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|Thema in ak 716: Pride und Klassenkampf

Limousinen, Glitzer und Uniformen

Wie Pinkwashing und militärische Imagepolitik den politischen Kern von Queerness verzerren

Von Noel Smith

Ein Plakat mit der Aufschrift "Pride Rally against Pinkwashing" ist auf einem Tisch aufgestellt, daneben eine Packung Coronamasken, ein Wasserbehälter, Flyer und Pride-Sticker.
Polizei und Armeen geben sich oft als pro-queere Institutionen aus und sind sogar bei CSDs vertreten – dabei richtet sich queerer Protest meist gegen ihre Gewalt und Repression. Foto: Ian M./Flickr, CC BY-SA 2.0

Die Sonne steht hoch über Hamburg. Glitzer liegt in der Luft, die Straßen kleben von Zuckerwatte und der wabernden Euphorie der Pride-Parade. Ich stehe irgendwo zwischen einem »Vielfalt verbindet«-Truck von Beiersdorf und einer knallbunten Limousine voller tanzender Menschen, denen Plastik-Kugelschreiber und Bonbons von REWE aus der Hand fliegen. Die Elbphilharmonie ist in Regenbogenfarben getaucht, der Christopher Street Day (CSD) 2024 steht unter dem Motto »5 vor 12! Du & ich gegen den Rechtsruck«. Und dann, begleitet von treibenden Beats und einer routinierten Choreografie der Sichtbarkeit: der Wagen der Bundeswehr. Bunt, freundlich, korrekt. Und für mich der Moment, an dem aus der Pride ein PR-Desaster wird.

Die Bundeswehr fährt heute mit einem eigenen Wagen auf der Pride, als sei die bloße Existenz von queeren Menschen in Uniform eine progressive Leistung.

Dass Unternehmen den Pride Month nutzen, um ihr Image zu polieren, ist bekannt. Was als Unterstützung queerer Kämpfe inszeniert wird, ist oft nur Teil einer gut kalkulierten Marketingstrategie – genannt Pinkwashing. Doch wenn ausgerechnet eine Armee sich in die Parade der Vielfalt einreiht, wird aus geschmackloser Selbstvermarktung eine politische Farce. Die Darstellung von Diversität durch die Bundeswehr auf dem CSD steht sogar im Widerspruch zur erlebten Realität von queeren Menschen in der Bundeswehr selbst: »Obwohl Fortschritte gemacht wurden, berichten Betroffene weiterhin von Ausgrenzung, Angst vor Outing und strukturellem Unverständnis«, heißt es im Jahresbericht der Bundeswehr-eigenen Initiative QueerBw von 2022. Noch bis ins Jahr 2000 war Homosexualität in der Bundeswehr ein Ausschlusskriterium für Beförderungen; erst 2021 wurden queere Menschen in der Bundeswehr durch ein Rehabilitierungsgesetz offiziell anerkannt. Die Bundeswehr fährt heute mit einem eigenen Wagen auf der Pride, als sei die bloße Existenz von queeren Menschen in Uniform eine progressive Leistung.

Der Missbrauch queerer Kämpfe zur Legitimation staatlicher Gewalt ist nicht neu. Von Afghanistan bis Israel: Der angebliche Schutz queerer – und ebenfalls auch feministischer – Anliegen wird regelmäßig instrumentalisiert, um kriegerische Politiken als legitim darzustellen. Dabei ist es gerade diese vermeintlich schützende Gewalt, die queere Leben systematisch gefährdet, sei es durch militärische Intervention, Grenzregime oder staatliche Überwachung. »Homonationalismus« nennt sich das Phänomen, bei der queere Sichtbarkeit plötzlich zur nationalen Tugend stilisiert wird, während die tatsächliche Realität marginalisierter Gruppen ausgeblendet bleibt. Queere Symbolik dient dabei nicht der Befreiung, sondern wird eingesetzt, um staatliche Gewalt als fortschrittlich zu inszenieren.

Die Stonewall-Aufstände 1969, auf die sich die CSDs auch heute noch beziehen, waren einmal ein Aufschrei gegen Polizeigewalt, Verdrängung und Armut. Eine Revolte von Schwarzen trans Frauen, Dragqueens, Wohnungslosen – gegen ein System, das queeres Leben zerstörte. Sie forderten keine Logos und keine Imagekampagnen, sondern Respekt, Schutz und Würde. Heute jedoch werden ihre Kämpfe vereinnahmt und damit als buntes Symbol bürgerlicher Inklusion verkauft, während die Gewaltverhältnisse, gegen die sie sich richteten, fortbestehen. Queere Befreiung bedeutet nicht, dass staatliche Repressionsorgane und autoritäre Strukturen queerer werden. Sie bedeuten, eben diese zu überwinden: Es braucht keine Regenbogenfahnen auf Militärfahrzeugen, sondern eine klare Absage an jede Institution, die im Kern autoritär, gewaltvoll und ausgrenzend bleibt.

Im vergangenen Jahr sahen sich zahlreiche CSDs in Deutschland verstärkten Angriffen und Störungen durch rechtsextreme Gruppen ausgesetzt. Zwischen Juni und September 2024 registrierte das Bundesinnenministerium etwa 20 gezielte Protestaktionen gegen CSDs. Vielleicht ist es an der Zeit, dass »Du & ich gegen den Rechtsruck« linke Forderungen gegen das queerfeindliche System auf die Straßen tragen und damit an Orte wie Bautzen gehen, wo der CSD am 10. August 2025 stattfindet, oder Zwickau am 30. August.

Noel Smith

ist Kulturwissenschaftler*in und Bildungsreferent*in im Bereich Queerfeminismen und Intersektionalität und arbeitet zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen, politischer Bildung und emanzipatorischer Praxis.

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