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|Thema in ak 672: Grüner Kapitalismus und Klimabewegungen

Die Kohlenstoffbombe

Ölfunde in Namibia und Botswana bedrohen ein Naturerbe, den sozialen Frieden und das Weltklima

Von Norbert Halmer

Das Okavango-Delta in Botswana: Ziel der kanadischen Firma ReconAfrica. Foto: Norbert Halmer

Es könnte sich als eines der größten Erdölvorkommen der Welt herausstellen: In der Nähe des Okavango-Deltas im Norden Namibias und Botswanas führt das kanadische Gas- und Ölexplorationsunternehmen Reconnaissance Energy Africa (ReconAfrica) seit Anfang des Jahres Probebohrungen durch. Mitte April gab es bekannt, dass Analysen der Bohrproben den Nachweis für die Existenz »eines funktionierenden Erdölsystems« erbracht hätten.

Von der Öffentlichkeit unbemerkt hatte das Unternehmen die Ölsuche seit Jahren vorbereitet und sich in stillen Verhandlungen mit den Behörden Namibias und Botswanas die Bohrlizenz in einem Schürfgebiet von der Größe Taiwans innerhalb des KAZA-Parks, eines grenzüberschreitenden Natur- und Landschaftsschutzgebietes, gesichert.

Im Herbst 2020 hatten Artikel des Autors und Dokumentarfilmers Jeffrey Barbee im National Geographic und im Daily Maverick erstmals auf die Aktivitäten des Konzerns und die damit verbundene potenzielle Bedrohung für das Ökosystem des Okavango aufmerksam gemacht. Trotz dieses Weckrufs dauerte es Wochen, bis sich Widerstand formierte. Natur- und Klimaschützer*innen sowie Vertreter*innen der lokalen Bevölkerung und des Tourismussektors organisierten öffentlichkeitswirksame Proteste und Petitionen, unterstützt von internationalen NGOs. »Wenn wir wirklich die globale Erwärmung stoppen und die Artenvielfalt erhalten wollen, müssen Gebiete wie KAZA absolute Tabu-Zonen für die Öl- und Gasindustrie werden«, sagt Ina-Maria Shikongo, Aktivistin von Fridays for Future Windhuk und Initiatorin einer Petition an die namibische Regierung.

Als eines der artenreichsten und empfindlichsten Ökosysteme Afrikas gehört das Binnendelta des Okavango zum Weltnaturerbe. Für die trockene Kalahari-Region ist das Flusssystem des Okavango die entscheidende Lebensader. Bislang konzentrierten sich die Sorgen um dieses lebensspendende Feuchtgebiet auf die expandierende Agrarwirtschaft und den Klimawandel. Im letzten Jahrzehnt blieben die jährlichen Niederschläge zunehmend unter dem üblichen Durchschnitt. Die Folge: Die alljährliche Flutwelle des Okavango erreichte nicht mehr alle Bereiche des Deltas, weite Teile der fruchtbaren Landschaft fielen trocken.

Grandiose Gewinnversprechen für Investor*innen

Mit der geplanten Ölexploration ist nun eine neue Art der Bedrohung entstanden. Das Schürfgebiet ReconAfricas erstreckt sich über mehr als 200 Kilometer entlang des Okavango-Flusses und reicht bis auf wenige Kilometer an das Okavango-Binnendelta heran. Das Unternehmen lockt Investor*innen mit Fotos einer vom Fracking petroindustriell umgestalteten Landschaft in den USA und mit grandiosen Gewinnversprechen. Die künftige Ausbeutung fossiler Erdöllagerstätten soll durch den massiven Einsatz konventioneller wie »unkonventioneller« Fördermethoden erfolgen – letzteres ein Euphemismus für das ökologisch höchst umstrittene Fracking.

Die bis in 4.000 Meter Tiefe reichenden Ölbohrungen und Pumpstationen gehen mit einem enorm hohen Wasserverbrauch einher – und das in einer Region, die unter Wasserknappheit leidet. Die Abwässer sind mit giftigen Verbindungen angereichert und müssen sicher entsorgt werden, was schon bei den Probebohrungen nicht gewährleistet ist. Eine Verschmutzung des Okavango oder der tiefliegenden Grundwasser leitenden Gesteinsschichten, die weit über das Schürfgebiet hinausreichen und noch wenig erforscht sind, hätte dramatische Folgen für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft der gesamten Region. Besonders hohe Risiken wären mit der Fracking-Methode verbunden.

Mit der Vergabe der Lizenz für 25 Jahre hat sich ReconAfrica in neokolonialistischer Manier Gewinnbeteiligungen gesichert.

Das Explorationsprojekt würde zu einer nachhaltigen Störung der Wander- und Weiderouten von Wildtieren, insbesondere der weltweit größten Elefantenpopulation, führen. Negative Folgen ergäben sich auch für die Entwicklung des Tourismus in dieser von Armut geprägten Region und für die in diesem Sektor Beschäftigten. Während ReconAfrica Arbeitsplätze und einen steigenden Lebensstandard für die lokale Bevölkerung verspricht, ist der Arbeitskräftebedarf der Ölförderindustrie bekanntlich gering und richtet sich an gut ausgebildete Facharbeiter*innen, aber kaum an ungelernte Kräfte.

Besonders hart trifft es die Bevölkerungsgruppe der Khoi-San. Ihre Geschichte als Nachkommen der Ureinwohner*innen des südlichen Afrikas ist seit der Kolonialzeit von Vertreibung und Umsiedlung geprägt. Sie leben auf kommunalem Land in der Kalahari, und die vertragliche Ausweisung von Ölfördergebieten setzt ihre schmerzliche Erfahrung der Fremdherrschaft über ihr Land fort. Im Gegensatz zum weltweit vorherrschenden dualistischen Weltbild, das auf »Inwertsetzung« und Ausbeutung der Natur ausgerichtet ist, haben die San eine tiefe spirituelle Verbindung zu ihrem Land.

Im Vorfeld der Verträge hatten Firmenvertreter*innen unter undurchsichtigen Umständen die Zustimmung von Gemeindevertreter*innen eingeholt. Unruhen und Widerstand in der Khoi-San-Bevölkerung sowie Einwände der UNESCO haben die Regierung von Botswana dazu veranlasst, Gespräche mit den Stammesführern aufzunehmen und die Tsodilo Hills aus dem Schürfgebiet auszuschließen. Die Tsodilo Hills mit ihren über 4.000 Felsmalereien, teilweise über 20.000 Jahre alt, sind eine für die San heilige Kultstätte und ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Nervöse Reaktionen auf wachsende Kritik

Auf die wachsende Kritik reagieren die Verantwortlichen von ReconAfrica und die Regierungsbehörden zunehmend nervös. Das Unternehmen sah sich im Nachhinein zu öffentlichen Anhörungen genötigt, die eher konfrontativ verliefen. Und Namibias Umweltminister Pohamba Shifeta und Präsident Hage Geingob forderten ein Ende der Diskussionen, weil sie dem Ruf des Landes schadeten.

Die mangelnde Gesprächs- und Informationsbereitschaft hat die Glaubwürdigkeit von ReconAfrica beschädigt. Entgegen den eigenen Ankündigungen und einer Medienerklärung des namibischen Ministeriums für Bergbau und Energie, wonach nur konventionelle Ölförderung geplant sei, weigert sich das Unternehmen nach wie vor, seinen bedingungslosen Verzicht auf Fracking zu erklären. Den gesetzlich vorgeschriebenen Umweltbericht EIA ließ das Unternehmen erst nach Erteilung der Lizenz von einem Subunternehmer erstellen. Umweltexpert*innen behaupten, der Bericht sei einseitig und oberflächlich: »Die EIA geht nicht auf die Frage ein, welche großen Mengen an Wasser für die Exploration benötigt werden und wie der hochgiftige und radioaktive Bohrschlamm gereinigt und entsorgt werden soll«, sagt Annette Hübschle vom Environmental Futures Project des Global-Risk-Governance-Programms der Universität von Kapstadt.

Darüber hinaus geht es auch um die Sicherung der Wasserqualität bei den Bohrungen. Wenn nicht sauber gearbeitet wird, könnte das tiefer gelegene Wasser die obere Grundwasserschicht verseuchen. »Das heißt, die Regierung muss das vor Ort überprüfen. Sie muss es schnell machen. Sonst sitzen wir hier noch 100 Jahre mit einem Problem, das sich nicht beheben lässt«, so Roy Miller, Geologe und pensionierter Direktor im namibischen Ministerium für Bergbau und Energie.

Dass sich der Umweltbericht des Unternehmens nur auf die erste Phase der Probebohrungen beziehe und in keiner Weise den Anforderungen an eine umfassende Risikobewertung genüge, die das gesamte Projekt der geplanten Ölförderung betrachten müsse, bemängelt der World Wildlife Fund. Er fordert die Regierung auf, zunächst eine ganzheitliche strategische Umweltprüfung nach internationalen Standards durchzuführen, die auch einer unabhängigen Überprüfung unterzogen werden sollte.

Der Ölboom kommt nur wenigen zugute

Ökonom*innen bezweifeln grundsätzlich, dass beide Länder das geförderte Öl jemals werden sinnvoll nutzen können, da sie weder über Raffinerien noch über Pipelines und Verladehäfen verfügen. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass der Ölboom eher mächtigen Einzelpersonen und ausländischen Unternehmen zugutekommt. Die entstehenden Umweltkosten hingegen müssen von den lokalen Gemeinden und den Steuerzahlenden getragen werden. Mit der Vergabe der Lizenz für 25 Jahre hat sich ReconAfrica in neokolonialistischer Manier eine Gewinnbeteiligung von 100 Prozent in Botswana und 90 Prozent in Namibia gesichert. Die verbleibenden zehn Prozent gehen an die staatliche Ölgesellschaft NAMCOR. Angesichts des Klimawandels muss sich die Welt zwangsläufig am postfossilen Zeitalter orientieren. Anlagen der Erdöl- und petrochemischen Industrie werden durch die Einbeziehung der CO2-Kosten langfristig deutlich an Rentabilität und damit auch an Attraktivität für Investor*innen verlieren. Der Wiedereintritt der USA in die internationale Allianz gegen die Erderwärmung verstärkt den Gegenwind gegen das Projekt ReconAfrica, das die die Fridays-For-Future-Ortsgruppe der namibischen Hauptstadt Windhuk eine »Kohlenstoffbombe« nannte. Allein ein Sechstel des verbleibenden globalen CO2-Budgets könne dessen Ausbeutung ausmachen.

Auf dem Leaders Summit on Climate im April unterstützte US-Präsident Joe Biden nachdrücklich das Mega-Solar-Projekt, das von der USAID-Initiative Power Africa in Kooperation mit Namibia und Botswana zum Bau eines der größten Solarparks der Welt vorangetrieben wird. Als künftige große Solarstromproduzent*innen und -exporteur*innen könnten die beiden Länder dann die Region des südlichen Afrikas mit erneuerbarer Energie versorgen und einen wichtigen Beitrag zu den globalen Bemühungen gegen den Klimawandel leisten. Die Organisation Fridays For Future nutzte den Tag von Bidens virtuellem Klimagipfel, um die G7 aufzufordern, gegen das Projekt von ReconAfrica vorzugehen und Namibia an seine Verpflichtung zu erinnern, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 92 Prozent zu reduzieren.

Norbert Halmer

ist Lehrer im Ruhestand und Dozent. Er studierte Geographie, Geologie und Klimatologie und unternahm zuletzt 2019 eine Studienreise nach Namibia, Botswana und Südafrika.

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