Tasten, ran an die FLINTA!
Was hält FLINTA aus den Leser*innenspalten?
Von Sara Sommer
Du musst einen Leser*innenbrief schreiben«, begrüßt mich mein Partner. »Die ak will mehr Briefe von FLINTA. Du kriegst auch einen Beutel!«
»FLINTA, ran an die Tasten!«, steht in der ak im April 2025. »Cool«, sage ich. Auch das noch, denke ich. Ich habe noch nie einen Leser*innenbrief geschrieben. Ich verstehe nicht, warum es so hoch bewertet wird, seinen Senf abzugeben. Öffentlich auf dem Präsentierteller, und gleichzeitig seltsam ins Leere gesprochen. Ich finde die ak-Aktion gut. Gleichzeitig bin ich müde von den Appellen, dass ich gleichberechtigter aussehen möge.
Stattdessen würde ich lieber über die Formate sprechen. Was hält FLINTA aus den Leser*innenspalten? Reine Tradition, oder ist der Leser*innenbrief als Format unattraktiv? Gibt es andere Möglichkeiten? Kurz: Wie könnten nicht nur FLINTA näher an die Tasten, sondern auch die Tasten näher an FLINTA rücken?
Statistik
Zunächst versuche ich, Zahlen zu finden. Das ist gar nicht so einfach. Laut taz Hausblog 2014 stammten damals rund 30 Prozent der veröffentlichten Leser*innenbriefe in der taz von »Frauen«. 2011 wurde der »Frauen«-Anteil unter den eingesandten Zuschriften auf zehn bis 20 Prozent geschätzt.
2020 stellte auch die Frankfurter Rundschau (FR) einen Männerüberschuss fest und rief anlässlich des Frauentags dazu auf, die Leser*innenseite mit Zuschriften von »Frauen« zu füllen. (Im FR-Blog zu finden unter »Was ist los mit euch Frauen?« Stilistisch sehr spannend, leider sprengt der Rant dazu den Rahmen.)
Ich schreibe »Frauen« hier in Anführungszeichen, weil diese Aktionen das binär gedachte Geschlecht auf Grundlage des Vornamens zuschreiben. Etwas anderes ist aus Leser*innenbriefen auch nicht ersichtlich. Die tatsächliche Geschlechtsidentität bleibt also ebenso außen vor wie die Sichtbarkeit anderer Gruppen, die ebenso wichtig ist. (Wer schreibt einen Artikel dazu?)
Was also ist der Grund für diesen hartnäckigen Befund, der bis zur ak reicht? Ich möchte mehr wissen und bitte FLINTA in der Juni-Ausgabe, mir ihre Erfahrungen zu schicken. Ich habe dazu eine Zuschrift erhalten, ebenso wie die ak auf ihren Aufruf einen Leser*innenbrief erhielt. Zusätzlich habe ich die einzige Freundin befragt, die schon mal einen Leser*innenbrief geschrieben hat, und habe die Aktionen der drei genannten Zeitungen ausgewertet. Zusammen mit meiner eigenen Erfahrung ergibt dies die Grundlage für meine Gedanken.
Strukturelle und kulturelle Hürden
Bei der Spekulation über die Gründe wird häufig fehlende Zeit genannt. Das schildert auch Julia in ihrer Zuschrift an die ak und bezeichnet ihre Nicht-Beteiligung als »Nachklang meines Hinterher-Gehecheles«. Ebenso häufig wird ein geringeres Selbstbewusstsein vermutet. Ich würde es lieber »Zurückhaltung« nennen. Diese ist teils geschlechtsspezifisch anerzogen, teils aber auch ein tief eingebrannter Reflex zum Selbstschutz. Denn öffentliches Exponieren hat reale Risiken und Nebenwirkungen.
Nicht genannt, aber sehr wichtig erscheint mir die schlichtweg fehlende Selbstverständlichkeit, diese Möglichkeit zu nutzen – sozusagen »kulturelles Wissen«. So schildert P. in ihrer Zuschrift an mich: »Ich hatte den Aufruf nach mehr FLINTA-Beteiligung der ak gelesen und zum ersten Mal gedacht: Da schreib ich mal was! ICH bin auch gemeint!«
Danach vergaß sie den Aufruf. Eine Aussage, auf die ich erstaunlich oft stoße: Hab’s vergessen. Der Moment zum Abschicken kam nicht. Ich habe erstmal abgewartet. Ich kam nicht auf die Idee. Ich muss noch überlegen, was ich da schreiben soll. Es kam was dazwischen. Zusammengefasst ein fehlender Impuls, tätig zu werden. Hierin verdichten sich letztlich alle der oben genannten Hürden.
Inhaltlich hatte ich bei meiner Sichtung den Eindruck, dass sich die »Frauen« wohlfühlten, über das allgemeine Thema »Gleichstellung« zu schreiben, statt auf einen bestimmten Artikel zu antworten. Oft sind ihre Aussagen in alltägliche oder biografische Erfahrungsberichte eingebettet. Vielleicht fühlt man sich darin auch eher »sprechfähig«. Das widerspricht aber dem schlagzeilengesteuerten Zeitungstakt. Ist das Zeitungsformat überhaupt für alle Menschen gleich interessant und relevant? Wie sieht es mit der Vielfalt in den Redaktionen aus? Über wen wird berichtet? Ich hoffe stark, dass Redaktionen diese Fragen regelmäßig analysieren.
Entschleunigte Community
Zurück zu den Leser*innenbriefen: Wir suchen also Möglichkeiten, zeitlich langsamer und inhaltlich persönlicher zu werden, direkt anzusprechen und eine freundlich-sichere Atmosphäre zu wahren. Dass in der ak nur der Vorname veröffentlicht wird und keine seltsamen Schlagabtausche entstehen, dürfte Sicherheitsbedürfnissen gut entgegenkommen. Unterbelichtet bleibt der Zeitfaktor: Bis wann muss ich einsenden? Kann mein Brief auch in der übernächsten Ausgabe noch erscheinen? Bei Aktionen dürfte es sich lohnen, Fristen großzügig zu setzen und Erinnerungen einzuplanen. Das braucht natürlich einen größeren Bogen über einzelne Ausgaben hinaus. Einmalige Aufrufe geben Anstöße, Verankerung entsteht aber erst, wenn das Thema regelmäßig sichtbar ist. Das kann durch Aktionen geschehen, aber auch platzsparend durch eine Art »Gleichstellungsticker«.
Wie wäre es mal mit einem frischen Framing? Der Leser*innenbrief könnte auch »Feedback« heißen, die Leser*innenseite »Community-Seite«. Für mich klingt das persönlicher, konstruktiver, thematisch breiter … eben einladender. Neben den artikelbezogenen Rückmeldungen könnten auch Erfahrungen und Gedanken zu bestimmten Aktionsthemen erfragt werden. Das würde die atemlose, ausgabengetaktete Aktions-Reaktions-Kette der Leser*innenbriefe aufbrechen und durch einen gemächlicheren Gedankenstrom ergänzen. Natürlich mit Vorankündigung und Erinnerungen, versteht sich! Manche der ak-Schwerpunkte hätten sich dafür bereits geeignet.
Ob all diese Experimente etwas bringen, lässt sich unmöglich sagen. Schnelle Ergebnisse sind nicht zu erwarten, ebenso wenig wie Parität in einer ungleichen Welt. Ich möchte anregen, das Thema nicht nur quantitativ zu betrachten, sondern den Prozess und das Gespräch wertzuschätzen. Auf dem Weg zu einer besseren, inklusiven, alle einladenden Welt brauchen wir Mut und Offenheit für Experimente, ebenso wie einen langen Atem. Das zu üben ist immer eine gute Idee. Es spricht nichts dagegen, in der Leser*innenspalte anzufangen.