Klimapolitisches Gruselkabinett
Ein Negativrekord jagt den anderen, aber die Erderwärmung wird die nächste Bundesregierung wohl nicht interessieren
Von Wolfgang Pomrehn

Gespenstiges spielt sich in diesen Wochen im gesellschaftlichen Diskurs ab. Während immer deutlicher wird, welch bedrohliche Ausmaße der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten annehmen wird, wenn kein drastisches Gegensteuern mehr gelingt, greifen Ignoranz und Verdrängung immer weiter um sich. Nicht nur Faschist*innen und der Rechtskonservatismus pflegen und hegen sie, sondern auch bei Liberalen und Union herrscht allenthalben Geringschätzung der Klimakrise. Und auch im TV-Duell zwischen Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) spielte sie praktisch keine Rolle. Sicherlich ist darin zugleich ein Symptom als auch ein Beschleuniger der schweren Multikrise zu sehen, in die die westlichen Gesellschaften gerade abrutschen.
Wo stehen wir? Der Planet hat gerade sein wärmstes Jahr seit dem Beginn der letzten Eiszeit oder noch länger hinter sich, also seit mindestens 116.000 Jahren. 2024 war das erste Kalenderjahr, in dem die über den ganzen Planeten und das ganze Jahr gemittelte Temperatur um mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lag. Der zurückliegende Januar ergab mit 1,75 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau einen erneuten Temperaturrekord. Im langjährigen Durchschnitt ist es jetzt rund 1,3 Grad Celsius wärmer als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damit sind es nur noch wenige Jahre, bis eines der in der Pariser Klimaübereinkunft vereinbarten Ziele verfehlt sein wird.
Rund um den Globus sind die Auswirkungen der steigenden Temperaturen zu spüren. Zum Beispiel in den USA, wo im Januar Teile der Westküstenmetropole Los Angeles abbrannten. 29 Menschen kamen dabei ums Leben. Der angerichtete Schaden betrug 385 Milliarden US-Dollar. Oder auf den Philippinen, über die im Herbst binnen weniger als vier Wochen sechs tropische Wirbelstürme in Folge hinwegzogen. Oder in den Regionen nördlich des Polarkreises, wo Permafrostböden auftauen und damit von einer Kohlenstoffsenke zu einer Quelle zusätzlicher Treibhausgase werden. Oder in der französischen Quasi-Kolonie Mayotte im Indischen Ozean, deren Slums im November von einem tropischen Wirbelsturm verheert wurden. Eine Woche oder länger mussten Bewohner*innen warten, bis die Grande Nation es schaffte, sie mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Dazu konnten sie sich dann noch rassistische Sprüche »ihres« Präsidenten Emmanuel Macron anhören, der meinte, sie könnten froh sein, in Frankreich zu leben.
Tödliche Naturgewalten und bourgeoise Verachtung
Doch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Immer mehr CO2 reichert sich in der Atmosphäre an, und das auch noch immer schneller. »Der CO2-Gehalt ist jetzt nicht nur so hoch wie seit Millionen von Jahren nicht mehr, er steigt auch schneller als je zuvor. Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, die Verschmutzung in Form von Kohlendioxid in die Atmosphäre freisetzt, wird jedes Jahr ein höherer Höchstwert erreicht«, so Ralph Keeling, Direktor des US-amerikanischen Scripps-CO2-Programms.
Schon jetzt sind es meist die Ärmeren und Ärmsten, die unter den zunehmenden Klimakatastrophen zu leiden haben. In Los Angeles werden sich viele von ihnen kaum den Wiederaufbau ihrer Häuser leisten können, andere werden wegen explodierender Prämien keine Versicherung mehr abschließen können. Nachdem im August 2023 die alte hawaiianische Hauptstadt Lahaina weitgehend niederbrannte, leben dort heute doppelt so viele Menschen in Armut wie vor der Katastrophe. Die Arbeitslosenrate ist in dem mehrheitlich von Hawaiianer*innen bewohnten Ort von zwei auf 14 Prozent gestiegen, berichtet die britische Zeitung Guardian. Über 100 Menschen waren bei den Bränden ums Leben gekommen, weil die Behörden nicht rechtzeitig gewarnt hatten.
Vom Ausstieg aus dem Erdgas ist bei der SPD keine Rede, und die Braunkohle wird mit keinem Wort erwähnt.
So war es auch vielen Menschen während des verheerenden Julihochwassers 2021 in Belgien und Westdeutschland ergangen. In Sinzig im Ahrtal ertranken seinerzeit in einem Wohnheim für Menschen mit Einschränkungen zwölf Personen, weil der einzige anwesende Betreuer nicht rechtzeitig benachrichtigt worden war und die Türen des Hauses nicht zu öffnen waren. Im Landkreis und Bundesland hatte man nicht nur die Warnungen der Wetterdienste ignoriert, sondern auch an Katastrophenschutzübungen, einer adäquaten Vorbereitung sowie an der Betreuung in entsprechenden Einrichtungen gespart. 2015 war bei einer Katastrophenschutzbegehung der Einrichtung ein zweiter Betreuer für die Nacht gefordert, aber von den Behörden als zu teuer abgelehnt worden.
Das sind zwei von unzähligen Beispielen, die zeigen, wie sich die Klimakrise für die Schwächsten in der Gesellschaft oft als doppelt gefährlich erweist: Wegen der tödlichen Naturgewalten, die sie entfesselt, und wegen der systematischen Vernachlässigung von Vorsorge und Anpassung, an denen aufgrund marktradikaler Einstellungen der Regierenden und bourgeoiser Verachtung für die unteren Klassen gespart wird.
Doch von all dem ist im ausgehenden Wahlkampf kaum die Rede gewesen, und das zur Auswahl stehende Personal lässt zudem wenig Gutes in Sachen Klimaschutz erwarten. Nicht einmal bei den Grünen, einer Partei, die mit ihren Frontleuten ein Kabinett des Grauens präsentiert. Da ist zum einen die Noch-Außenministerin Annalena Baerbock. Sie ist nicht nur damit aufgefallen, dass sie die EU im Krieg mit Russland wähnt, sondern auch mit einer im Dezember in Ankara veröffentlichten Aufforderung an die Selbstverteidigungskräfte Rojavas, die Waffen niederzulegen. Zu einer Zeit wohlgemerkt, als diese sich gegen massive Angriffe türkisch finanzierter islamistischer Milizen zur Wehr setzen müssen, die auch ehemalige IS-Kämpfer in ihren Reihen haben.
Milliarden Euro in fossiler Infrastruktur gebunden
Zum anderen ist da der grüne »Kanzlerkandidat« Robert Habeck, der sich vor allem dadurch ausgezeichnet hat, in Windeseile und Umweltrecht beiseiteschiebend Flüssiggasterminals (LNG) durchzudrücken, mit denen nun Frackinggas aus den USA eingeführt werden kann. Bei der Förderung dieses Gases wird viel Methan freigesetzt, das ein weiteres, besonders potentes Treibhausgas ist. Unterm Strich ist damit das Frackinggas mindestens so klimaschädlich wie Benzin oder Diesel. Die Alternative zum russischen Erdgas hätte also nicht LNG, sondern der beschleunigte Ausstieg aus der Gasnutzung sein müssen. Doch nun sind Milliarden an Subventionen in der fossilen Infrastruktur gebunden, deren Nutzung die Eigentümer*innen in den nächsten 15 bis 20 Jahren mit Zähnen und Klauen durchsetzen werden.
Immerhin findet sich im Wahlprogramm der Grünen viel Richtiges zur Energiewende und auch ein Bekenntnis zum Pariser Klimaschutzvertrag – in Zeiten, in denen die USA wieder austreten und vermutlich weitere Staaten folgen werden, nicht unwichtig. Allerdings fragt sich, ob das für die Außenpolitik der nächsten Bundesregierung, an der die Grünen wieder beteiligt sein könnten, irgendeine Rolle spielen wird.
Derweil ist, was die anderen bürgerlichen Parteien beim Klimaschutz in petto haben, noch deutlich gruseliger. Union und FDP möchten gerne das von den EU-Mitgliedsstaaten beschlossene Aus für die Zulassung neuer Pkw mit Diesel- oder Ottomotoren ab 2035 wieder kippen; mit dem Kohleausstieg haben sie es auch nicht allzu eilig. Ein Blick ins Wahlprogramm der Union zeigt, dass Wärmepumpen nicht mehr gefördert werden und für die Atomenergieforschung mehr Geld fließen soll. Einige der alten Reaktoren würden CDU/CSU gerne wieder in Betrieb nehmen und sie daraufhin überprüfen lassen.
Außerdem sollen unter dem immer wieder bemühten Schlagwort »Technologieoffenheit« synthetische Pflanzenkraftstoffe gefördert werden, deren Herstellung jedoch sehr energieintensiv ist. Die Einnahmen aus dem CO2-Handel will die Union mit der Gießkanne zur Absenkung der Stromsteuer und der Netzentgelte einsetzen. Die Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag einst versprochen, dieses Geld, das aus dem Heiz- und Kraftstoffhandel stammt, als Klimageld zu verteilen, was ärmere und sparsam mit Energie umgehende Haushalte begünstigt hätte. Umgesetzt wurde es jedoch nie. Für die Union ist derlei ohnehin nur Sozialismus. Sie will nun den Energieverbrauch gleichmäßig subventionieren und damit den Emissionshandel vollends ad absurdum führen.
Noch schlimmer sieht es bei der AfD aus, die das Problem der Erderwärmung schlichtweg leugnet und am liebsten, wie es ihre Ko-Chefin Alice Weidel im Januar formulierte, Windräder wieder abreißen will. Klimaschutz wird rundweg abgelehnt und der wissenschaftliche Konsens negiert: »Die AfD lehnt daher jede Politik und jede Steuer ab, die sich auf angeblichen Klimaschutz beruft, denn das Klima kann der Mensch nicht schützen. Wir wollen zudem aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen.« Und: »Die AfD setzt sich für eine Verbesserung der Beziehungen Deutschlands zu den Vereinigten Staaten ein, deren neue Administration das Ende der Klimaideologie und der Wokeness einläutet.«
Die Sozis wollen Markt und ein paar Regeln
Die SPD spricht in ihrem Wahlprogramm immerhin viel von klimafreundlicher Technologie, Klimaneutralität, gemeinschaftlichen Lösungen und dem Ausbau der Wärmenetze und will sich an den Pariser Vertrag halten. Auch gibt es schöne Worte, dass Klimaschutz für alle leistbar sein und die Bahn besser werden müsse. Gleichzeitig wird aber weder das Klimageld noch das gefährdete und viel zu teure 58-Euro-Ticket angesprochen. Auch von einer Wiederverstaatlichung der Bahn ist keine Rede. Wie gehabt soll der Markt es richten, die Sozialdemokrat*innen möchten nur ein paar mehr Regeln und Vorgaben. Von Ausstieg aus dem Erdgas ist bei der SPD keine Rede, und die Braunkohle wird mit keinem einzigen Wort erwähnt.
Im Kontrast dazu schlägt die Linke einen gänzlich anderen Ton an: »Wir wollen eine ganz andere Klimapolitik, bei der die Konzerne und alle anderen, die mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Profite machen, besonders in die Pflicht genommen werden – und nicht die große Mehrheit, der am Ende des Monats immer weniger von ihrem Lohn bleibt.« Entsprechend werden sozial gestaffelte Energiepreise, finanziert durch eine von den Reichen zu zahlende Abgabe, sowie ein Klimageld von 320 Euro pro Person und Monat für alle gefordert; finanziert werden soll das aus dem Emissionshandel. Die kriselnde Automobilindustrie soll – sozialverträglich – umgebaut werden, damit Arbeitsplätze erhalten und Busse und Schienenfahrzeuge hergestellt werden. Alles in allem ein passables Programm, das gute Ansätze für klassenkämpferische Positionen bietet. Allerdings käme es auch darauf an, diese in die gesellschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen einzubringen, statt sie in den parlamentarischen Domestizierungsprozessen Staub ansetzen zu lassen.