analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 696: Queers

Liebt ihr eure Nachbarn wie euch selbst?

In Uganda wurde erneut ein Anti-Homosexualitätsgesetz erlassen – eine »Lizenz zum Töten«

Von Tusiime Tutu

Demoteilnehmerin mit einem Foto des ugandischen Präsidenten. Bereits 2018 protestierten Queers in London gegen die Weierg der Commonwealth Conference, sich mit der homofeindlichen Gesetzgebung in mehreren Staaten des Commonwealth zu befassen. Foto: Alisdare Hickson/Flickr, CC BY-SA 2.0

An einem stillen Nachmittag im Juni hörte ich dem ugandischen Präsidenten aufmerksam zu, als er über das Gesetz sprach, das er am 26. Mai 2023 in Kraft gesetzt hatte. Als die meisten Ugander*innen im digitalen Raum noch kein tiefgreifendes Verständnis für das Anti-Homosexualitätsgesetz und seine kriminalisierenden Bestimmungen besaßen, sorgte die Rede von Präsident Yoweri Museveni für Verwirrung: Ist es ein Verbrechen, sich als homosexuell zu identifizieren?  Das Anti-Homosexualitätsgesetz verkörpert ein unangenehmes Sprichwort: »Wer nicht aus der Geschichte lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Heute befindet sich Uganda in einem ähnlichen Menschenrechtsdilemma wie vor über einem Jahrzehnt.

Mitte Dezember 2012 war der ugandische Menschenrechtsaktivist Pepe Julian Onziema zu Gast in der Sendung Morning Breeze des ugandischen TV-Senders NBS, moderiert vom Journalisten Simon Kaggwa Njala. In der Debatte ging es um die Situation sexueller Minderheiten in Uganda, nachdem das Parlament 2009 das erste Anti-Homosexualitätsgesetz verabschiedet hatte. Damals stellte der Aktivist Onziema klar: »Ich bin sexuell nicht aktiv.« Der Moderator Simon antwortete: »Macht dich das nicht schwul?« Wenn ich mir die Debatte heute genauer anschaue, die der Moderator mit den Worten »Wie geht es Ihnen? Warum sind Sie schwul?« eröffnete, frage ich mich, was er – ein katholischer Journalist – wohl über Nonnen und Priester sagen würde, die angeben, sexuell nicht aktiv zu sein. Die TV-Show sollte keine Komödie sein, doch sie sorgte für anhaltende Lacher, als die Clips online zu Memes für den popkulturellen Konsum verarbeitet wurden.

Seit der Kolonialzeit stuft die ugandische Gesetzgebung Homosexualität in Paragraf 145 des Strafgesetzbuches als »unnatural offences« ein. Unsere Gesellschaft ist geprägt durch politische und traditionelle gesetzgeberische Verhaltensweisen. Anfang 2014 trat das sogenannte Kill-the-Gays-Gesetz in Kraft, das zu tödlichen Angriffen auf Menschen führte, die sich angeblich als homosexuell identifizierten. 

Gegen das Gesetz wurde von mehreren Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, darunter Pepe Julian Onziema, geklagt. Anfang August 2014 wurde es wegen eines Verfahrensfehlers für ungültig erklärt. Die Gesetzgeber gaben ihre Haltung jedoch nicht auf. Die Spannungen im Zusammenhang mit sexuellen Minderheiten hielten an, mal stärker, mal schwächer, bis das Parlament im März dieses Jahres die Bemühungen um ein Gesetz gegen Homosexualität wieder aufnahm.

Als der Gesetzentwurf im Parlament debattiert wurde, erwachte auch das soziale und digitale Engagement von vor zehn Jahren erneut. Die »Warum bis du schwul?«-Memes gewannen online neue Bedeutung. Es kam zu noch gezielteren Angriffen auf Menschen, die verdächtigt wurden, homosexuell zu sein.

Der Kern des neuen Gesetzes 

Im parlamentarischen Verfahren setzte Präsident Museveni die folgende Änderung im Kleingedruckten des Gesetzes durch: »Um jeden Zweifel auszuschließen, begeht eine Person, die verdächtigt wird, homosexuell zu sein, und die keine sexuellen Handlungen mit einer anderen Person desselben Geschlechts vorgenommen hat, nicht den Straftatbestand der Homosexualität im Sinne dieses Abschnitts.«

Doch das änderte nichts an der im Gesetz eingeschriebenen »Lizenz zum Töten«. Während die meisten Strafgesetze auf dem Grundsatz »unschuldig bis zum Beweis der Schuld« beruhen, überlässt es das neue Gesetz dem Verdächtigen, seine Unschuld zu beweisen. Das führt zu dem Dilemma, dass das Gesetz zwar eine Person nicht kategorisch wegen ihrer Homosexualität kriminalisieren kann, ihre »Nachbarn« aber aufgefordert sind, ihrerseits verdächtige Personen zu melden – bis diese beweisen, dass die vermutete sexuelle Handlung nicht stattgefunden hat. So kann jeder böswillige Verdacht einer anderen Person das Leben kosten. 

In der Logik des Präsidenten bedeutet das, dass Menschen, die sich zu einem homosexuellen Lebensstil bekennen, der willkürlichen Verachtung eines Nachbarn oder eines wütenden Ex-Liebhabers zum Opfer fallen können. Das Anti-Homosexualitätsgesetz weist somit Schlupflöcher auf, die dem Hass legislative Rückendeckung geben. 

Jeder böswillige Verdacht kann eine anderen Person das Leben kosten.

In diesem Zusammenhang kann die Frage »Liebst du deine Nachbarn wie dich selbst?« entscheidend sein. Nachbar*innen zanken sich, Menschen reagieren auf Liebeskummer mit Groll. Welchen Schutz gibt es gegen den Hass der anderen? In einem Interview mit Open Democracy verdeutlichte Fox Odoi-Oywelowo, einer der zwei Abgeordneten, die gegen den Gesetzentwurf gestimmt hatten: »Nelson Mandela vertrat die Ansicht, dass Liebe dem Menschen eigen ist und angeboren wird. Hass dagegen wird erlernt.«

Ich befürchte, das Gesetz hätte Potenzial gehabt, wenn es nicht von traditionellem und religiösem Eifer, vielleicht sogar Fanatismus, unterwandert worden wäre. Einige der in dem Gesetz aufgeführten erschwerenden Umstände sind zugegebenermaßen durchaus gerechtfertigt. Es ist meine persönliche Überzeugung, dass sexuelle Gewalt, insbesondere gegen Kinder, kriminell genug ist, um eine Verschärfung der Gesetze zu rechtfertigen. Die Gerüchte über katholische männliche Priester, die junge männliche Studenten in Seminaren belästigen, machen mir Angst. Mit den Abschnitten zu »Aggravated Homosexuality« oder »Child Grooming« schließt das Gesetz Lücken im Kampf gegen die Vergewaltigungskultur in Uganda und schützt Kinder.

Doch das Anti-Homosexualitätsgesetz wurde in einer homophoben ugandischen Gesellschaft erlassen. Und es ist ein Gesetz, das in die Hände der Menschen gelegt wurde – und genau das ist prekär im heutigen Uganda. 

Als ich recherchierte und Kommentare zum Anti-Homosexualitätsgesetz einholte, hatten viele Menschen bereits eine verächtliche Haltung eingenommen, die durch Fehlinformationen wie manipulierte Bilder noch verstärkt wurde. Derzeit, zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, sind in den sozialen Medien zahlreiche Videos von Mobs zu sehen, die Personen auf Verdacht hin angreifen. Mehrere Fälle von Gewalt gegen Personen, die verdächtigt werden, homosexuell zu sein, wurden gemeldet und werden untersucht. Das Human Rights Awareness and Promotion Forum (HRAPF) dokumentierte bis Juli insgesamt 23 Fälle, in denen Gewalt angedroht oder ausgeübt wurde, zum Beispiel durch Schläge und Entführungen von Personen.

Digitale Homophobie

Mit den Diskussionen zum Anti-Homosexualitätsgesetz wuchs die Angst vor dem Regenbogen. Allein die Verwendung eines Regenbogen-Emojis in einem WhatsApp-Status-Update konnte Fragen aufwerfen. Und diese Angst begann sich auch physisch zu manifestieren. So schrieb eine ugandische Lifestyle-Botschafterin: »Ich löschte meine Social-Media-Konten, obwohl ich viele Follower hatte. Ich musste meine Nummer ändern, weil mich jemand wiederholt mit verschiedenen Nummern anrief. Jedes Mal geschah dies unter dem Vorwand eines Social-Media-Modeauftritts, und ich wagte mich raus, nur um Drohungen zu erhalten. Zuerst lachte ich über die Drohungen, aber nachdem ich auf einer öffentlichen Veranstaltung eine DM mit meinem Standort erhalten hatte, wurde mir klar, dass es jemand auf mich abgesehen hatte.«

Im Januar dieses Jahres wurde #JusticeForEdwinChiloba zum Trend in den sozialen Medien, nachdem die kenianische Modeikone und Menschenrechtsaktivist Edwin Chiloba unter ähnlichen Umständen wie der ugandische Aktivist David Kato ermordet worden war. 

Das Anti-Homosexualitätsgesetz stellt in einem Abschnitt »False Sexual Allegations« unter Strafe. Das heißt, jemand, der eine irreführende Meldung über Homosexualität macht, kann bei Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr belegt werden. Diese Bestimmung ist jedoch nur nachträglich anwendbar. Gemäß eines Passus muss das Opfer der Falschaussage erst seine Unschuld beweisen; Fairness wird somit verhindert. Der HRAPF-Bericht zeigt beispielsweise, dass einige der mutmaßlichen Opfer Gewalt in Form von Prügel, Vergewaltigung und Folter erlitten haben. Diese schweren Menschenrechtsverletzungen werden in Echtzeit begangen, lange bevor das Opfer seine Unschuld beweisen kann.

Aus psychologischer Sicht setzt das Gesetz Menschen Angst, Isolation, Mobbing und Online-Belästigung aus. Faktoren, die schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen und Selbstmord fördern. 

Vor der Verabschiedung des Anti-Homosexualitätsgesetzes von 2014, das wie erwähnt annulliert wurde, gab Präsident Museveni bei Wissenschaftler*innen eine Studie in Auftrag, um zu untersuchen, ob Homosexualität »erlernt« oder ein »angeborenes Problem« sei. Meiner Meinung nach besteht das grundlegende Dilemma, mit dem sich die Menschheit auseinandersetzen muss, darin, dass der Ausdruck von Liebe vorgeschrieben werden soll.

Petitionen gegen das Gesetz

Nach der Veröffentlichung des Anti-Homosexualitätsgesetzes erreichten eine Reihe von Petitionen das Gericht. Sie fordern, die Umsetzung des Gesetzes zu unterlassen. Berichten zufolge soll der Generalstaatsanwalt von Uganda am 1. Juni über diese Petitionen unterrichtet worden sein. In den sozialen Medien läuft der Hashtag #RepealAHA2023 auch zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter. Wie bereits 2014 richtet sich der Blick der Welt auf Uganda. 

Als Individuen sind wir alle verschieden. In der heutigen Welt wird die Trennung zwischen sexueller Orientierung und Liebe bewusst ausgelotet, besonders unter jungen Menschen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung Ugandas ausmachen. Auch die binäre Ableitung von Geschlecht, die auf traditionellen Rollenzuweisungen basiert, gibt weiterhin Anlass zu nüchternen Debatten. Wenn zum Beispiel »männlich« im traditionellen Uganda für Versorgung und Schutz stand, wie ordnen wir dann die ugandische Frau von heute ein, die für sich selbst sorgt und sich um sich selbst kümmert? 

Die Entwicklung unseres Menschseins wird in vielen Philosophien diskutiert. In der »Pädagogik der Unterdrückten« von Paulo Freires warnt der brasilianische Pädagoge vor unserer »Abwesenheit von Zweifel« als Menschen. Im kollektiven Wachsen und Streben nach einer höheren Menschlichkeit muss sich der Algorithmus unserer Gesellschaft weiter in inklusive Bereiche der Realität ausdehnen. Im Gegenzug sollte unsere Gesetzgebung auf eine Gesellschaft höherer Menschlichkeit abzielen, die Liebe statt Hass fördert.

Das Unbehagen über das Anti-Homosexualitätsgesetz ist also deutlich zu spüren. Eine anonyme Quelle bringt es auf den Punkt: »Ich glaube, die Leute verstecken sich im Moment alle.« Die vorgeschriebene Heterosexualität ist eine klare »Abwesenheit des Zweifels« und eine, die uns die echte Menschlichkeit zu kosten droht.

Übersetzung: Anna Kücking.

Tusiime Tutu

Tusiime Tutu ist eine ugandische Multimedia-Journalistin mit einer Leidenschaft für das Geschichtenerzählen. Im Jahr 2021 beriet sie Pollicy Uganda als Ausbilderin in Disziplinen, die sich auf »Kommunikation für Sichtbarkeit« beziehen. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit arbeitet sie in der kulturellen Bildung und ist in verschiedenen Frauenrechtsinitiativen aktiv. Als queere Person wird ihr Leben von Freundlichkeit, der Liebe zur Kunst, sozialen Medien, Sternenguckerei und Lachen bestimmt.