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|ak 693 | Diskussion

Mit allen Mitteln

Über den Prozess gegen den Mörder von Besma A. und linke, juristische Komplizenschaft mit dem patriarchalen Staat

Von AG Prozessbegleitung zum Femizid an Besma A.

Eine Gruppe Menschen protestiert. In der Mitte steht ein Kreis mit einem Kreuz unten in violett. In der Mitte des Kreises ist eine Faust - ein kämpferisches Zeichen gegen Gewalt an Frauen.
Antimonumenta- Ni una mas II

In der Nacht vom 14. auf den 15. April 2020 wurde Besma A. von ihrem Ehemann Cemal A. getötet. Dieser behauptete, Besma beim Reinigen seiner Waffe aus Versehen und betrunken in den Kopf geschossen zu haben. Neben der toten Besma A. fand man ihren kleinen schlafenden Sohn.

Im September 2020, ein halbes Jahr nach der Tötung Besmas, wurde Cemal A. verhaftet. Dem vorausgegangen war ein öffentlicher Brief des Dachverbands des Ezidischen Frauenrates (SMJE), der Frauenbegegnungsstätte Utamara e.V. und weiterer feministischer Initiativen und Frauenorganisationen, in dem die Tötung als Femizid thematisiert wurde. Als überregionale Arbeitsgemeinschaft begleiteten wir den Prozess gegen Cemal A., der Anfang 2021 begann, ab Mai 2021 bis zu seinem Ende im März 2023.

Am 4. März 2023 wurde Cemal A. schließlich zu 13,6 Jahren Haft verurteilt. 12,6 Jahre wegen Mordes, ein Jahr wegen illegalen Waffenbesitzes. Strafmindernd wurden ihm unter anderem sein Alkoholkonsum, ein »Teilgeständnis« und die Streitigkeiten in der Ehe ausgelegt.

Das Wort Femi(ni)zid fiel in den 53 Verhandlungstagen – wie erwartet – kaum. In ihrem abschließenden Plädoyer verwendete die Nebenklagevertretung den Begriff schließlich – wahrscheinlich, weil wir als Prozessbegleitung nicht locker ließen und die Tötung immer wieder als Femizid einordneten, unter anderem in E-Mails an die verschiedenen Verfahrensbeteiligten, in öffentlichen Rundbriefen und in unseren Mahnwachen vor Gericht. Obwohl die Merkmale von Femiziden in dem Fall so offensichtlich waren, wurde die Tat im gesamten Prozessverlauf individualisiert und entpolitisiert.

Kein Einzelfall

Wie bei den meisten durch (Ex-)Partner begangenen Femiziden gingen der Tat Gewalthandlungen voraus. Auch Besma wurde von ihrem Ehemann geschlagen, getreten, bedroht und gedemütigt. Sie wollte sich aus dem Gewaltverhältnis lösen. Kurz nach ihrer Entscheidung, sich zu trennen, erschoss er sie. Für Frauen weltweit kann es lebensgefährlich sein, sich aus einer heterosexuellen Beziehung zu lösen oder einen Trennungswunsch auszusprechen, da durch eine Trennung(sabsicht) der männliche Macht- und Besitzanspruch infrage gestellt wird. Trennungstötungen sind die häufigste Form von Femiziden.

Den juristischen Umgang mit Tätern zu begleiten, ist an sich widersprüchlich.

Femizide stellen dann den Versuch dar, die hierarchische Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten und Frauen auf den ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Platz zu verweisen. Besmas Trennungswunsch, der darauffolgende Mord und auch die Abhängigkeitsverhältnisse in der Beziehung (sowohl finanzielle als auch aufgrund eines fehlenden sozialen Umfelds) wurden im Prozess nicht als Merkmale der strukturellen Gewalt gegen Frauen eingeordnet.

Insbesondere Frauen wie Besma, die nur wenig Deutsch sprechen und deren Aufenthaltsstatus prekär ist, sind auf rechtsstaatlicher Ebene vergleichsweise schlecht vor Gewalt geschützt. Das zeigt sich auch daran, dass bis letztes Jahr mit Artikel 59 jener Teil der Istanbul-Konvention von Deutschland nicht ratifiziert wurde, der den Schutz von geflüchteten und migrierten Frauen unabhängig von ihrer Ehe und den damit oft zusammenhängenden Aufenthaltstiteln forderte. Für diese Frauen hing die Schutzberechtigung für mindestens drei Jahre von ihrem Partner oder den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes ab. Viele Frauen setz(t)en sich lieber Gewalt in Beziehungen aus und bleiben in einer Abhängigkeit vom Täter, als eine Ausweisung oder Abschiebung zu riskieren. (1)

Rassismus und Patriarchat Hand in Hand

Für Besmas Angehörige, die als Nebenklägerinnen im Prozess auftraten, mangelte es zu Anfang des Prozesses an Übersetzung, wodurch ihnen Beteiligungsmöglichkeiten genommen wurden. Der Umgang mit der Familie, von der einige als Zeuginnen geladen waren, war häufig empathielos bis respektlos gegenüber ihrem Schmerz.

Besma wurde an Çarşema Serê Nîsane, dem höchsten ezidischen Feiertag getötet – für ihre Angehörigen ist dieser jetzt »von Blut gefärbt«. (2) Solche Aspekte wurden nicht berücksichtigt.

Stattdessen wurde im späteren Prozessverlauf ein Experte für ezidische Kultur zur patriarchalen Prägung ezidischer Ehen befragt – die Strafverteidigung wollte zeigen, dass Scheidungen grundsätzlich möglich sind und es somit kein Motiv für die Tat gegeben habe. Der Einbezug einer kultursensiblen Betrachtung war also nur instrumentell und sollte den Täter entlasten.

Einen ähnlich instrumentellen Umgang sahen wir, als die Strafverteidiger*innen Zeitungsberichte von Schusswaffenunfällen bei der Polizei und in Kasernen anführten, um die These der versehentlichen Schussabgabe durch ihren Mandanten zu untermauern. Unter anderem enthielt diese Liste die Tötung des kurdischen Jugendlichen Halim Dener durch einen Zivilpolizisten. (3)

Dabei sei angemerkt, dass Gabriele Heinecke, eine der Strafverteidiger*innen, Mitglied im Republikanischen Anwält*innenverein (RAV) ist, im Legal Team bei G20 in Hamburg war und die Familie von Oury Jalloh in der Nebenklage vertreten hat.

Eine Strafverteidigung mit linkem Selbstverständnis ist hier also bereit, das Narrativ von Polizeigewalt als Unfall zu übernehmen und damit staatliche Gewalt gegen rassifizierte Menschen und Frauen sowie Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung hinzunehmen (wie im Fall von Halim Dener), um ihre patriarchale Verteidigungsstrategie zu stützen.

Feministische Prinzipien

In Anknüpfung an den Artikel »Alles was Recht ist?« von Bilke Schnibbe und Carina Book fragen auch wir uns: Um wessen Recht geht es hier? Aus unserer Perspektive zeigt sich an diesem Fall, bei dem Gabriele Heinecke und Florian Melloh aus Hamburg anreisten, um einen Femizid-Täter zu verteidigen, dass Teile der linken Anwaltschaft die strukturelle und institutionelle Dimension von geschlechtsspezifischer Gewalt ausblenden und deshalb zu einer verkürzten Staatskritik gelangen, die ausschließlich darin besteht, den Angeklagten vor dem übermächtigen Staat zu beschützen.

Wenn, wie in dem oben genannten Artikel beschrieben, die gleichen Anwält*innen, die aus politischer Überzeugung und einem linken Selbstverständnis heraus keine Polizist*innen und keine Nazis verteidigen, aber die Verteidigung von Femizid- und Sexualstraftätern übernehmen, liegt einiges im Argen. Eine Verteidigungsstrategie, die darauf basiert, dass gewaltbetroffenen Frauen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, um mutmaßliche Frauenmörder und Vergewaltiger vor staatlicher Repression zu schützen, hat ohne Zweifel nichts Emanzipatorisches an sich.

Zudem ist eine solche Staatskritik unzureichend, denn sie berücksichtigt nicht, dass Staat und Justiz patriarchal geprägt sind. Auch wenn Strafverteidigung bedeutet, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, ist es aus feministischer Perspektive zu kritisieren, wenn eine Verteidigungsstrategie auf gesellschaftlich verbreiteten misogynen Vorstellungen aufbaut.

»Es gibt nichts, was er mir nicht angetan hat«

Macht- und Gewaltdynamiken in Besmas Ehe sind anhand von Bildern und Sprachnachrichten, die sie an ihre Schwester und Mutter verschickte, ausreichend dokumentiert. »Es gibt nichts, was er mir nicht angetan hat«, sagte sie in einem der vielen Memos, die im Gericht abgespielt wurden. Im Prozess wurde diese Gewalt nicht nur verharmlost, sondern geleugnet. So fragte die Verteidigung etwa, ob es sich bei den Gesichtsverletzungen, die auf einem Foto erkennbar waren, nicht auch um Herpes handeln könnte. Und ob es wirklich ihre Stimme sei, die auf den eingeführten Tonaufnahmen zu hören ist.

Wenn es im Prozess um Besma ging, dann in dem Versuch der Verteidigung, ein Bild von ihr zu zeichnen, das ihre Erfahrung patriarchaler Gewalt negiert. Ihr »modernes und gepflegtes Aussehen« wurde in sexistischer Manier gegen eine vorsätzliche Tötung ins Feld gebracht – emanzipierte Frauen können bekanntlich keine Gewalt erfahren. Der Staatsanwalt widersprach nur selten, meist war er passiver Zuhörer.

Wir beobachteten in diesem Prozess teilweise eine Überidentifikation und Mitleid mit dem Täter, so auch in der Urteilsbegründung bei der immer wieder die Rede von einer »zerrütteten Ehe« und der tiefen gegenseitigen Abneigung beider Eheleute die Rede war. Diese Darstellung verschleiert die von Cemal A. ausgehende Gewalt gegenüber Besma.

Partnerschaftsgewalt ist nicht geschlechtsneutral und es ist verharmlosend, von einem beidseitigen Konflikt zu sprechen, wenn ein Mann seine Ehefrau tyrannisiert und tötet. Es kann nicht sein, dass einem gewalttätigen Mann Verständnis dafür entgegengebracht wird, wenn er den Zustand seiner Ehe als ausweglos empfindet – eine Tendenz, die sich auch in Gerichtsurteilen zu anderen Femizid-Fällen wiederfindet.

So lautet die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der höchsten Gerichtsbarkeit im deutschen Strafrecht, dass das »Abwenden« vom ehemaligen Partner gegen eine Verurteilung wegen Mord spreche, da dann »Gefühle der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit« tatbestimmend sein könnten (u.a. BGH 2006: RN 20, siehe Anmerkung 4). Solche Gerichtsurteile lesen sich, als wäre die Tötung eine verständliche oder gar angemessene Reaktion auf den Trennungswunsch der Frau, die in diesem Zusammenhang als Eigentum verstanden wird.

Die aktuelle Rechtsprechung ermutigt Täter implizit durch die fehlende Anerkennung und Verurteilung der Gewalt. So berichteten Frauen nach dem Mord an Besma zum Beispiel in der Betroffenenberatung bei Utamara: »Er sagt, er wird mit mir machen, was mit Besma passiert ist.«

Kein Ort für Gerechtigkeit

Wir begleiteten den Prozess und intervenierten, um die strukturelle Ebene der Gewalt sowie die Komplizenschaft des juristischen Systems aufzuzeigen. Den juristischen Umgang mit Tätern zu begleiten ist dabei an sich widersprüchlich. Trotz unserer Kritik am Justizsystem, das eben diese Gewalt reproduziert, müssen wir mit ihm interagieren. Es ist wichtig, dieses System zu beobachten, zu kritisieren und zu bekämpfen, nicht nur dann, wenn Genoss*innen Repression ausgesetzt sind.

Die im Gerichtsprozess beobachtete Negierung und Verharmlosung struktureller männlicher Gewalt gegen Frauen zeigte sich auch im Urteil des Landgerichts Göttingen. Die Strafmilderung wurde wie folgt begründet:

Erstens sei der Täter strafrechtlich nicht vorbelastet gewesen – dabei hatte das Gericht Kenntnis darüber, dass er seine erste Frau verprügelt hatte, die infolgedessen notärztlich behandelt werden musste. Sie flüchtete ins Frauenhaus und erstattete Anzeige gegen ihn – zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Zweitens sei er alkoholisiert und deshalb vermindert schuldfähig gewesen – dabei waren sowohl die Nebenklage als auch die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass Cemal A. sich erst nach der Tat betrunken hatte. Drittens sei die Tat ein spontan gefasster Entschluss gewesen – als hätte Cemal A. Besma nicht schon zuvor gedroht, sie zu töten und ihre Leiche auf dem Hügel hinter dem Haus zu verscharren. Und viertens wurde die »schwerst zerrüttete Ehe« und die »wechselseitige Abneigung« als Strafmilderungsgrund angeführt. Diese Formulierungen verschleiern, dass die Gewalt eben nicht wechselseitig war, sondern von einem Mann gegen seine Partnerin ausgeübt wurde.

Außerdem wurde betont, dass Cemal A. seinen Kindern die Mutter, einer Mutter ihr Kind und seinen Kindern den Vater genommen habe – dabei hat er in erster Linie einer Frau ihr eigenes Leben genommen. Diese Negation ihrer Freiheit und Autonomie, selbst über ihr Leben zu entscheiden, wurde durch den Prozess somit nur weiter verstärkt.

Wir wissen, dass wir durch die bürgerliche Justiz keinen emanzipatorischen Prozess erwarten können. Dass wir dabei auch auf Leugnung und Verharmlosung »in den eigenen Reihen« stoßen, macht uns wütend und traurig. Die Debatten innerhalb des RAV, des Deutschen Juristinnenbundes und auch unter kritischen Jurist*innen müssen weiter geführt werden – eine fundierte Patriarchats- und Staatsanalyse muss die Basis bilden.

Auch wenn wir, wie der Staat, die Tat anklagen, stehen wir nicht an seiner Seite, wenn wir Gerechtigkeit für Besma fordern. Gerechtigkeit konnte und kann es in diesem Rahmen nicht geben. Eine kritische Prozessbegleitung soll der Entpolitisierung und Vereinzelung solcher Prozesse entgegentreten. Unsere Solidarität gilt den Betroffenen und ihren Angehörigen aus einer feministischen und revolutionären Perspektive. Wir möchten an Besma als eine widerständige Frau und als freundlichen, fürsorglichen Menschen erinnern und ihren und den Widerstand ihrer Familie gegen die Gewalt weitertragen.

AG Prozessbegleitung zum Femizid an Besma A.

ist zu erreichen unter ag-prozessbegleitung@riseup.net.

Anmerkungen:

1) GREVIO-Schattenbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland vom Dachverband der Migrantinnenorganisationen e. V., November 2020.

2) Aus einem Text von Besmas Schwester Suad, Teil ihrer Petition auf betterplace.de (nicht mehr abrufbar).

3) Informationen zum Tod von Halim Dener.

4) BGH (2006b): BGH, Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06 –, juris.