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|ak 718 | Wirtschaft & Soziales

Milliardenschwere Scheinlösung

Die Bundesregierung will die Abscheidung und Verpressung von Kohlendioxid ermöglichen

Von Klaus Meier

Eine Porträtaufnahme von Katherina Reiche am Rednerpult auf einem CDU-Parteitag.
Zukunft für Deutschland – oder eher für die Gasindustrie? Wirtschaftsministerin Katherina Reiche auf einem CDU-Parteitag 2014. Foto: Wikimedia Commons/Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 DE

Die Bundesregierung will die Tür für eine Hochrisiko-Technologie öffnen, die Kritiker*innen seit Jahren als gefährliche Ablenkung vom echten Klimaschutz bezeichnen: Carbon Capture and Storage (CCS), die Abscheidung, der Transport und die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid. Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die bisher in Deutschland verbotene Praxis legalisieren soll. Reiche präsentiert CCS als unverzichtbares Werkzeug für Industrien wie Zement, Kalk oder Aluminium, wo Emissionen angeblich nicht vermeidbar seien. Doch hinter dem technokratischen Vokabular verbirgt sich eine riskante Wette – und eine Einladung an die fossile Industrie, ihre Geschäftsmodelle auf Jahrzehnte hinaus zu sichern.

Die Reaktionen sind entsprechend gespalten: Während Wirtschaftsverbände wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer in CCS eine »Schlüsselrolle« für die Klimaneutralität sehen, warnen der Naturschutzbund Schleswig-Holstein und Greenpeace vor einer unausgereiften, extrem teuren Technologie, die den Blick auf bessere Alternativen verstellt.

CCS klingt nach einer simplen Formel – CO2 einfangen, wegtransportieren, tief unter der Erde verschwinden lassen. In der Realität ist es ein komplexer, störanfälliger und teurer Prozess, der in jedem Schritt gewaltige Probleme mit sich bringt.

Chemie am Limit

Bevor CO2 überhaupt gespeichert werden kann, muss es aus den Rauchgasen der Industrieanlagen herausgefiltert werden. Ein gängiges Verfahren ist die sogenannte Aminwäsche. Dabei wird das Abgas durch eine spezielle Lösung geleitet, die Amine enthält. Später werden die dabei entstehenden Aminsalze erhitzt, um das CO2 wieder freizusetzen und zu separieren. Amine können die Haut verätzen und beim Einatmen schwere Vergiftungen verursachen und Krämpfe erzeugen. Von Nachteil ist, dass die Aminwäsche sehr energieintensiv ist. Alternativ wird im Oxyfuel-Verfahren reiner Sauerstoff statt Luft zur Verbrennung genutzt. Als Produkt entsteht dann direkt Kohlendioxid und Wasser. Das Wasser kondensiert und das CO2 lässt sich einfangen. Das Problem dabei: Die Herstellung des Sauerstoffs ist ein energieintensiver Kraftakt. Alle Verfahren haben somit eine Gemeinsamkeit: Sie sind so energiehungrig, dass ohne grüne Energie das angebliche Klimainstrument selbst wieder Treibhausgase produziert.

Das abgeschiedene CO2 muss in gigantischen Mengen zu Lagerstätten gebracht werden. Tankwagen sind utopisch teuer, also braucht es Tausende Kilometer neuer Pipelines quer durchs Land. Der Fernleitungsbetreiber OGE (Open Grid Europe), ein deutscher Konzern mit Sitz in Essen, setzt darauf. OGE hat bereits Pläne für ein 1.500 Kilometer langes CO2-Pipelinesystem in Deutschland entwickelt, das German Carbon Transport Grid. Es soll u.a. eine Verbindung zur Schweiz schaffen und in Wilhelmshaven an eine Offshore-CO2-Pipeline nach Norwegen angeschlossen werden.

Ohne grüne Energie bedeutet CCS ein mehr an Treibhausgasen.

Doch diese Pipeline-Infrastruktur birgt nicht nur gewaltige Baukosten, sondern auch tödliche Risiken. CO2 ist zwar nicht giftig, da es aber schwerer als Luft ist, verdrängt es die Atemluft. Entweicht es in großen Mengen – etwa durch eine Leckage oder eine Havarie der Pipelines – kann es Menschen und Tiere in der Umgebung innerhalb weniger Minuten ersticken. Wie gefährlich eine Freisetzung von CO2 sein kann, zeigte sich 1986 bei einer Katastrophe in Kamerun. 1.700 Menschen erstickten damals in dem westafrikanischen Land, als aus dem Nyos-Vulkansee große Mengen CO2 austraten, die sich vorher am Grund angesammelt hatten. Der Wind wehte das Gas in die umliegenden Dörfer. Im Umkreis von zehn Kilometer starben daraufhin nicht nur die Menschen, sondern auch Tausende Rinder und andere Tiere.

Sicheres Verfahren?

Am Ziel angekommen, wird das CO2 unter hohem Druck in geologische Formationen gepresst – entweder unter dem Meer in früheren Erdöllagern oder auf dem Land in poröse Gesteinsschichten, die zusätzlich Deckschichten aus Ton als Deckel haben. Doch die Natur ist oftmals komplexer als vereinfachte Ingenieur-Modelle. So kann es durch die Verpressung von CO2 zu seismischen Erschütterungen kommen, was wiederum Kohlendioxid ungewollt freisetzen kann. Große Erdbeben können zudem CO2-Deponien gefährden.

So in Norwegen, das als Vorreiter bei der CCS-Verpressung gilt. Hier gab es in den letzten 120 Jahren 79 Beben der Stärken 4,0 bis 6,1, zum Teil in unmittelbarer Nähe bestehender oder geplanter CO2-Deponien. Sollte CO2 aus den unterirdischen Lagerstätten im Meer entweichen, könnte es zu einer Versauerung des Wassers kommen. Bei der CO2-Verpressung könnten auch Probleme mit Formationswasser entstehen. Das sind sehr salzige Flüssigkeiten, die in den Poren und Rissen von Gesteinsformationen enthalten sind. Sie enthalten oftmals giftige Schwermetalle und andere toxische Substanzen, die entweichen können, wenn Kohlendioxid unter hohem Druck in das Gestein injiziert wird. Diese Substanzen könnten in wasserführende Schichten eindringen und das Grundwasser vergiften.

Obwohl seit Jahrzehnten an CCS geforscht wird, bleibt es ein Nischenphänomen. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Großanlagen, in Europa gerade einmal zwei. Keines der Vorzeigeprojekte ist fehlerfrei: Im norwegischen Sleipner wandern Millionen von Tonnen CO2 unkontrolliert unter eine Deckschicht, die es eigentlich einschließen sollte, und suchen sich in mehreren Richtungen einen Weg nach oben. Im Projekt Snøhvit, ebenfalls in Norwegen, scheiterte die erste Einlagerung an kritischen Druckanstiegen. Erst der dritte Versuch läuft – bisher – stabil. Beim Projekt Salah in Algerien wurden eine Bodenhebung um mehrere Zentimeter festgestellt, es erfolgte ein Abbruch des Projektes in letzter Minute. Beim CCS-Projekt Gorgon in Australien gab es acht Jahre nach dem Start immer wieder Unterbrechungen, weil die Einpressung durch Salzwasser und Sand blockiert wurde. So wird klar: Technische Störungen, geologische Unwägbarkeiten und hohe Ausfallraten sind der Normalzustand – nicht die Ausnahme.

Trickkiste der fossilen Lobby

CCS ist kein Geschäftsmodell, sondern ein Subventionsfresser. Ohne staatliche Milliardenhilfen hätte kein einziges Projekt weltweit die Planungsphase überlebt. Das Institute for Energy Economics and Financial Analysis kalkuliert allein für die 200 aktuell geplanten CCS-Projekte in Europa Kosten von mindestens 520 Milliarden Euro – eine Schätzung, die angesichts der Erfahrung mit den Kostenexplosionen bei Großprojekten eher konservativ sein dürfte. Von Skaleneffekten, wie man sie aus der Solar- oder Windbranche kennt, ist CCS überdies weit entfernt. Die größten Kostentreiber – CO2-Abscheidung und Lagerung – sind technologisch ausgereizt, Kostensenkungen nicht in Sicht. Jeder neue Standort bringt eigene geologische Herausforderungen mit, die Planungen und Bau verzögern und verteuern.

Eine von Greenpeace beauftragte Untersuchung zieht ein vernichtendes Fazit: CCS ist ein Irrweg. Es ist weder realistisch noch wirtschaftlich, damit nennenswerte Teile der globalen Emissionen zu beseitigen. Um nur zehn Prozent der fossilen CO2-Mengen zu speichern, wären weltweit über 3.000 Anlagen vom Typ Sleipner nötig – eine infrastrukturelle und finanzielle Fata Morgana. Und eine jüngst erschienene Studie zeigt, dass das Potenzial für CCS deutlich überschätzt wird.

Warum also diese Milliardenpläne? Die Antwort ist unbequem: CCS verlängert die Lebensdauer der fossilen Industrie. Öl- und Gaskonzerne präsentieren es als »Brückentechnologie«, um weiter Kohle, Öl und Gas zu verkaufen – abgesichert durch die Aussicht, dass der Staat die Entsorgung ihrer Emissionen finanziert. Dass Katherina Reiche, einst Cheflobbyistin der Gaswirtschaft, nun im Wirtschaftsministerium diese Linie vertritt, wirkt kaum zufällig. Anstatt konsequent in erneuerbare Energien, Wärmepumpen oder grünen Wasserstoff zu investieren, sollen Hunderte Milliarden Euro in eine riskante, unausgereifte Technik fließen, deren Hauptzweck es ist, alte fossile Geschäftsmodelle künstlich am Leben zu halten.

Der herrschenden Politik muss daher eine extreme Widersinnigkeit bescheinigt werden. Deutschland sitzt bereits auf Tausenden Tonnen Atommüll – ein Erbe gescheiterter Energiepolitik. Anstatt ein schlüssiges Entsorgungskonzept dafür zu entwickeln, will die Wirtschaftsministerin jetzt auch noch große CO2-Deponien unter der Erde schaffen – und das für viel Geld. Das Scheitern auch dieser Politik ist bereits vorgezeichnet. CCS ist, um es zusammenzufassen, keine Klimarettung, sondern ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Es ist teuer, riskant, langsam – und vor allem im Interesse derer, die vom fossilen Status quo profitieren. Wer wirklich das Klima schützen will, muss die Energiewende beschleunigen, nicht Milliarden in eine Scheinlösung pumpen, die vor allem eines garantiert: noch viele Jahre hohe Profite für Öl- und Gaskonzerne – und verlorene Zeit im Kampf gegen die Klimakrise.

Klaus Meier

ist Ingenieur und Hochschuldozent und engagiert im Netzwerk Ökosozialismus.