Autoritärer Kulturkampf
In Berlin streicht der schwarz-rote Senat Ausgaben für soziale und inklusive Projekte – ein Vorgeschmack auf die kommende Bundespolitik?
Von Edwin F. Greve

Nehmen wir an, es gäbe da einige Menschen in hochrangigen politischen Ämtern: Diese – ganz »ideologiefrei« – demonstrierten gegen die Umbenennung von Straßen, deren Namen antisemitische Bezüge herstellen; versprächen im Wahlkampf die Abschaffung des »unnötigen« Landesantidiskriminierungsgesetzes; würdigten Bildungsprojekte gegen Antisemitismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und für Inklusion als »Wildwuchs« herab.
Nehmen wir an, sie regierten nun (nach langer Zeit in der Opposition) ein Berlin, das nach Pandemie, starkem Bevölkerungsanstieg durch den Ukrainekrieg und einer unglücklichen Steuerschätzung so wenig Geld hat, dass das arm durch »Sparkurse« der 2000er Jahre nicht einmal mehr »sexy« ist. Stellen wir uns vor: So arm, dass dem unliebsamen »Wokistan« in der Hauptstadt nun wegen Eigenbedarf gekündigt und direkt auch der Platzverweis ausgesprochen wird.
Sparkurs zum Durchgreifen
Wenn es um den Haushalt geht, ist nicht nur für Lai*innen schwer nachzuvollziehen, was dran ist an großen Zahlen und abstrakten Summen. Man kann sich aber auch als Haushalts-Newbie wundern, warum der Regierende Bürgermeister Kai Wegner der Presse von seinem Traum von der Magnetschwebebahn erzählte, während Träger der sozialen und inklusiven Arbeit zeitgleich zu Runden eingeladen wurden, in denen ihnen Abgeordnete seiner Koalition empfahlen, sich neue Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen.
Dabei geht es auch um Kontrolle. Zweifelsohne ist die einfachste, schnellste und effektivste Weise für die Exekutive, politischen Einfluss auszuüben, die Zuteilung bzw. Versagung von Geld. In der CDU heißt es: »Wildwuchs«-Bekämpfung.
Diese Wortwahl schließt an das Narrativ der Doppelstrukturen an, also die Möglichkeit, über verschiedene Förderbereiche Projektmittel für dieselbe Arbeit zu beantragen. Das, was die CDU im Antidiskriminierungsbereich für »Doppelstrukturen« hält, sind in der Realität Strukturen, die Querschnittsthemen bearbeiten. Selbstverständlich muss in jedem Bereich – von Gesundheit, Bildung, Wohnen über Verkehr, Wirtschaft und Soziales bis hin zu Sicherheit – Antidiskriminierungsarbeit geleistet werden, selbstverständlich müssen diese Strukturen zusammenarbeiten. Wenn der Staatssekretär für Jugend, Falko Liecke nun ein Problem damit hat, dass Träger der Antidiskriminierungsarbeit sowohl Mittel aus der Bildungs- als auch der Sozialverwaltung beziehen, zeugt das, wohlwollend interpretiert, von grober Sach-Unkenntnis, mutmaßlich aber von ideologischem Tatendrang.
Die effektivste Weise, politischen Einfluss auszuüben, ist die Zuteilung bzw. Versagung von Geld.
Um sich die Arbeit leichter und das Durchgreifen noch effektiver zu machen, bastelt die Bildungsverwaltung seit einigen Monaten an einer Stabsstelle »Politische Bildung und Demokratieförderung«. Die soll steuern, was zu steuern geht: schulische und außerschulische Bildung und u.a. über die übergreifenden Themen – wie die Bildung für Akzeptanz für Vielfalt oder auch das Lernen für nachhaltige Entwicklung in globalen Zusammenhängen – auch schulbezogene Projekte jeglicher Präventionsbereiche. Auch Wegner findet deutliche Worte für seine Weltsicht, selbstredend keine »Ideologie«: Er erklärte etwa, er sehe keine Notwendigkeit, Operntickets für Menschen mit geringerem Einkommen zu subventionieren, Kassiererinnen gingen ohnehin kaum in die Oper.
Die SPD steht den ganzen Kürzungs- und Streichwellen ihrer Koalitionspartnerin im Wechsel schockiert, empört und mit schnellem, als »Rettungsfonds« betitelten Notgroschen gegenüber. Langfristige Lösungen gibt es keine.
Selbstgewählte Machtlosigkeit
Doch diese Koalition hätte nicht sein müssen. Innerhalb der SPD fiel die Entscheidung nur knapp zugunsten der CDU aus. Für die Parteispitze rund um die Ex-Regierende Franziska Giffey war die GroKo wohl eine willkommene Gelegenheit, sich gänzlich der Verpflichtungen aus dem Volksentscheid DW & Co. Enteignen zu entledigen. Gleich im Nachgang der Wahlen wurden auch die Weichen im Bereich Mobilität umgestellt: Laufende Projekte zur Stärkung von Rad- und Fußverkehr wurden verschleppt oder gänzlich abgewickelt, der U-Bahn-Bau gegenüber dem schnelleren und wesentlich günstigeren Bau von Straßenbahnen priorisiert.
Auch die CDU/CSU-Fraktion im Bund hat es darauf abgesehen, der Zivilgesellschaft, besonders den Teilen, die die AfD-Kuschelei von Friedrich Merz zu wütenden Protesten veranlasst hat, die Gelder zu entziehen. Diese Art politischer Einflussnahme hat Wegners Berliner CDU erfolgreich erprobt.
Die nächste Berlin-Wahl 2026 wird sowohl für die Berliner als auch für die Bundes-CDU entsprechend bedeutsam. Für diejenigen, die an der Vision einer Stadt für alle festhalten und wollen, dass alle in Würde und vor Diskriminierung und behördlicher Schikane geschützt leben können, für diejenigen wird sie existenziell.