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Stichwahl in Ecuador

Unter Daniel Noboa entwickelte sich das Land in eine autoritäre Richtung, nun wird er von einer linken Gegenkandidatin herausgefordert – die ist nicht unumstritten

Von Frank Braßel

Zu sehen ist ein Wandgemälde mit dem Portrait von Louisa Gonzales und dem Schriftzug Louisa Presidenta 2025.
Die linke Kandidatin Louisa Gonzales steht in der Tradition des Correismus. Foto: Frank Braßel

Zum ersten Mal in der Geschichte Ecuadors könnte eine Frau zur Präsidentin gewählt werden: Luisa González von der Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution) des ehemaligen progressiven Präsidenten Rafael Correa. Sie tritt am 13. April in einer Stichwahl gegen den konservativen Amtsinhaber Daniel Noboa an. Beide erzielten im ersten Wahlgang 44 Prozent der Stimmen.

Ecuador hat sich seit der Corona Pandemie rasend schnell zum lateinamerikanischen Staat mit der höchsten Kriminalitätsrate entwickelt. Treiber dieses Prozesses ist der Handel von Kokain aus den Nachbarstaaten Kolumbien und Peru in die EU und die USA. Eine »dollarisierte« Wirtschaft und ein schwacher Staat machen Ecuador mit seiner langen Küste zum idealen Transitland. Große Teile der Eliten in Politik, Justiz, Sicherheitsbehörden und Wirtschaft sind in diesem lukrativen Geschäft involviert. Die neoliberalen Reformen, die nach dem Ende von Correas zehnjähriger Amtszeit ab 2017 unter den Folgeregierungen umgesetzt wurden, haben die Gesellschaft zerrüttet. Nur noch ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung verfügt über einen sozialversicherungspflichtigen Job. Resultat: ein großes Reservoir beschäftigungsloser junger Menschen, die von lokalen und internationalen Drogenbanden leicht rekrutiert werden können.

Noboa hat in seiner 16 Monate kurzen Präsidentschaft wenig an dieser Situation geändert. Der einschneidendste Schritt war die juristisch und politisch fragwürdige Erklärung des »bewaffneten internen Konflikts« im Januar 2024, womit er das Militär zum Kampf gegen zwei Dutzend Drogenbanden und die ausufernde Kriminalität aufrief und den Ausnahmezustand erklärte, der in mehreren Provinzen bis heute gilt. Nachdem die Kriminalitätsrate zunächst etwas zurückging, schnellten die Zahlen zum Januar 2025 auf ein historisches Hoch: 731 Menschen wurden in diesem Monat ermordet. Zum Vergleich: In Deutschland sind es bei einer mehr als viermal so großen Bevölkerung knapp 300 – in einem Jahr.

Im Einklang mit der globalen Rechten

Entführungen und Schutzgelderpressungen blieben auf dramatisch hohem Niveau. Die Banden sind zu einem Erwerbszweig und auch Lebensstil junger Männer und Jugendlicher geworden. Zudem dienen sie zunehmend als paramilitärische Kräfte für ökonomische Eliten: Gewerkschafter*innen im Bananensektor werden von den Banden ebenso bedroht wie afroecuadorianische Gemeinden, die Ölpalmplantagen nicht weichen wollen. Auffällig war im vergangenen Jahr die teilweise Verlagerung der Mordwellen von den Hotspots des Drogenhandels an der Küste zu den Zonen illegalen Bergbaus entlang des Andengürtels, der sich zu einem zunehmend lukrativen Sektor entwickelt hat.

»Unser Land kann nicht weitermachen zwischen Tragödie und Farce«, sagt Leonidas Iza, der Vorsitzende der Indigena-Vereinigung CONAIE und mit gut fünf Prozent Drittplatzierter bei den Wahlen. »Seine« Stimmen könnten theoretisch am 13. April wahlentscheidend sein. Er warnt vor dem »Risiko, eine neokoloniale Bananenrepublik mit Armutslöhnen, gieriger Privatisierung, Kriminalisierung von Verteidigern ihrer Territorien und ungesühnten Morden an Führungspersönlichkeiten und Kindern« zu werden. Iza verweist damit auf die Herkunft des Milliardenvermögens der Noboa-Familie aus riesigen Bananenplantagen, auf denen Arbeitsrechte konsequent missachtet wurden, sowie auf die aktuell angestrebte Privatisierung des lukrativsten Ölfeldes Ecuadors. Neu im Land sind Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitsbehörden. Mehr als zwei Dutzend in Händen des Militärs »Verschwundene«, darunter Kinder und Jugendliche, zeugen hiervon. Iza geht davon aus, dass Noboa im Fall seiner Wahl »im Einklang mit der Radikalisierung der globalen Rechten … auf einen neofaschistisch-autoritären Ausweg« setzen würde. Die Einrichtung einer US-Militärbasis auf den Galapagos-Inseln wurde bereits unter Joe Biden vereinbart, aktuell fordern die »Noboisten« völlig vage die militärische Präsenz ausländischer Verbündeter.

Die extrem ungleichen Besitzverhältnisse bei Land, Wasser, Handel oder Industrie wurden nie angetastet.

Warum fällt es der Indigena-Bewegung, die sich in jüngster Zeit bewusst links positioniert hat, dennoch so schwer, zur Wahl der »linken« Luisa González aufzurufen? Zum einen, weil der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, den Rafael Correa einst verkündete, eher rhetorisches denn inhaltliches Konzept war. Die extrem ungleichen Besitzverhältnisse bei Land, Wasser, Handel oder Industrie wurden nie angetastet. Doch hatte Correa in relevantem Maße die Rolle des Staates bei Bildung, Gesundheit und Infrastruktur erhöht – eine Politik, die die Eliten bis heute verabscheuen und an die sich ärmere Bevölkerungsschichten dankbar erinnern. Leonidas Iza bezeichnet die Correa-Regierung als die »Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts«. Luisa González orientiert sich weitestgehend an der Politik Correas, im Guten wie im Schlechten; dessen Porträt schwebt wie ein väterlicher Geist auf vielen Wahlplakaten hinter ihr.

Indigena-Bewegung gespalten

Das führt zu einem zweiten Punkt linker Kritik am Correismus: der Fokus auf die radikale Ausbeutung natürlicher Ressourcen, den »Extraktivismus«. Aus dieser Perspektive sind Plantagen effizienter als kleinbäuerliche Produktion. Die Förderung von Erdöl im Amazonasgebiet oder von Bodenschätzen in anderen sensiblen Öko- und Sozialsystemen gelten für die »Entwicklung« Ecuadors als unverzichtbar. Für die von der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch solche Projekte besonders betroffenen Indigena-Gemeinden kein akzeptables Modell.

Drittens zeichnete sich Correa, der wegen eines Haftbefehls im belgischen Exil lebt, durch einen zunehmenden Grad an autoritärem Verhalten aus. Autonome soziale Bewegungen waren ihm ein Gräul, das galt für Gewerkschaften und Indigenas ebenso wie für Frauen- und Umweltbewegungen. Selbstkritik ist bis heute ein Fremdwort für den Ex-Präsidenten. Seine Parteinahme für Nicolás Maduro nach den gefälschten Wahlen in Venezuela 2024 war für viele unabhängige Linke und Indigenas eine Erinnerung an die Kriminalisierung politischer Konflikte in Ecuador während seiner Amtszeit.

So ging Fernando Guamán, Vorsitzender der indigenen Bewegung in der Andenprovinz Chimborazo, früh auf Distanz zu den Correisten. »Wir erinnern uns noch sehr gut«, sagte Guamán. »Führende Persönlichkeiten wurden verfolgt, unsere Genoss*innen ermordet, sie haben der interkulturellen zweisprachigen Erziehung ein Ende gesetzt.«  Vor diesem Hintergrund gelang es Iza nicht, auf der nationalen Versammlung der CONAIE am 7. März einen Wahlaufruf für González durchzusetzen; auch ein Ausdruck der zunehmenden Differenzierung der Indigena-Gesellschaft. »Keine Stimme für die Rechte!« lautete der Konsens, was die Option der Stimmenthaltung einschließt.

Der Wahlausgang in Ecuador erscheint vor diesem Hintergrund völlig offen. Sollten die Correisten gewinnen, ist unklar, ob Luisa González auf größere Distanz zu Correa gehen würde, wie es dessen Nachfolger 2017 getan hat. Lenín Moreno wechselte in kürzester Zeit ins neoliberale Lager. Ob González stärker aufs unabhängige progressive Lager zugehen würde? Zur Entkriminalisierung der Abtreibung oder der Umsetzung des erfolgreichen Referendums gegen die weitere Ölförderung im Amazonasgebiet Yasuní hatte sie bislang ablehnende Positionen. Immerhin hat sie sich kürzlich zum Dialog über zentrale Forderungen der Indígenas und diverser sozialer Organisationen noch vor den Wahlen bereit erklärt.

Die USA könnten Wahl mitentscheiden

Die Führungen in Militär und Wirtschaft wünschen eine zweite Amtszeit Noboas, der eine Vertiefung seines militaristischen und neoliberalen Kurses anstrebt, was eine unabsehbare Brutalisierung der gesellschaftlichen Konflikte in Ecuador nach sich ziehen dürfte.

Den Wahlausgang mitentscheiden könnten die USA, indem sie zum Beispiel ein massives »Hilfsprogramm« gegen die Narcos präsentieren. Daniel Noboa selbst ist »Gringo«, er hat die US-Staatsbürgerschaft; neben Javier Milei (Argentinien) und Nayib Bukele (El Salvador) war er das einzige lateinamerikanische Staatsoberhaupt bei der Amtseinführung Trumps. Die USA sind der Wunschtraum vieler Ecuadorianer*innen. Der smarte Noboa und seine stets in weiß gestylte Frau, die junge Influencerin Lavinia Valbonesi, verkörpern für viele den »American Way of Life«. Mit ihrer massiven Präsenz in sozialen Medien erklärt das zum Teil seinen Zuspruch bei den Wahlen – trotz einer desolaten Performance in der zurückliegenden Amtszeit.

Frank Braßel

ist Historiker und Journalist und hat für diverse internationale Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sowie das alternative Agrarforschungsnetzwerk SIPAE in Quito gearbeitet.