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|ak 713 | Soziale Kämpfe

Öffentlicher Dienst am Limit

Auf der Arbeitgeberseite bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst herrscht eine Blockadehaltung – es braucht jetzt einen ernsthaften Kampf um die Daseinsvorsorge

Von Fanny Zeise

Pflegekraft im Notfalleinsatz.
Die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv verschlechtert. Foto: Nils Wommelsdorf / Flickr, CC BY 2.0

Wie es in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst weitergeht, ist vor der dritten Verhandlungsrunde noch unklar – nicht zuletzt, weil die Auseinandersetzung in die Zeit eines Regierungswechsels fällt.

Ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur soll geschaffen und Rüstungsausgaben über ein Prozent des BIP der Wirkung der Schuldenbremse entzogen werden, so das Sondierungspapier der möglicherweise künftigen Regierungsparteien Union und SPD. Die Argumentation von Karin Welge, Verhandlungsführerin der kommunalen Arbeitgeber, dass die geforderten Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst nicht zu stemmen seien, erscheint angesichts dieses Geldregens absurder denn je. Denn über die Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst wird politisch entschieden.

Seit den 1990er Jahren wurden mit Privatisierungen, Kürzungen, Personalabbau, Tarifflucht und der Schwächung der Gewerkschaften die Versorgung der Bevölkerung und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst massiv verschlechtert. Angesichts der maroden Infrastruktur und kaputtgesparten Daseinsvorsorge steht dringend ein Kurswechsel an.

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes begründen ihre Forderung von acht Prozent bzw. mindestens 350 Euro mehr pro Monat für die 2,6 Millionen Beschäftigten in Bund und Kommunen nicht nur mit dem Reallohnverlust, der durch die Inflation entstanden ist, sondern auch mit der desolaten Lage in Bürgerämtern, Kitas und im Nahverkehr. Wegen des viel zu knapp bemessenen Personals, der Zunahme an Aufgaben und 500.000 unbesetzten Stellen sind Jobs im öffentlichen Dienst enorm belastend geworden. Die Forderung nach drei weiteren Urlaubstagen soll die Arbeit im öffentlichen Bereich daher attraktiver machen.

Nichts deutet bisher darauf hin, dass diese Botschaft bei der Arbeitgeberseite angekommen ist. Bis zur dritten Verhandlungsrunde legte sie kein Angebot vor. Zudem ernannte sie Roland Koch zum Schlichter der Arbeitgeberseite, was wohl als Drohung verstanden werden darf. Denn als hessischer CDU-Ministerpräsident sorgte Koch dafür, dass sein Bundesland die Tarifgemeinschaft der Länder verließ. Und während in der letzten Tarifauseinandersetzung 2023 nur der Schlichter der Gewerkschaftsseite stimmberechtigt war, wird dieses Mal der tarifflüchtige Roland Koch die entscheidende Stimme in der ansonsten paritätisch besetzten Schlichtungskommission sein.

Auch wenn künftig vermutlich Milliarden im Sondervermögen für Infrastruktur zur Verfügung stehen, die Schuldenbremsenregelung der Länder etwas gelockert und laut Sondierungspapier verlässliche Kitabetreuung, Ganztagsschulen und bedarfsgerechte Kliniken finanziert werden sollen: Die Blockadehaltung in den Verhandlungen lässt wenig Hoffnung zu.

Wahrscheinlich wird das Ende der Austeritätspolitik sich auf Rüstung, bestimmte Teile der Infrastruktur und einzelne Wahlkampfversprechen beschränken, während eine bedarfsgerechte Finanzierung der Daseinsvorsorge nicht geplant ist. Deshalb muss der Kampf um öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur jetzt ernsthaft geführt werden. Die Gewerkschaften haben dafür erste Aufbruchsignale gesetzt.

So hat vor allem ver.di mit Neuerungen in den üblicherweise eher trägen und von Niederlagen sowie Rückzugsgefechten geprägten Tarifauseinandersetzungen für Dynamik gesorgt. Ansprache-Trainings, Stärketests und Arbeitsstreiks sollen den gezielten Machtaufbau im Betrieb und die dortige Streikplanung verbessern. Es wird deutlich mehr auf Beteiligung gesetzt, indem die Verhandlungen stärker für Beschäftigte geöffnet werden. Sogenannte Tarifbotschafter*innen sollen Verhandlungsstände mit ihren Kolleg*innen rückkoppeln und der Verhandlungskommission zurückmelden.

Jahrelange und auch erfolgreiche Kämpfe von Pflegekräften, Erzieher*innen und anderen Beschäftigten für ihre Arbeitsbedingungen und das Wohl ihrer Schutzbefohlenen haben neuen Schwung in die Gewerkschaftsbewegung gebracht. Dies hat nicht nur die Tarifforderungen im öffentlichen Dienst und ihre politische Herleitung geprägt, sondern auch die Durchschlagskraft der Gewerkschaften gestärkt. Seit Längerem ist ver.di zudem offen dafür, an den Anliegen der Bevölkerung oder bestimmter Gruppen anzudocken und Kämpfe zu verbinden. Symbolisch gelang dies erneut mit den Streiks und Demonstrationen, insbesondere feminisierter Arbeitsbereiche rund um den Internationalen Frauentag am 8. März. Zudem strahlte das erprobte Bündnis zwischen Klimabewegung und den Beschäftigten des Nahverkehrs mit #wirstehenzusammen auf den öffentlichen Dienst aus und politisierte die aktuellen Warnstreiks.

Diese Entwicklung gilt es weiterzutreiben, um in der aktuellen Tarifrunde und darüber hinaus in einem echten Bündnis mit den Beschäftigten gemeinsam die Daseinsvorsorge zu retten, auszubauen und unser aller Lebensbedingungen zu verbessern.

Fanny Zeise

ist Gewerkschaftsreferentin in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.