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|Thema in ak 672: Grüner Kapitalismus und Klimabewegungen

»Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge«

Kim Solievna von Bündnis Ende Gelände über fossilen Kolonialismus und Blockadeaktionen in Brunsbüttel

Interview: Guido Speckmann

Ende Gelände ist bekannt durch Aktionen gegen den Braunkohleabbau. Für den Sommer mobilisiert das Bündnis jedoch nicht nach Garzweiler, in das Rheinische Braunkohlerevier oder in den Tagebau Hambach, sondern in die Industrie- und Hafenstadt Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Dort soll vom 29. Juli bis 2. August der Bau eines geplanten Flüssiggasterminals blockiert werden.

Nicht die Braunkohle steht im Zentrum euerer diesjährigen Sommeraktion, sondern ein anderer fossiler Brennstoff: das Gas. Wie kommt es zu diesem Schwenk?

Kim Solievna: Wir fordern natürlich weiterhin einen sofortigen Kohleausstieg und werden im Herbst während der Rodungssaison an der Seite der Dörfer im Rheinland stehen. Aber mit der Aktion in Brunsbüttel erweitern wir unsere Perspektive auf Gas. Gas wird gerade von der Lobby als angeblich klimafreundliche Übergangslösung angepriesen. Das stimmt aber nicht, denn genauso wie Kohle ist Gas ein Brandbeschleuniger der Klimakrise. Zusätzlich zum CO2 wird beim Abbau und Transport auch das noch schädlichere Methan freigesetzt. Methan soll auf 20 Jahre gerechnet 87 mal so klimaschädlich sein wie CO2. Genau deswegen protestieren wir mit der Aktion gegen den Ausbau jeglicher fossiler Infrastruktur und sagen: Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge.

Wieso habt ihr euch Brunsbüttel ausgesucht?

In Brunsbüttel wird gerade ein sogenanntes LNG-, ein Flüssiggasterminal geplant – auch auf Druck der USA hin, die gerne neue Abnehmer*innen für ihr verflüssigtes Fracking-Erdgas hätten. In Brunsbüttel soll Fracking-Gas aus den Staaten oder aus Argentinien angeliefert werden. Fracking ist aber extrem klimaschädlich, vergiftet Böden und Trinkwasser, gerade auch auf dem Land indigener Menschen. Nicht ohne Grund gibt es aufgrund von Protesten in Deutschland ein Fracking-Moratorium. Es ist somit total heuchlerisch, Fracking-Gas aus anderen Ländern bei uns als klimafreundlich anzupreisen.

Sind noch weitere LNG-Terminals geplant?

Ja, ursprünglich waren es drei: in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel. Weil der Bedarf schlicht nicht da ist, wird in Wilhelmshaven nun nicht mehr gebaut. Und man muss sich vor Augen halten: Es gibt in Deutschland schon jetzt die Möglichkeit, ein zu 100 Prozent erneuerbares Energiesystem aufzubauen. Das heißt, zusätzliche Infrastrukturen wie die LNG-Terminals bedeuten, dass auf Jahrzehnte weiter fossile Energien verbraucht werden müssen, damit sich diese Investitionen rechnen.

Ihr kritisiert Gas als »Paradebeispiel eines modernen Kolonialismus«, als Teil des fossilen Kolonialismus. Was ist damit gemeint?

Wenn wir über Gas reden, müssen wir auch über Kolonialismus reden. Denn genau wie die Kohlekonzerne sind auch die Gasunternehmen für Ausbeutung und Zerstörung im Globalen Süden verantwortlich. Sie schreiben mit ihrem Geschäftsmodell eine jahrhundertelange Geschichte von Kolonialismus und damit der Vertreibung und Unterdrückungen indigener Gemeinschaften fort. Diesem ungerechten System wollen wir uns mit unserer Aktion in den Weg stellen und uns damit auch den Kämpfen der Menschen im Globalen Süden anschließen, die dort gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen Widerstand leisten. Wir arbeiten übrigens auch daran, den Aktionstag zu einem globalen Protesttag mit Aktionen gegen Fracking und Gas weltweit zu machen.

Genauso wie Kohle ist Gas ein Brandbeschleuniger der Klimakrise.

Kim Solievna

Derzeit gibt es viel Jubel über Gerichtsurteile zur Klimapolitik. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regierung zu mehr Klimaschutz verdonnert und ein niederländisches Gericht den Ölkonzern Shell. Wie bewertet ihr das?

Das sind auf jeden Fall wichtige Schritte, um auch Konzerne zur Verantwortung zu ziehen, denn das ist genau das, was passieren muss. Hierzulande verkaufen Konzerne ihr Gas billig und als angeblich tolle Übergangslösung. Aber dort, wo das Gas herkommt, also oft auch im Globalen Süden, dort findet die Umweltzerstörung und die Vertreibung von Menschen statt. Genau dafür müssen die Konzerne zur Verantwortung gezogen werden. Es ist also gut, wenn Gerichte anmahnen, dass die Politik mehr tun muss, um das Wirtschaftssystem zu dekarbonisieren. Wir brauchen auf jeden Fall mehr CO2-Einsparungen.

Aber das reicht sicher nicht?

Nein, wir brauchen auch strukturelle und systematische Veränderung, denn unser Wirtschaftssystem basiert auf der Profitlogik und auf Wachstum. Genau davon müssen wir uns lösen, denn wir leben auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen. Das bedeutet, dass wir auch unseren Verbrauch und Konsum einschränken müssen und dass wir unser Zusammenleben so organisieren, dass ein gutes Leben für alle möglich ist. Das wiederum hat zur Folge, dass wir den Kapitalismus überwinden müssen.

Wie deutet ihr den Höhenflug der Grünen mit Blick auf die Bundestagswahl und eine mögliche Kanzlerin Annalena Baerbock?

Wir sind sehr desillusioniert von der Politik. Deswegen wird die Klimagerechtigkeitsbewegung rund um die Bundestagswahl einen ungehorsamen Herbst organisieren. Im Zuge der Auseinandersetzung um den Dannenröder Wald hat man gesehen, dass auch Grünen-Politiker*innen ihrem angeblichen Anspruch überhaupt nicht gerecht werden. Von daher: Wir fokussieren uns nicht auf einzelne Parteien, sondern wir versuchen, ein Bewegungsmoment zu schaffen, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen.

Kim Soievna ist eine der zwei Pressesprecherinnen von Ende Gelände.

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