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|ak 670 | Wirtschaft & Soziales

Zehn Jahre Einsamkeit

Die Beschäftigten der Krankenhausgesellschaft CFM sollen endlich einen Tarifvertrag bekommen – gleiche Löhne aber nicht

Von İnci Arslan

Arbeiterinnen mit ver.di-Westen, Fahnen, Trillerpfeifen und Banner.
Zehn Jahre lang haben Kolleg*innen der CFM immer wieder gestreikt. Foto: Klasse gegen Klasse

Immer häufiger lagern Krankenhäuser in Deutschland Aufgaben an Servicegesellschaften aus: Wie kürzlich von der Linksfraktion im Bundestag erfragte Daten zeigen, verdoppelten sich die Personalausgaben in outgesourcten Bereichen zwischen 2010 und 2018 von knapp zwei auf vier Milliarden Euro. Der Anteil an allen Personalausgaben der Kliniken stieg demnach von vier auf sechs Prozent, besonders hoch ist er mit 17,4 Prozent in Berlin.

Die Gründung der CFM Facility Management GmbH, in die alle nichtpflegerischen und nichtärztlichen Tätigkeiten an Europas größtem Uniklinikum, der Berliner Charité, ausgelagert wurden, fand schon einige Jahre vor dem Zeitraum statt, auf den sich die von der Linksfraktion erfragten Daten beziehen. Im Januar 2006 ging die Tochtergesellschaft an den Start – damals zu 49 Prozent in Besitz eines privaten Konsortiums aus Vamed, Dussmann und Hellmann und zu 51 in Besitz der Charité. Deren Tarifvertrag galt für die CFM nicht mehr und bis heute nie wieder. Das führte unter anderem zu der seit Jahren bestehenden, absurden Situation, dass Alt-Beschäftigte, die noch bei der Charité direkt angestellt sind – die sogenannten »Gestellten« – für exakt gleiche Tätigkeiten deutlich mehr Gehalt beziehen als ihre bei der CFM angestellten Kolleg*innen, die keinen Tarifvertrag haben und zu Niedriglöhnen beschäftigt sind.

Angleichung bis 2027

Die Entscheidung für dieses beispielhafte Outsourcing fiel seinerzeit unter dem »rot-roten« Berliner Senat aus SPD und der Linksparteivorgängerin PDS. Die Hauptstadt liegt also nicht nur weit vorne mit in Tochtergesellschaften oder durch Fremdvergaben ausgelagerte Personalkosten an Kliniken, sondern war diesbezüglich auch Vorreiterin. Und die Kolleg*innen der CFM wiederum waren Vorreiter*innen im Kampf für die Rückführung. Sie begannen 2011 mit einem 13-wöchigen Streik, seitdem kam es immer wieder zu Warnstreiks und Streiks. 2016 nahm die rot-rot-grüne Regierung in Berlin aufgrund des kontinuierlichen Drucks der CFM-Beschäftigten, die stets auch die Verantwortlichen in der Politik adressierten, deren Forderung nach Angleichung an den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVÖD) in ihren Koalitionsvertrag auf. 2017 erreichten die Beschäftigten eine tarifvertragsähnliche Einigung mit etwas höheren Löhnen; 2019 verließen die privaten Anteilseigner Vamed, Dussmann und Hellmann schließlich die CFM, seitdem ist sie – wie die Charité – zu 100 Prozent Besitz des Landes Berlin.

Und trotzdem gibt es im Jahr 2021 noch immer keinen Tarifvertrag; trotzdem liegen die Löhne der Arbeiter*innen bei der CFM im Jahr 2021 – zehn Jahre nach dem ersten Streik – noch immer weit unter denen der Charité-Angestellten.

Anfang März hat nun eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaft nach monatelanger Schlichtung unter Beteiligung von Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ein Ergebnis vorgelegt: Die CFM soll einen Tarifvertrag bekommen, ein Entwurf dafür liegt vor, über den die ver.di-Kolleg*innen an der CFM jetzt abstimmen werden. Die Löhne sollen steigen, auf 88 Prozent des TVÖD-Niveaus, doch die Kern-Forderung der Kolleg*innen wird weiterhin nicht erfüllt, sondern lediglich für das Jahr 2027 in Aussicht gestellt. Die ver.di-Tarifkommission schreibt dazu in einer Tarifinfo von Anfang März, dass »unter den gegebenen politischen und finanziellen Rahmenbedingungen, in der Schlichtung das überhaupt maximal Erreichbare herausgeholt wurde«. Sie lobt die geplanten Entgelterhöhungen, bedauert aber ausdrücklich, dass es »trotz intensiven Ringens nicht gelungen ist, die Entgeltsystematik des TVÖD zu vereinbaren und am Ende der Laufzeit noch nicht bei dem Niveau des TVÖD zu 100 Prozent angekommen zu sein«.

Das bedeutet auch: Der Berliner Senat – und mit ihm die Linkspartei – hat das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht gehalten, denn die Legislatur geht im Herbst zu Ende.

Auf den ersten Blick erscheint das wenig plausibel: Bei der CFM arbeitet eine überschaubare Anzahl von Menschen, um etwa 3000 Beschäftigte geht es. Es gibt eine zähe, ausdauernde und aktive Belegschaft, einen Betriebsrat sowie – zumindest auf dem Papier – Unterstützung der regierenden Parteien in Berlin. Dennoch scheint es unmöglich, die 2006 erfolgte Auslagerung rückgängig zu machen. Warum?

Baustein öffentlicher Daseinsvorsorge

Dies liegt auch daran, dass der Kampf der CFM-Beschäftigten auf einen wesentlichen Baustein der öffentlichen Daseinsvorsorge zielt und das Grundproblem einen viel größeren Bereich betrifft als die Charité. Den Blick auf die ausgelagerten Bereiche des anderen großen Berliner Klinikum Vivantes zu erweitern, hilft zu verstehen, warum der Kampf der CFM einen dermaßen langen Atem erfordert. Denn auch bei Vivantes wurden etliche Tätigkeiten ausgelagert, vor einigen Jahren schlossen sich betroffene Kolleg*innen denen der CFM an und begannen ebenfalls zu streiken. Aufstand der Töchter, nannten die Beteiligten das – ihr Schlachtruf lautet: »TVÖD für alle!«

Der Kampf der CFM-Beschäftigten zielt auf Outsourcing, einen wesentlichen Baustein der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit auf ein Problem, das einen viel größeren Bereich betrifft als die Charité.

Und damit griffen und greifen sie das gesamte Finanzierungskonstrukt des Gesundheitswesens an: Es ist kein Zufall, dass – wie die eingangs zitierten Zahlen belegen – das Outsourcing an den Kliniken gerade in den vergangenen 15 Jahren stark zugenommen hat. »Spätestens mit der Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf sogenannte Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG)« habe der Trend zu Fremdvergaben »rasant zugenommen«, hieß es bereits vor einigen Jahren in einer ver.di-Broschüre zum Phänomen Servicegesellschaften. Der damalige Charité-Direktor Behrend Behrends sagte im Frühjahr 2007 bei einer Pressekonferenz zur Bilanz des ersten CFM-Jahres ganz offen: »Der Kostendruck im Gesundheitswesen wurde immer stärker, so dass wir umstrukturieren mussten.«

Auslagerungen dienen allein dazu, Kosten zu senken. Sie haben aber auch weitere Effekte, die es erschweren, einmal ausgegründete Tätigkeiten wieder in Tarifverträge zurückzuführen: Die Spaltung von Belegschaften, die Ausweitung befristeter Beschäftigung, Union Busting. Auch dafür ist die CFM ein Lehrbeispiel.

Aber der Trend zum Outsourcing betrifft nicht nur die Kliniken, es geht um noch viel mehr: Im öffentlichen Nahverkehr, an Schulen, Hochschulen, in Botanischen Gärten, Museen, Bibliotheken – überall im öffentlichen Sektor wurden und werden Tätigkeiten systematisch ausgegliedert, um Personalkosten zu sparen, Tarifverträge und teilweise Vergabemindestlöhne zu umgehen. Auch in Berlin ist das, etwa bei der BVG, weit über den Krankenhausbereich hinaus verbreitet. Die Angst vor einem Dominoeffekt ist sicherlich einer der wesentlichen Gründe dafür, dass der Senat an einer gesichtswahrenden Lösung für die CFM, nicht aber einer vollständigen Rückführung in die Charité interessiert ist.

Viel zu lernen

Diese Lehre ist wichtig für kommende Auseinandersetzungen. Der Arbeitskampf der CFM-Kolleg*innen ist nicht nur ein Beispiel für enorme Ausdauer, sondern betrifft eben auch den Kern der öffentlichen Daseinsvorsorge, die heute ohne Outsourcing nicht mehr funktioniert. Dies zu ändern wird noch viele CFMs und einiges mehr brauchen. Für linke und gewerkschaftliche Strategien ist das Beispiel CFM deshalb unbedingt relevant und sollte intensiv studiert werden. So zeigte sich etwa, dass das restriktive deutsche Streikrecht es im Grunde verunmöglicht, legal gegen geplante Ausgliederungen zu streiken – denn solange sie nicht vollzogen wurden, betreffen sie keine Tarifauseinandersetzungen, politische Streiks wären hier nötig, die sind in der Bundesrepublik jedoch verboten. Das ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Fragen, die sich aus den an der CFM gesammelten Erfahrungen ergeben – zehn Jahre Arbeitskampf geben in jedem Fall genug Stoff zu lernen. 

İnci Arslan

ist Autorin und Aktivistin aus Berlin.