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|ak 696 | Alltag |Reihe: Komm bitte!

Komm bitte, Strap-On

Von Kuku Schrapnell

Ein Pfirsich ist zu sehen
Lässt Ananas Genitalien wirklich besser schmecken? Und warum sehen so viele Obstsorten eigentlich so verboten sexy aus? Diese und andere juicy Themen bespricht Kuku Schrapnell in ihrer ak-Kolumne »Komm bitte«. Foto: Charles Deluvio/unsplash

Letztens wurde ich auf meinen Type angesprochen, also ob es eine bestimmte Art Mensch gibt, die ich vor allem date. Auf diese Frage kommen allgemein häufig Antworten wie: Typen mit braunen Locken und problematischem Sozialverhalten oder Lesben mit fünf Haustieren und vier Werkzeugkoffern. Ich dachte eigentlich, dass ich so einen Typ eben nicht habe, bis mir auffiel, dass ausnahmslos alle Menschen, die ich gerade date, mit ungewöhnlich großen, besonders gut vibrierenden oder einfach genau richtig sitzenden Strap-Ons aufwarten.

Für die unbedarfte, ja vielleicht sogar unschuldige Leser*innenschaft ein kleiner Exkurs. Unter Strap-Ons versteht man Dildos und/oder Vibratoren (die Grenzen sind hier wieder einmal feucht und fließend), die man sich an- oder umschnallen kann. Egal, ob vor und um die eigenen Lenden, den Bauch oder den Oberschenkel. Gehalten wird das Ganze typischerweise von einem Harness. Aber es gibt auch Varianten, die auf einen Penis aufgesetzt oder in eine Vulva eingeführt werden und nicht unbedingt ein haltendes Geschirr brauchen. Zusätzlich können viele auch mit einer strukturierten Rückseite dienen, damit an beiden Enden des Dildos für Ekstase gesorgt ist.

Das klingt vielleicht etwas technisch, aber die kulturellen und politischen Implikationen sind nicht von der Hand zu weisen. Schließlich ist es endlich möglich, sich nach den eigenen Vorlieben Größe, Form, Farbe und Funktionen auszusuchen, und die Menschheit ist nicht länger auf die bloße Natur zurückgeworfen. All zu oft ist nämlich das, was Penetrierten und Umschließenden aller Länder eindringlich zugemutet wird, eben genau das: eine Zumutung. Was könnte es angesichts dieser Ungerechtigkeiten und des Leids Kommunistischeres geben, als die Unterstützung des technisch-kulturellen Fortschritts, die den Menschen aus seiner Kreatürlichkeit befreit?

Paul B. Preciado geht im Kontrasexuellen Manifest sogar so weit, den Dildo (und damit auch den Strap-On) in das Zentrum einer neuen Sexualität zu rücken. Er sieht im Godemiché, wie es in Frankreich heißt, viel mehr eine Absage an die vermeintliche Wahrheit, dass Lust nur im eigenen Körper entsteht. Gerade, weil er in der Lage ist, Vorstellungen vom vermeintlich natürlichen Geschlecht zu unterlaufen, ist der Strap-On so ein wundervolles Objekt.

Aber genug trockene Theorie. Rein ins feucht-warme Biotop der Praxis. Denn vielleicht mag sich die ein oder andere jetzt fragen, wer denn sowas macht? Die Antwort ist einfach: ziemlich viele! Pegging heißt das Zauberwort, mit dem die Freuden des Strap-Ons immer weiter in die Mitte der Gesellschaft eindringen. Pegging heißt eigentlich nichts anderes als Analsex mithilfe eben eines Strap-Ons. Klassischerweise gerade in heterosexuellen Konstellationen – einfach nur Analsex zu sagen, wäre ja auch schwul. Google Statistics zeigt, dass das Interesse an diesem Suchbegriff seit acht Jahren unentwegt steigt, und auf der Website PornHub war Pegging 2022 unter den weltweiten Top Trends. Nicht umsonst sind Strap-Ons auch unter dem Kürzel Bob bekannt, das für den charmanten Imperativ »bend over boyfriend« steht.

Während ich diese Kolumne schreibe, liegt einer meiner neuen Lieblings-Strap-Ons auf dem Esstisch und der, der ihn gestern noch trug, hat daneben einen lieben Zettel gelegt und ist schon längst zur Arbeit gefahren, während ich mich noch im Bett geräkelt hab’. Was mich gestern noch ganz ausfüllte und in neue Höhen des Glücks stieß, kann heute schon als kleines Andenken deponiert werden und mir beim morgendlichen Kaffee die entzückendsten Erinnerungen und Echos bescheren. Welcher angewachsene Schwanz wäre dazu in der Lage?

Man könnte getrost vom technischen Fortschritt der Reproduktivkräfte sprechen und vielleicht auch die Hoffnung darauf setzen, dass ihre Entwicklung die soziale Herrschaft des warenproduzierenden Patriarchats in ihre Widersprüche treibt und schließlich überflüssig macht. Aber ich glaube persönlich nicht an die zwingende Kraft der Geschichte, sondern mach’ es im Zweifelsfall immer lieber selbst. Und sagte nicht schon Marx, dass es gälte, alle Verhältnisse umzustoßen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist? Na dann, frohes Pegging.

Kuku Schrapnell

ist neben ihrem neuen Job als schwule Sex-Kommunistin auch Trans-Aktivistin, gut aussehend und Wahl-Ostdeutsche.