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Knockout für die Bundesanwaltschaft?

Was die Razzien gegen militante Neonazis für den Prozess gegen Lina E. bedeuten könnten

Von Carina Book

Am 6. April wurde auch die Nazi-Kneipe Bull´s Eye durchsucht. Gegen den Betreiber Leon Ringl wird seit September 2019 unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Foto: Solibündnis Antifa-Ost

Bei einer groß angelegten Razzia ließ die Bundesanwaltschaft am 6. April bei mehr als 50 militanten Neonazis Durchsuchungen durchführen. Zudem gab es vier Festnahmen von Angehörigen der Eisenacher Nazigruppe Knockout 51. Leon Ringl, Maximilian A., Eric K. und Bastian A. werden unter anderem beschuldigt, mit Knockout 51 eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Ringl soll dabei die Rolle des Rädelsführers übernommen haben. Darüber hinaus wird ihm gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch und die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung Atomwaffendivision Deutschland vorgeworfen.

In einer Pressemitteilung legte die Bundesanwaltschaft noch am Tag der Durchsuchungen dar, wie sie den Charakter der Gruppe Knockout 51 beurteilt: »Spätestens seit März 2020 ist die Vereinigung auf die Begehung von erheblichen Straftaten ausgerichtet. Hierzu gehören vor allem Körperverletzungsdelikte, die in erster Linie gegen Angehörige aus dem politisch ›linken Spektrum‹ begangen werden sollen, aber auch gegen die Polizei und sonstige Personen, die nach der rechtsextrem und rassistisch geprägten Weltsicht der Gruppierung bekämpft werden dürfen. Jedenfalls für Auseinandersetzungen mit ›Linken‹ ist dabei auch der Einsatz von Hieb- und Stichwaffen vorgesehen.« Überdies hätten die Mitglieder von Knockout 51 die »Abwehrbereitschaft gegen potentielle Übergriffe aus dem ›linken‹ Lager« demonstrieren wollen. Zugleich sei es aber auch um »gezielte Provokation von Gewalt sowie den aktiven Kampf gegen den politischen Gegner« gegangen, so die Bundesanwaltschaft.

Diese Einschätzung ist mit Blick auf den Prozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte interessant. Denn Leon Ringl und Maximilian A. treten darin als Geschädigte auf. Noch bis vor drei Wochen wurden ihre Aussagen am Oberlandesgericht (OLG) in Dresden gehört. Dabei verstrickten sich beide immer wieder in Widersprüche. Ihre neonazistischen Aktivitäten in der Gruppe Knockout 51 verklärten sie systematisch zu einem unpolitischen Sportclub, als wollten sie den Anschein erwecken, der Eisenacher Schlägertrupp sei in Wahrheit nicht gefährlicher als eine Yogagruppe.

In Bezug auf die Vorwürfe gegen Lina E. und Co sagte der nun inhaftierte Maximilian A. am 26. Januar vor dem OLG aus, er erinnere sich im Zusammenhang mit einem Angriff auf die Nazi-Kneipe Bull´s Eye in Eisenach an eine weibliche Person, die das Rückzugsignal für die Angreifenden gegeben hätte. In den vorausgegangenen polizeilichen Vernehmungen war ihm dies offenbar nicht erinnerlich gewesen. Dort hatte er noch behauptet, er habe eine Frau trotz Vermummung anhand der Haare erkennen können. Auch bezogen auf den sogenannten Tatkomplex Eisenach II, einen Angriff auf Leon R., unterschieden sich die gerichtlichen Zeugenaussagen des Maximilian A. von den Aussagen, die er zuvor bei der Polizei gemacht hatte. Zunächst hatte er noch ausgesagt, dass mit einem Schlagstock oder einer Metallstange auf die Scheibe des Fahrzeugs, in dem er mitgefahren war, geschlagen worden sei. Vor Gericht war er sich nun absolut sicher, dass es sich um einen Hammer gehandelt haben müsse – das habe aber nichts damit zu tun, dass Lina E. und die drei Mitangeklagten durch einige Medien als »Hammerbande« bekannt geworden sind.

Am 16. März sagte dann der nun von der Bundesanwaltschaft als Rädelsführer von Knockout 51 festgenommene Ringl aus. Er gilt gleichzeitig als der wichtigste Belastungszeuge der Bundesanwaltschaft im Verfahren gegen Lina E., denn er will die Täterschaft von Lina E. bezeugen können. Doch seine Aussagen waren von bemerkenswerten Erinnerungslücken und zahlreichen Widersprüchen geprägt. Während er in der polizeilichen Vernehmung angab, dass während des Angriffs auf seine Kneipe niemand etwas gesagt habe, will er nun zweifelsfrei eine weibliche Stimme gehört haben, die Kommandos gegeben habe.

Wir dürfen gespannt sein, ob das Gericht die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Knockout 51 zum Anlass nehmen wird, um die Glaubwürdigkeit der Zeugen neu zu bewerten. Denn was die Bundesanwaltschaft als »aktiven Kampf gegen den politischen Gegner« bezeichnet, heißt übersetzt nichts anderes als Anti-Antifa. Die Aussagen der Neonazis sind daher nicht nur wegen all der Widersprüche, sondern auch deshalb unglaubwürdig, weil sie als Teil »des Kampfes gegen den politischen Gegner« bewertet werden müssen. Insofern müsste auch das Gericht zu der Einschätzung kommen, dass Maximilian A. und Leon Ringl im Zeugenstand interessengeleitete Aussagen gemacht haben, als sie plötzlich Erinnerungen präsentierten, die an die Anklageschrift gegen Lina E. angepasst erschienen. Dass die Ergebnisse gezielter Anti-Antifa-Aktivitäten der Nazis eine Rolle in diesem Prozess spielen, ist kein Novum. Die als weitere Geschädigte auftretenden Neonazis Brian E. und Enrico B. sagten beide vor Gericht aus, dass von Neonazis erstellte Dossiers über Linke an die Soko Linx weitergereicht wurden. Die Soko Linx nahm diese Dossiers zur Grundlage für die Ermittlungen gegen Lina E. Das OLG Dresden könnte uns nun zu Zeug*innen machen, wie die Anti-Antifa-Arbeit von Neonazis als zentrale Belastungspunkte vor einem der höchsten deutschen Gerichte einfließen.

Irreführung durch die Bundesanwaltschaft

Auch die Bundesanwaltschaft muss sich Fragen stellen lassen. Erstens: Hat die Bundesanwaltschaft die Öffentlichkeit nach der Festnahme von Lina E. aus Versehen oder bewusst in die Irre geführt? Sie hatte am 6. November 2020, einen Tag nach der Festnahme von Lina E., eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie die Vorwürfe gegen E. und weitere Mitbeschuldigte darlegte. Darin hieß es: »1. Am 19. Oktober 2019 verübte Lina E. mit weiteren Tatbeteiligten, insgesamt 10 bis 15 Personen, einen Anschlag auf den Inhaber sowie die Besucher einer Gaststätte in Eisenach. Diese wurde als Ziel ausgewählt, da es sich um einen mutmaßlichen Treffpunkt der ›rechten Szene‹ handelte.«

Hat die Bundesanwaltschaft die Öffentlichkeit nach der Festnahme von Lina E. aus Versehen oder bewusst in die Irre geführt?

Die Pressemitteilung legte nahe, dass die Einschätzung, bei den Geschädigten würde es sich um Mitglieder der »rechten Szene« handeln, lediglich auf das subjektive Empfinden von Lina E. und Co beruhe. Nun wurde klar, dass zum Zeitpunkt der Festnahme von Lina E. schon mehr als ein Jahr lang ein Ermittlungsverfahren gegen Leon Ringl, den Inhaber eben jenes »mutmaßlichen Treffpunktes der rechten Szene«, wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung lief. Der Generalbundesanwalt teilte dazu am 6. April mit: »Aufgrund von konkreten Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wurden seit September 2019 Ermittlungen gegen Mitglieder der ›Atomwaffen Division Deutschland‹ (AWDD), einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung mit Ursprung in den USA, sowie gegen Mitglieder der terroristischen Vereinigung ›Sonderkommando 1418‹ (SKD 1418) geführt. Einer der Beschuldigten war der heute festgenommene Leon Ringl, mutmaßlicher Gründer und Rädelsführer der kriminellen Vereinigung ›Knockout 51‹.« Auch unter Berücksichtigung eines nachvollziehbaren Geheimhaltungsinteresses der Bundesanwaltschaft erscheint die Mitteilung, die die Bundesanwaltschaft nach der Festnahme von Lina E. in diesem Lichte betrachtet, als unerhörte Verharmlosung.

Diese dürfte aber bei der Begründung geholfen haben, warum die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen Lina E. überhaupt an sich gezogen hatte. Marta Zionek vom Solidaritätsbündnis Antifa-Ost kommentiert: »Die ›besondere Bedeutung‹, mit der die Bundesanwaltschaft ihre Zuständigkeit in dem Fall begründet, erklärte sie damit, dass die Meinungsfreiheit gefährdet gewesen sei, da die Eisenacher Neonazis wegen der Angriffe nicht mehr am ›demokratischen Diskurs‹ hätten teilnehmen können. Ohne dieses Pseudo-Argument einer ›Gefährdung der Demokratie‹ durch die Beschuldigten hätte die Bundesanwaltschaft ihre Zuständigkeit nicht begründen können.« Die zweite Frage ist also, wie die Bundesanwaltschaft vor diesem Hintergrund die »besondere Bedeutung« des Verfahrens gegen Lina E. weiterhin begründen will. Drittens ist die Bundesanwaltschaft noch eine andere Antwort schuldig geblieben: Erst kürzlich ist es der Verteidigung gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass der Angeklagte Jonathan M. nicht am Überfall in Eisenach tatbeteiligt gewesen sein kann, da er sich zur Tatzeit in Berlin befunden hat. Ein Alibi, dass die Verteidigung eigentlich gar nicht hätte einführen müssen, denn die dem zu Grunde liegenden Tatsachen befanden sich seit 2019 in den Akten der zuständigen Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn. Hat die Bundesanwaltschaft das Alibi verbummelt, übersehen oder unterschlagen? Ob diese und weitere Fragen in diesem Prozess noch beantwortet werden, hängt davon ab, ob das Gericht die offenen Fragen würdigen wird oder ob es zu der Auffassung kommt, einen Strich unter den Prozess machen zu können. Nach den inzwischen 43 Prozesstagen am Oberlandesgericht in Dresden halten es Beobachter*innen für möglich, dass sich der Prozess noch bis in den Herbst hineinziehen könnte.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.