaum zu erwarten, dass die Kinder »ihre Meinung z.B. zu ausländischen Kindern oder schwächeren, einsamen Kindern« ändern würden, vielmehr hätten diese danach vor allem »wesentlich mehr Interesse, möglichst viele E.T.-Produkte zu kaufen«. Anstatt die haarige Debatte auf dem Papier zu entscheiden, begab sich die Kommission damals selbst vor die Kinosäle, quasi die Werkstore der unter 18-Jährigen, und stellte fest: »Aber den Kindern gefällt´s«. Die Kinder der 1980er unter uns können das bestätigen.
Nazisymbole
Hakenkreuze abgedruckt, Himmler Rede nachgedruckt. Liebe Genoss*innen: Warum?
Wer ist J.?
Nur der politischen Sache verpflichtet, nutzten die Genoss*innen früher nicht ihre Namen, sondern ein Kürzel als Unterschrift unter dem Text. Ein kompliziertes Buchstaben-Code-System, in dem schon mal der Überblick verloren ging. In ak 232 auf Seite 43 lesen wir folgende Richtigstellung: »Im ak 231 wurde der Artikel ›Völkermord und Endlösung‹ mit J./Hamburg unterzeichnet. Das führte zu einigen Verwechslungen, weil ich bislang unter diesem Kürzel firmierte. Solche Verwechslungen sind schon ärgerlich, besonders, wenn sie in heftig geführten Debatten auftreten. Um´s also klarzustellen: Ich habe den Artikel nicht geschrieben.« Unterzeichnet mit: J./Schuko, Hamburg.
Time to say Sorry!
Seit den 2000er Jahren können wir uns auch entschuldigen. Hier ein best of:
ak 504 / 17.3.2006: Und last but not least ein Erratum: Der Beitrag zum AEG-Streik in ak 503 stammte nicht von der organisierten autonomie nürnberg, sondern von Bernd Moser, Nürnberg. Sorry für den Irrtum.
Ak 577 / 16.11.2012 P.S.: Lieber Romin Khan, wir wissen natürlich, dass du nichts mit diesem Fußballerspieler zu tun hast. Für diesen peinlichen Fehler bitten wir um Entschuldigung!
Ak 600 / 16.12.2014: In den letzten Ausgaben haben wir gleich zwei Mal behauptet, das Sozialistische Büro (SB) hätte sich 1997 aufgelöst. Richtig ist: Das SB gibt es immer noch. Wir bitten um Entschuldigung und verweisen die Genoss_innen auf das Sprichwort: Totgesagte leben länger.
Modern Talking
Ein wichtiges Learning unserer Recherche könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Früher war mehr Boulevard! Wir haben mit vielen Stars und Sternchen über die Weltlage gesprochen, hier eine kleine Auswahl:
ak 232: Wolfgang Niedecken von BAP
ak 247: Anhänger der Bhagwan-Sekte
ak 244: Erich Fried, österreichischer Lyriker und Übersetzer
ak 326: Dhoruba bin-Wahad, Black Panther Party, Field Secretary
ak 370: Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen
ak 305: Wolf Biermann zur sozialdemokratischen Friedens- und Abrüstungspolitik
ak 519: Judith Butler, US-amerikanische Philosophin
ak 695: Kohei Saito, japanischer Philosoph
Die Krisen der Linken und ak
Irgendwie war die Linke offenbar schon immer in der Krise, und irgendwie gab es immer irgendwo einen Runden Tisch. So wie in dieser Ausgabe oder in der Ausgabe vom Mai 1989: »Die neue gegenseitige Gesprächsbereitschaft ist die große Tugend in der Not; aber es sollte auch nicht übersehen werden, dass es in den genannten Strömungen mittlerweile GenossInnen gibt, die im Durcheinander schwimmen, sogar tauchen können, ohne baden zu gehen. Die AK-Redaktion ist an eine Reihe von AutorInnen mit der Bitte um Artikel zum Oberthema ›Zukunft der Linken‹ herangetreten. Nicht zufällig überschneidet sich der Kreis mit denjenigen, die sich als ›Radikale Linke‹ Mitte April in Hamburg trafen. Nach dem Marburger DKP-Individualisten Georg Fülberth, in dieser Ausgabe, kommt Karl Heinz Roth zu Wort. Weiter erhoffen wir uns Beiträge von Thomas Ebermann und Rainer Trampert, Jutta Ditfurth und Hermann Gremliza. Auch AK-Redakteure wollen oder sollen und werden schließlich müssen. Die Debatte soll ihre eigene Dynamik erhalten und sich erweitern.«