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|ak 702 | Kultur

One, two, three, four

Die Ramones gründeten sich vor 50 Jahren und mit ihnen Punk – was bleibt von der alternativen Subkultur?

Von Jens Benicke

Vier Personen in Lederjacke und zerschlissenen Jeans vor einer riesigen Musikkassette, aus der das Band rauskommt.
Ihre Musik und die entstehende Subkultur war Underground. Grafik: Melanie Nehls

Im März 1974 spielten vier Gestalten in zerschlissenen Jeans, Lederjacken und Sonnenbrillen ihre ersten Konzerte in New York. Weder sie noch die wenigen Zuschauer*innen ahnten, dass hier etwas Großes geschah: Punk wurde geboren. Auf die Welt kam er im Club CBGBs. Er wurde ein Jahr zuvor gegründet, und dort traf sich ein Milieu aus Underground-Künstler*innen, Beat-Literat*innen über Musiker*innen bis zu Filmemacher*innen, dem kurz darauf ein Fanzine den Namen Punk geben sollte. Hier standen Patti Smith und Blondie auf der Bühne. Hier hing die Factory von Andy Warhol ab, und Jim Jarmusch filmte das Ganze mit seiner ersten Kamera.

Die vier Ramones waren Teil dieses Milieus. Ihre musikhistorische Bedeutung gewann die Band durch ihre Anti-Haltung. Denn Anfang der 1970er Jahre war Rockmusik in das Stadium des Größenwahns getreten. Supergroups dominierten die Bühnen. Im Musikgeschäft war scheinbar unbegrenzt Geld vorhanden, die Shows wurden immer aufwändiger, die Songs immer länger und ausgefeilter. Extravagante Bühnenoutfits gehörten zur Inszenierung. Grandios auf den Punkt gebracht wurde diese Phase der Popkultur in Rob Reiners Film »Spinal Tap«, in dem die namensgebende Band etwa bei ihren Auftritten Stonehenge auf der Bühne nachbauen ließ.

Musik ohne Allüren

Die vier Gestalten, die Ramones, machten das genaue Gegenteil. Sie betraten die Bühnen in abgewetzten Straßenklamotten und spielten nur zwei bis drei Minuten lange Songs, die sich auf das Wesentlichste konzentrierten. Hier gab es keine Gitarren- oder gar Keyboardsoli, es gab ja noch nicht mal ein Keyboard, aber auch keine Intros, keine Übergänge, keine Spielereien, nur puren, konzentrierten Rock’n’Roll. Sie standen zwar in der Tradition des klassischen 1950er Jahre Rock’n’Rolls der USA, aber natürlich hörte man die Einflüsse der Prä-Punk-Bands, wie MC5, den Stooges, den Dictators und den New York Dolls. Diese nahmen den Punkrock in musikalischer Sicht in Teilen schon vorweg, aber es fehlte ihnen die Einbindung in eine Bewegung, die erst später entstand.

Musikhistorische Bedeutung gewannen die Ramones durch ihre Anti-Haltung.

Auch dem Starkult ihrer Zeit entzogen sich die Ramones. Die Mitglieder der Band gaben sich alle den gleichen Nachnamen, den sie sich einem Pseudonym des Beatles Paul McCartney entliehen. Diese Reduktion passte zum New York dieser Jahre wie die berühmte Faust aufs Auge. Der ökonomische Niedergang im Gefolge der Wirtschaftskrise führten auch dort zu Deindustrialisierung und Armut. Die depressive Stimmung ließ sich doch viel eher von den kurzen und oft harten Punksongs untermalen als durch den operettenhaften Rock von Genesis oder Yes.

Allerdings kam diese musikalische Kritik vornehmlich aus kleinbürgerlichen Kunstkreisen und der Boheme und erreichte Anfangs kaum das Proletariat. Diese bestätigte unter anderem ein Musiker einer englischen Metalband, als er in einer Dokumentation über die New Wave of British Heavy Metal auf die, sehr berechtigte, Frage des Filmemachers nach dem Einfluss des Punks auf die NWOBHM antwortete: Das sei Musik für Kunststudenten gewesen. Sie dagegen seien Kids aus der Arbeiter*innenklasse und hätten sowas nicht gehört. Sie hätten nur Hardrock gehört. Black Sabbath, Deep Purple und so was.

Dieser Vorwurf bewahrheitete sich vollends, als Punk es von New York über den Atlantik nach London schaffte. Hier castete der Musikmanager Malcom McLaren eine Boyband, die die Kleider seiner Freundin, der Modemacherin Vivianne Westwood, trug und das Königreich durch provokante Aktionen destabilisieren sollte. Das gelang ziemlich gut, denn die Sex Pistols waren bald das große Ding in allen Medien der Insel. Die Alten hassten sie, und die Jungen wollten so werden wie sie. Gerüchteweise gründete fast jeder der Konzertbesucher und auch fast jede Konzertbesucherin, denn zu diesem frühen Zeitpunkt war der Punk noch nicht so männlich beschränkt wie in späteren Zeiten, eine eigene Band. Die pfälzische Hardcore-Band Spermbirds fassten diese Do-it-yourself-Attitüde des Punks später in einem ihrer Songs in die Worte »That’s the best thing about punkrock. Everyone can get on the stage.«

Dieses Selbermachen sorgte für die große Anziehungskraft von Punk. Das DIY-Prinzip setzte den künstlerischen Energien keine Grenzen. Ob Musik, Literatur, Film, Mode oder was auch immer. Alles schien möglich, und anfangs gehörte ja auch alles zusammen. Doch dann passierte mit Punk, was bisher mit allen subversiven Sub- und Gegenkulturen passierte, er wurde rekuperiert, wie die linksradikale Künstler*innen- und Aktivist*innengruppe Situationistische Internationale die Fähigkeit der kapitalistischen Gesellschaften nannte, selbst ihre Gegner*innen produktiv in die eigenen Produktions- und Reproduktionsverhältnisse zu integrieren.

Neue Dogmen

Und so verkam Punk ziemlich schnell zu einem vorgegebenen Musikstil. Und die anfängliche Offenheit und Toleranz wich einer limitierten Szene, die sich in immer weitere Subgenres ausdifferenzierte und genau einzuhaltende Szeneregeln aufstellte: Die Deutschpunker*innen tranken Dosenbier und hingen in der Fußgängerzone ab und kultivierten einen subproletarischen Lebenswandel, die Anhänger*innen amerikanischen Melodic-Punks fuhren Skateboard und trugen Sportklamotten, einige Hardcore-Subszenen ernährten sich vegan und waren Straight Edge und so weiter. Aus der kreativen Explosion der Anfangsjahre, die sich ohne Scheuklappen in allen Bereichen austobte, waren oftmals dogmatische Schubladen geworden, die nun hemmungslos kommerzialisiert wurden: »Mit Punkbands werden heute massiv Jeans verkauft«, wie die Hamburger Band …But Alive sang. So war es kein Wunder, dass sich die anfänglich starke Beteiligung von Frauen rasch minimierte. Die Band Blondie mit ihrer Sängerin Debbie Harry reagierte darauf, indem sie Disco-Musik machte, und kein*e Deutschpunker*in der 1980er Jahre hat wahrscheinlich je Patti Smith gehört. Erst in den 1990er Jahren holten sich die Frauen die Bewegung als eingenständig organisierte Riot Grrrls wieder zurück. Und trotz dieser Entwicklung hatte Punk für viele immer noch das Potenzial einer persönlichen Befreiung.

Und die Ramones? Die haben, trotz einiger personeller Wechsel und heftiger interner Konflikte, vor allem zwischen den beiden Band-Bossen Joey und Johnny, bis zu ihrer Auflösung 1996 einfach immer weiter gemacht. Trotz der persönlichen – Johnny hatte Joey seine Freundin ausgespannt und geheiratet – und der politischen Feindschaft – Joey war ein linker amerikanischer liberal, während Johnny den erzreaktionären und neoliberalen Ronald Reagan verehrte – hielten sie doch die Band immer zusammen. Sie verarbeiteten diese Konflikte sogar in ihren Songs.

So soll etwa in »The KKK took my baby away« der Ku-Klux-Klan Johnny symbolisieren, und »Bonzo goes to Bitburg« richtete sich gegen den Besuch des von Johnny verehrten US-Präsidenten an den Gräbern von SS-Männern im rheinland-pfälzischen Bitburg im Mai 1985. Doch die Band hätten sie trotz ihrer Differenzen niemals aufgelöst. Und so spielten sie bis 1996 stoisch ihre Konzerte und produzierten neue Platten. Böse Zungen behaupten ja, sie hätten eigentlich immer nur diesen einen Song gespielt, aber auch das wäre dann ja eine grandiose Reduktion aufs Wesentliche gewesen. One, two, three, four!

Jens Benicke

hatte vor mehr als 30 Jahren durch »Rockaway Beach« aus dem Radio ein Erweckungserlebnis.