analyse & kritik

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|ak 656 | Diskussion

Von links nach rechts

Gerhard Hanlosers Geschichte der Antideutschen ist Streitschrift und Nachschlagewerk zugleich

Von Jens Renner

Dieses Buch ist eine Herausforderung, besonders für diejenigen, die – wie der Rezensent – die darin dargestellten innerlinken Verwerfungen selbst miterlebt haben. Überwiegend chronologisch aufgebaut, zeigt es die Herausbildung einer ursprünglich linken ideologischen Strömung, deren Mutationen und nicht zuletzt die Karrieren einzelner Protagonisten, fast ausschließlich Männer. Der vom linken Antideutschen über mehrere Zwischenschritte zum extrem rechten »Souveränisten« gewendete Jürgen Elsässer bringt es im Namensregister auf 37 Einträge. Dieses Register macht das Buch zu einem nützlichen Nachschlagewerk. Linke Veteran*innen stoßen hier auf viele alte Bekannte, etliche mit einer Vergangenheit im Kommunistischen Bund (KB), der bis zu seiner Auflösung 1991 den Vorläufer von ak – analyse & kritik, den Arbeiterkampf (AK), herausgab.

Urheberin des Antideutschtums war aber die Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF) mit ihrem Chefideologen Joachim Bruhn (1955-2019). Das ISF bezeichnete schon 1988 Antizionismus pauschal als »neuen Antisemitismus von links«. Während darum – und um antisemitische Tendenzen in der Palästinasolidarität – seinerzeit offen gestritten wurde, war sich die deutsche Linke in den unmittelbar folgenden Wendejahren 1989/90 in einem völlig einig: Sie lehnte den Anschluss der DDR an die BRD ab. Antideutsche begründeten das mit alarmistischen Prognosen von einem bevorstehenden »Vierten Reich« und einem deutschen »dritten Griff nach der Weltmacht«, andere träumten von einer Intervention der Weltkriegsalliierten. Angesichts der um sich greifenden »nationalen Verblödung« schien ihnen linke Massenpolitik sinnlos, ja sogar als opportunistisches »Mitgestalten« der deutschen Einheit.

Für den Golfkrieg, gegen die Friedensbewegung

Zum entscheidenden innerlinken Bruch aber kam es erst Anfang 1991 im Zusammenhang mit dem Zweiten Golfkrieg. Wegen der mutmaßlich existenziellen Gefährdung Israels durch irakische Raketen, bestückt mit Giftgas aus deutscher Produktion, unterstützten die Antideutschen den Krieg der USA gegen den Irak – im Gleichklang mit den Propagandisten des deutschen Mainstreams: Der irakische Diktator Saddam Hussein sei ein »Wiedergänger Hitlers«, hatte Hans Magnus Enzensberger als Erster behauptet, während laut Henryk M. Broder die »zweite Endlösung der Judenfrage« drohte. Der Herausgeber von konkret, Hermann L. Gremliza, prägte den später vielfach variierten Ausspruch, dass mit dem Krieg gegen den Irak »aus den falschen Gründen und mit falschen Begründungen das Richtige getan zu werden scheint«. So ließ sich aus einem imperialistischen Krieg eine legitime Verteidigung Israels gegen Auslöschung und Völkermord machen. Die deutsche Friedensbewegung, die gegen den Krieg auf die Straße ging, wurde vor allem in konkret diffamiert und niedergemacht. Unerreichter Meister hierin war Wolfgang Pohrt (1945-2018), der sich allerdings später zumindest teilweise korrigierte.

Auch das verschweigt Hanloser nicht. Zugleich zeigt er, wie die antideutsche Strömung in dem Maße, wie Israel für sie immer mehr zur bedingungslos verteidigten Ersatznation wurde, den anti-arabischen und anti-muslimischen Rassismus der deutschen Rechten übernahm. Am weitesten nach rechts bewegte sich hierbei die Zeitschrift Bahamas. Viele Bahamas-Zitate, die Hanloser seinen Leserinnen zumutet, erscheinen kaum glaublich und sind dennoch authentisch. Den Vorwurf des antideutschen »Betrugs« kann er damit belegen: Die angeblichen Ideologiekritikerinnen und Adorno-Schüler*innen heulen mit den Wölfen, nur etwas schriller als die, die schon länger ihr Revier behaupten. Denen geht es um Deutschlands Macht und Größe, nicht um seine Zähmung und Abschaffung.

Querfront? Querfront!

Etwas komplizierter verhält es sich mit Hanlosers These von der »anderen«, der antilinken Querfront. Diese ist natürlich kein Organisationenbündnis, sondern eine breite ideologische Strömung, deren Mitglieder – ungeachtet ihrer unterschiedlichen politischen Herkunft – mit den gleichen »Argumenten« die Linke diffamieren und vor »dem Islam« warnen. Für einzelne Antideutsche zahlt sich das auch aus: Einige schreiben in Springers Welt oder liefern mit pseudowissenschaftlichen Studien der CDU Material gegen die Linkspartei. (ak 562) »Vor dem Hintergrund einer neuen rechten Gefahr«, warnt Hanloser, stellten »die aus dem antideutschen Projekt ins Gesellschaftliche diffundierende Haltungen eine eklatante Gefahr für jegliches kritisches Denken und das Bewahren einer radikal linken, sogar links-humanistischen Position dar«. Was das Buch auszeichnet, ist – neben der klaren und gut begründeten Warnung vor den Folgen der »anderen Querfront« – sein Detailreichtum, sind die unzähligen, mitunter fast ausufernd zitierten Quellen. Hier zeigt sich, dass der Autor sich mit der antideutschen Strömung seit vielen Jahren beschäftigt; schon 2004 veröffentlichte er als Herausgeber eine mittlerweile vergriffene Streitschrift. (1)

Auch sein neues Buch ist alles andere als trockene Geschichtsschreibung. In seiner Polemik ist ihm manch glänzende Formulierung gelungen. Ob man all die Blüten, die mehr als 30 Jahre Antideutschtum hervorgebracht haben, so genau kennen muss, ist eine andere Frage. Wer nicht die Energie zur Bewältigung der mehr als 300 Seiten aufbringt, kann das Buch als Nachschlagewerk nutzen. Künftige Autor*innen, die sich mit dem Thema befassen, werden darum nicht herumkommen. Standardwerk ist die dafür übliche Bezeichnung.

Jens Renner

war bis 2020 ak-Redakteur.

Gerhard Hanloser: Die andere Querfront. Skizzen des antideutschen Betrugs. Unrast-Verlag, Münster 2019. 343 Seiten, 18 EUR.

Anmerkung:
1) Gerhard Hanloser (Hg.): Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken. Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik. Unrast-Verlag, Münster 2004.