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Queere Geschichte

Die Doku »Eine geheime Liebe« ist ein Zeugnis lesbischen Lebens Mitte des 20. Jahrhunderts

Von Lea Gronenberg

Refugium für andere Weiblichkeiten: Eine Spielerin der All American Girls Professional Baseball League sagt dem Schiedsrichter ordentlich Bescheid. Foto: Archiv der State Library of Florida

Terry Donahue und Pat Henschel lernten sich 1947 an einem Sonntagmorgen beim Eishockey kennen. Die beiden Frauen verliebten sich und lebten 72 Jahre als Liebespaar – ohne dass die Öffentlichkeit oder ihre Familien davon wussten. Nun teilen sie in der Netflix-Dokumentation »Eine geheime Liebe« ihre (Liebes-)Geschichte mit.

»Eine geheime Liebe« porträtiert zwei außergewöhnliche Pionierinnen und Feministinnen. In vielerlei Hinsicht wichen ihre Lebensentwürfe von den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen ab. Terry Donahue spielte in der 1943 gegründeten All-American Girl Professional Baseball League. Die Spielerinnen der Liga waren die ersten Frauen, die mit ihrem Sport Geld verdienten und somit dem weiblichen Profisport den Weg bereiteten.

Bekanntheit erlangte die Liga vor allem durch den Spielfilm »A League of Their Own« aus dem Jahr 1992. Der Film von Penny Marshall ist allerdings so frei von Queerness, wie es sich die amerikanische Gesellschaft in den 1940ern und 50ern nur erträumen konnte. Über Verbote »männlicher« Kleidung oder Haarschnitte sowie Ausschlüsse erzwangen die Liga-Verantwortlichen, dass die Spielerinnen möglichst cisgeschlechtlichen und heteronormativen Rollen entsprechen.

Terry Donahue outete sich erst mit über 80 Jahren vor ihrer Nichte Diana Bolan, der Mutter des Filmemachers Chris Bolan. Über die familiäre Verbundenheit Bolans zu den Protagonist*innen ist dieser Dokumentarfilm ein sehr persönliches Projekt, dennoch bleibt er seiner Rolle als Beobachter treu. »Eine geheime Liebe« nähert sich dem Prozess des Coming-Outs aus unterschiedlichen Perspektiven und deckt dabei komplexe Familiendynamiken auf. Seine Mutter und Großtanten öffnen sich in Einzelinterviews und lassen die Zuschauer*innen so an ihren teils sehr intimen Erinnerungen und Gedanken teilhaben.

Mittels unzähliger Fotos und Videos entwickelt »Eine geheime Liebe« eine wunderschöne Liebesgeschichte. Nur durch Zufall entdeckte Bolan einen ganzen Koffer voller gut erhaltener Acht-Millimeter-Filme und Bilder im Keller seiner Großtanten. Das Material zeigt ein glückliches Paar beim Herumalbern am Strand, zu Besuch bei der Familie, beim Skifahren oder Baden am See. Diese Aufnahmen sind wertvolle und seltene Zeugnisse lesbischer Liebe in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die beinahe vergessen lassen, dass es Paare wie Terry Donahue und Pat Henschel nicht geben durfte.

Die persönliche Geschichte von Donahue und Henschel spiegelt damit ein Stück queerer Geschichte in Kanada und den USA wider. »Eine geheime Liebe« verdeutlicht, dass die LGBTIQ-Community viele Rechte erst vor kurzer Zeit erkämpfte. Zwischen der Verfolgung »Subversiver« in der McCarthy-Ära, Beschäftigungsverboten, Razzien, Zwangsoutings, der Entkriminalisierung (männlicher) Homosexualität, der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner*innenschaften und der Öffnung der Ehe für alle liegt kein ganzes Menschenleben. Hintergrundinformationen, die Chris Bolan über Mitschnitte aus Nachrichtensendungen und Expertinneninterviews einbindet, bringen dem breiten Netflix-Publikum die historische Diskriminierung von LGBTIQs näher. Es scheint ein wenig, als müsste er die Glaubwürdigkeit seiner Protagonistinnen unterstreichen, dabei reicht es völlig, den beiden alten Frauen zuzuhören.

Nicht als unweiblich, sprich lesbisch, gelten

Beinahe beiläufig berichten die Frauen über ihre Angst, entdeckt zu werden. Die Liebesbriefe, deren handschriftliche Zeilen gemeinsam mit den Erinnerungsfotos eingeblendet werden, sind am unteren Rand abgerissen, um die Absenderin zu verheimlichen. Um keinen Verdacht zu erregen, kleideten sie sich bei der Arbeit besonders professionell. Gemeint ist damit, dass sie Kleider und Lippenstift trugen, um nicht als »unweiblich« (sprich: lesbisch) wahrgenommen zu werden. Es ist herzzerreißend mit anzusehen, welche Anstrengungen es Donahue und Henschel kostete, ihre Beziehung über Jahrzehnte im Geheimen zu führen. Umso rührender ist die starke Verbundenheit der beiden über eine so lange Zeit.

Der große Verdienst des Dokumentarfilms liegt in seiner zuversichtlichen und ermutigenden Perspektive. Lesbische Frauen sind im Film meist tragische Figuren. Noch immer sehen Filmemacher*innen ihre Lesben am liebsten tot. Ihre auffällig hohe Sterblichkeitsrate in Filmen und Serien hat sogar einen eigenen Namen: Dead Lesbian Syndrome (oder auch Bury Your Gays). Porträts, die weibliche Homo- oder Bisexualität thematisieren, sind meist düster und konzentrieren sich vor allem auf die Unterdrückung dieser Sexualität.

»Eine geheime Liebe« ist dagegen ein warmherziger, leichter Film, der von einem Paar erzählt, das all diese Hindernisse überwindet und gemeinsam alt wird. Diese Form lesbischer Sichtbarkeit ist ein Gewinn für queere Frauen und überhaupt alle, die an die große Liebe glauben möchten.

Über vier Jahre begleitet »Eine geheime Liebe« die beiden Frauen, die nun vor allem mit ihrem Alter zu kämpfen haben. Terry Donahue leidet an Parkinson, ihr Zustand verschlechtert sich zusehends. Zentrales Thema bleibt auch in dieser Lebensphase der Wunsch nach Selbstbestimmung. Jede Senior*innenresidenz wird auf ihre Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren getestet, denn Terry Donahue und Pat Henschel verstecken sich nicht länger. Wenn sie schon in eine Einrichtung für betreutes Wohnen ziehen, dann gemeinsam. Vielleicht sogar als Ehepaar, einfach weil sie es (jetzt) können.

Lea Gronenberg

Lea Gronenberg ist Politikwissenschaftlerin. Für das feministische Magazin FILMLÖWIN schreibt sie über Frauen vor und hinter der Kamera.