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|Thema in ak 655: Kosmonismus

Ein Ticket zum Mond

Ende der 1960er Jahre verkaufte die US-Fluggesellschaft Pan Am Passagierflüge zum Mond – auch in den Ländern des Ostblocks

Von Kornelia Kugler

Hier wartet jemand auf die Rakete zum Mond. Foto: Screenshot "Ticket to the Moon"

Frühling 1969, ČSSR: Zlatêk Maršák besucht die Prager Dependance der amerikanischen Fluglinie Pan Am (Pan American Airways) um sich im First Moon Flights Club anzumelden. Wenig später erhält er einen Brief mit einem Ticket für den ersten Passagierflug zum Mond. Seine Reihung in der Warteliste ist die Nummer 9.772.

Zu diesem Zeitpunkt hat der Einmarsch der sowjetischen Truppen nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« im August 1968 bereits stattgefunden, und Resignation macht sich breit. Bis zum Sommer 1969 findet die sogenannte »Normalisierung« statt, in der die vorher begonnenen Reformen eines »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« wieder zurückgenommen und die Grenzen geschlossen werden. Kurz nach Zlatêk Maršáks Besuch wird das Pan-Am-Büro in Prag aufgelöst. Die Idee einer Reise zum Mond scheint eher möglich, als eine Reise nach Westeuropa, geschweige denn Amerika.

Die Faszination für das All ist sowohl im Ostblock als auch im Westen ein Produkt des propagandistisch genutzten »Space Race« zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Nachdem 1957 der sowjetische Satellit Sputnik 1 als erstes in die Erdumlaufbahn fliegt, gewinnt die USA 1969 mit der Mondlandung der Apollo-11-Mission vorläufig den »Wettlauf ins All«. Fluglinien wie Pan Am nutzen die Begeisterung und das Momentum, in dem Reisen ins All greifbar nahe zu sein scheinen, zu Werbezwecken.

Zlatêk Maršák bleibt in Prag

Zlatêk Maršák bleibt Dozent für Thermodynamik an der Universität Prag und fliegt weder zum Mond noch emigriert er aus Tschechoslowakei. Vor einigen Jahren erzählt er seiner Enkelin, der Filmproduzentin Veronika Janatková, dass er ein Ticket zum Mond besitzt. Sie fängt an, über diese Tickets zu recherchieren, und kann zum 50-jährigen Jubiläum der Mondlandung den Dokumentarfilm »Ticket to the Moon« realisieren und die Geschichte ihres Großvaters und die anderer Ticketinhaber*innen erzählen. Sie greift neben den vergangenen, wissenschaftsgläubigen und fortschrittsoptimistischen Träumen der Moderne auch die aktuellen nichtstaatlichen Mars-Reisevorbereitungen von Firmen wie Privatpersonen auf.

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Die Frage, die sie stellt, ist, was damals wie heute die vermeintlich apolitischen Utopien von der Reise zu anderen Planeten befeuert. Der Wunsch zu reisen und zu »entdecken«, »virgin territory« zu betreten, das All zu erobern? Wie stark spielt Eskapismus eine Rolle, gerade in repressiven politischen und persönlichen Situationen? Welche Rolle spielen kollektive und individuelle (Sci-Fi-)Utopien und Träume in Ost und West? Einen Unterschied, den sie zwischen den heutigen Angeboten, Reisen zum Mars zu buchen oder Grundstücke auf dem Mond zu kaufen, und dem Ticket ihres Großvaters sieht: Er brauchte damals kein Geld, um sich für die Reise anzumelden. (Den späteren Ticketpreis hat sich Pan Am offengehalten, aber an die Interessent*innen geschrieben »that they might be out of this world«).

Einer der Interviewpartner Janatkovás im Film ist Gerhard Pistor, ein Journalist aus Wien, der auf Nummer 1 der Warteliste steht. Über ein staatliches Wiener Verkehrsbüro hatte er 1964 bei Pan Am und sicherheitshalber auch bei Aeroflot um ein Ticket zum Mond anfragen lassen und so die Idee des First Moon Flights Club ins Rollen gebracht. Es mutet wie ein Klischee des Innovationen befördernden Kapitalismus an, dass Aeroflot die Anfrage nur als Witz auffasste, während Pan Am die Möglichkeit zu Marketingzwecken zu nutzen wusste. Von 1968 an hat Pan Am fast 100.000 Klubkarten an »Space Enthusiasts« weltweit vergeben. 1971 wurde die Warteliste geschlossen, 1991 meldete Pan Am Insolvenz an.

Bei der Recherche zu ihrem Film fand Veronika Janatková heraus, dass im Jahr 1969 nach den USA die meisten Tickets in der Tschechoslowakei bestellt wurden. Nur wenige der Interviewpartner*innen, mit denen sie für den Film gesprochen hat, können sich noch an ihre Zukunftsträume von damals erinnern.

Kornelia Kugler

ist Filmemacherin und Teil des queerfeministischen Filmkollektivs Systrar Productions.