Wirtschaftswaffen
Die linke Diskussion um Militarismus sollte die Notwendigkeit des Kriegs im Kapitalismus nicht vergessen
Von Martin Dachs, Debora Darabi und Eleonora Roldán Mendívil
Auf ihrem Gipfeltreffen am 25. Juni haben sich die Nato-Staaten dazu verpflichtet, ihre Rüstungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen. Während die belgische und die spanische Regierung sich zumindest zaghaft gegen diesen paneuropäischen Rüstungswahnsinn zu wehren versuchen, fällt in Deutschland die allgemeine öffentliche Gleichgültigkeit auf. Rheinmetall baut währenddessen im niedersächsischen Unterlüß friedlich das größte Munitionswerk Europas. Die Dimensionen dieses Rüstungsprogramms sind dabei auch vielen Linken im Land nicht bewusst. Fünf Prozent klingen schließlich nach nicht viel.
Die Festschreibung des Fünfprozentziels ist nicht einfach eine Anhebung der Rüstungsausgaben. Sie bedeutet, dauerhaft ein Zwanzigstel des gesamten gesellschaftlichen Wohlstands für das Militär zu reservieren. Aktuell entspräche das der gigantischen Summe von ca. 215 Milliarden Euro jährlich. Zum Vergleich: Der aktuelle Bundeshaushalt für das Jahr 2025 umfasst insgesamt 503 Milliarden Euro. Die Erfüllung des Fünfprozentziels würde bedeuten, dass der deutsche Staat fast die Hälfte seiner Ausgaben in Rüstung investiert. Das ist mehr als der Anteil staatlicher Sozialausgaben in Höhe von 180 Milliarden Euro.
Das massive Aufrüstungsprogramm bietet der herrschenden Klasse den lang gesuchten Ausweg aus der Sackgasse der Austeritätspolitik.
Dieses massive Aufrüstungsprogramm bietet der herrschenden Klasse den lang gesuchten Ausweg aus der Sackgasse der Austeritätspolitik, in die sie sich selbst manövriert hat. Selbst neoliberale Hardliner*innen erkennen nationale Sicherheit als Notwendigkeit für kapitalistisches Wirtschaften an. Deshalb wird sie als letztes verbliebenes Argument in Stellung gebracht, um einerseits einen massiven staatlichen Eingriff in die Wirtschaft zu legitimieren und andererseits weitere Einsparungen im sozialen Bereich zu erzwingen.
Ausweglose Diplomatie
Vor diesem Hintergrund ist die von der Linkspartei vertretene Linie, auf eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts zu drängen, zwar nicht falsch, zeugt jedoch von einem begrenzten historischen Verständnis der Situation. Denn auch wenn es zu einem Verhandlungsfrieden kommen sollte, bliebe es dabei, dass die globalen Rüstungsausgaben im Zuge des Ukrainekrieges zum weltweiten Konjunkturmotor geworden sind. Im Gegenteil sollten wir, Linke (ob mit oder ohne Partei), uns trauen, öffentlich die Frage zu stellen, warum Friedensdiplomatie und internationale Institutionen immer wieder scheitern?
Die Linkspartei und ihr Vorsitzender Jan van Aken haben insofern recht, dass die tatsächliche Gefahr eines direkten russischen Angriffs auf EU-Staaten gering ist. Die vorherrschende Erzählung, dass es sich bei der Konfrontation mit Russland um einen Systemkonflikt zwischen freiem Westen und autokratischem Osten handelt, wird dabei aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die militärische Unterstützung der EU für die Ukraine erscheint so weiter als Engagement für Demokratie und das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Große Teile der gesellschaftlichen Linken folgen dieser Argumentation. Sie verharren damit in nationalen Denkweisen und vernachlässigen, was eigentlich der Kern jeder linken Kritik sollte: die Analyse der Kapitalinteressen, die innen- wie außenpolitisch hinter dem neuen Militarismus stecken. Der Kampf gegen den neuen deutschen Rüstungswahn kann nicht geführt werden, ohne die Frage zu stellen, welche Interessen Bundesrepublik und Europäische Union in der Ukraine verfolgen. Dieser Zusammenhang zeigte sich Ende Juni besonders deutlich, als Außenminister Johann Wadephul (CDU) offen die Verlagerung deutscher Rüstungsfabriken in die Ukraine forderte und dabei die niedrigen Produktionskosten vor Ort lobte (der ukrainische Mindeststundenlohn beträgt ca. 1,25 Euro).
Währenddessen zeigt die neu aufgeflammte Wehrpflichtdebatte den enormen Rückschritt linker Kräfte: der nun auch linksliberal angehauchte deutsche Nationalismus möchte nicht nur die Söhne der Arbeiter*innenklasse in diesem Land wieder für deutsche Kriege fit machen, sondern auch in (queer)feministischer Manier um eine Wehrpflicht für Frauen (und Queers) kämpfen.
Wie kann es also sein, dass liberale Demokratien stets Frieden und Kooperation proklamieren, das Ergebnis aber stets neue Kriege sind? Der Kapitalismus bringt die Bedingungen für Krieg dauerhaft hervor. In diesem gerät die bürgerliche Gesellschaft in einen Widerspruch mit sich selbst. Dieser Selbstwiderspruch zeigt sich durch die reale Möglichkeit von Freiheit, die durch Arbeit sowohl geschaffen als auch untergraben wird – der*die doppelt freie Lohnarbeiter*in ist genötigt, seine Arbeitskraft zu verkaufen, um überleben zu können, aber frei dabei zu entscheiden an wen. Im Zuge seiner historischen Arbeit revolutioniert er die Produktionsmittel aber so sehr, dass er die menschliche Arbeitskraft, durch den technischen Fortschritt überflüssig macht. Die Arbeiter*innenklasse untergräbt also im Kapitalismus dauerhaft die Notwendigkeit ihrer eigenen menschlichen Arbeit.
Gleichzeitig schafft sie die Möglichkeiten ihrer Befreiung vom Joch der Arbeit. Aus diesem Widerspruch entstehen dauerhaft antagonistische Klassenverhältnisse, welche sich fortwährend als Armut, Arbeitslosigkeit und Krieg äußern. Denn für den Reichtum der Wenigen braucht es im Kapitalismus die Armut der Vielen, braucht es die lohndrückende Masse einer Reservearmee an Arbeitslosen und braucht es Kriege, um die Interessen unterschiedlicher Fraktionen des globalen Kapitals durchzudrücken. All dies kann nur über eine dauerhafte staatliche Verwaltung, wenn notwendig auch mit Gewalt, haltbar gemacht werden. Gleichzeitig wirft die bürgerliche Gesellschaft im Zuge ihrer eigenen politischen Revolution Freiheit und Gleichheit als Potenziale für eine befreite Menschheit auf. Genau diesen Widerspruch zwischen dem Potenzial von Freiheit und Frieden und einer durch das Kapital getriebenen Notwendigkeit der Realpolitik des Krieges gilt es aufzugreifen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht darum, Politiker*innen der Lüge zu überführen und ihnen zu unterstellen, den Frieden zu predigen und heimlich den Krieg zu wollen. Es kann angenommen werden, dass Linksliberale es mit internationalen Institutionen und Menschenrechten ernst meinen. Die Bauchschmerzen einiger Grüner bei der Zustimmung zum Rüstungs-Sondervermögen mögen echt sein. Als anständige Bürger*innen einer Republik möchten sie wirklich Frieden, zumindest für sich selber – dass dieser nur durch Krieg, Aufrüstung und massenhaftes Sterben in der Peripherie zu erreichen ist, stellt sich als traurige Notwendigkeit, die sie akzeptieren müssen, statt als Produkt eines Klassenverhältnisses, das es zu hinterfragen und aufzuheben gilt, dar.
Das falsche Wir
Dabei handelt es sich um keinen Ausnahmezustand und keinen Fehler im System. Der Kapitalismus bringt den Selbstwiderspruch von Frieden und Freiheit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stets aufs Neue hervor.
Die globale kapitalistische Ordnung ist also krisenhaft, weil sie fortlaufend Widersprüche – sowohl zwischen Klassen als auch zwischen verschiedenen Polen des globalen Kapitals – produziert. Die Idee vom freien Westen ist dabei sowohl wahr als auch nicht wahr: Ohne eine sozialistische Partei, die das Potenzial für die befreite Menschheit im Kapitalismus durch konsequente Reformen und schlussendlich sozialer Revolution einlösen kann, funktioniert die Idee des Friedens im Kapitalismus als Kleber, der die auseinanderstrebenden Klasseninteressen zusammenhält. Plötzlich ist auch bei Linken nicht mehr die Rede von sozialer Revolution und dem Kampf für die von Selbstentfremdung befreite Gesellschaft – stattdessen sind wir jetzt aufgerufen, zusammenzuhalten gegen die russischen Aggressoren, für den Frieden, der keiner ist. Das »Wir«, was nicht existiert, und der faule Frieden, scheinen den Platz vom notwendigen Kampf von Klasse gegen Klasse eingenommen zu haben.
Auch wenn die bürgerliche Ideologie von Frieden und Freiheit für viele freundlicher erscheinen mag, als der neu erstarkende Nationalismus, sind beide aktuell Mittel der Selbsterhaltung des Systems. Aufgabe kritischer Linker muss es deshalb sein, den Widerspruch zwischen »den Frieden wollen« und »den Krieg vorbereiten müssen« zu verstehen und öffentlich zu vermitteln, um politisches Bewusstsein für eine klassenkämpferische, sozialistische Politik brauchbar zu machen.