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|ak 688 | Wirtschaft & Soziales

Der Zwang bleibt

Die Ampelkoalition will Hartz IV abschaffen, aber mit dem Bürgergeld wird es nicht besser

Von BASTA!

Peer Steinbrück und Gerhard Schröder umarmen sich auf einer Bühne, umgeben von Publikum. Schröder lacht.
Gute Laune bei zwei der Architekten der Hartz-IV-Gesetze: Damaliger SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit Alt-Kanzler Schröder im Wahlkampf 2013 in Detmold. Foto: Thorsten Krienke/Flickr, CC BY-ND 2.0

Das SGB II wurde seit seiner Einführung 2005 über 130 Mal verändert, besser bekannt ist es als Hartz IV.  Mit dem Bürgergeld könnte die SPD den Makel Hartz IV aus ihrer politischen Biografie streichen. Denn der ist gleichgesetzt mit Demütigung, Armut, Pflichtarbeit, behördlichem Zwang und Bevormundung von Sozialhilfeempfänger*innen und Langzeitarbeitslosen.

Die CDU nutzte den Bundesrat als große Bühne für die Blockade des Regierungsentwurfs. Friedrich Merz galt bis dahin als schwacher Oppositionsführer. Seine CDU bemühte während ihrer Blockade den  Hass auf die vermeintlich »faulen Arbeitslosen«, die sich zum Teil mit Absicht in die Lage versetzen würden, Bürgergeld zu beziehen. Der konservative Rassismus durfte in den CDU-Argumenten auch nicht fehlen, so warnte die Partei vor der angeblichen Erschleichung von Leistungen durch nicht EU-Bürger*innen. Der Ruf nach Sanktionen, die Hartz IV so repressiv gemacht haben, war also nicht weit. Und ein Argument bemühten die Christdemokrat*innen immer wieder, dass wer arbeitet, kaum mehr verdienen würde, als wenn er Bürgergeld beziehe, was mehr gegen die geringen Löhne hierzulande spricht als gegen Sozialleistungen. Die Nähe zu AfD und NPD war unübersehbar, erklärt die Rechte doch oft genug den Armen den Krieg und nicht der Armut.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Die Agenda 2010, in deren Zuge Hartz IV beschlossen wurde, galt als der Weg zum »schlanken Staat«, was vor allem heißt, weniger Geld für prekär Lebende auszugeben. Aber vor allem war das Reformpaket der Ausbau des europaweit größten Niedriglohnsektors mit Minijobs, Leiharbeit, verkürzter Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und einer Aufweichung des Kündigungsschutzes, bei gleichzeitig erhöhtem Renteneintrittsalter mit niedrigeren Renten. Die FDP, mit ihrem notorischen Wirtschaftsliberalismus, steht schon für den nächsten Privatisierungsschub der Rente bereit.

Das neue Gesetz zum Bürgergeld regelt die anstehende Regelsatzerhöhung um 53 Euro gegenüber Hartz IV und ebenso die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung der Sanktionen. Demnach darf der Regelsatz nur noch um 30 Prozent gemindert werden. Aber die Regelsatzerhöhung wird dabei allein schon durch die Stromkosten, die nicht als Teil der Mietkosten gelten, aufgefressen.

Egal, was die Politik in ihren Reden verkündet, Jobcenter haben zentrale Ziele: Die Ausgaben von Behörden zu senken, den Druck auf Arbeitslose aufrechtzuerhalten und möglichst eine Antragstellung zu erschweren.

Vieles am Bürgergeld ist vor allem eine andere Verwaltungssprache: Ab dem 1. Juli 2023 heißt es statt Eingliederungsvereinbarung nun Kooperationsvertrag. Wie bisher können Leistungskürzungen folgen, wenn Bezieher*innen nicht an Maßnahmen und Coachings teilnehmen oder Jobangebote ablehnen. Die Praxis der Hausbesuche durch Maßnahmenträger, um eine positive Grundhaltung zum Arbeitsmarkt zu erwirken, wird ins Gesetz aufgenommen.

Jeder Mensch, der schon mal ALG II beantragt hat, kennt die Schreiben vom Jobcenter mit der »Aufforderung zur Mitwirkung«. Sie sind immer mit der Drohung verbunden, andernfalls das Geld nicht auszuzahlen. Und das geht dann schneller als bei den berüchtigten Sanktionen. Für viele bedeutet diese Drohung einen permanenten Ausnahmezustand, weil eine verlässliche Auszahlung am Monatsanfang nicht gegeben ist. Wegen fehlender Mitwirkung, wie z.B. nach einer Kündigung einen Nachweis, »über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit« verweigerte ein Jobcenter in Sachsen die Zahlung von Leistungen. Und dies ist kein Einzelfall. Im Jobcenter geht es nun mal nicht um Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung. Erwerbslose sollen in den Niedriglohnsektor gedrängt, aber auch möglichst viel auf der Arbeit schlucken, um nicht gekündigt zu werden.

Bis die Kindergrundsicherung kommt, werden für alle unter 25 Jahren im Haushalt der Eltern und Volljährigen in Einrichtungen bis 2025 monatlich 20€ mehr ausbezahlt. Ob für diese Zielgruppe die Vermittlungsversuche in die Bundeswehr weiter stattfinden sollen, ist noch nicht klar. Hatten Armee und Bundesagentur doch eine enge Kooperation für die Vermittlung von jungen Menschen im ALG II vereinbart. Schüler*innen, Azubis und Studierende möchte man mit einem höheren Freibetrag belohnen, sollten sie neben ihren alltäglichen Belastungen auch noch arbeiten gehen. Junge Erwachsene dürfen jedoch auch weiterhin nicht ohne »triftigen« Grund aus der Wohnung der Eltern ausziehen.

Die Vermögensfreigrenze beim Bürgergeld liegt nun bei 15.000 Euro. Einem »verschwenderischen Umgang beim Heizen der Wohnung« soll vorgebeugt werden durch die Deckelung der Ausgaben für den maximal anzuerkennenden Energiebedarf. Und wegen der festgelegten Begrenzung der Miethöhe müssen 400.000 SGB-II-Haushalte durchschnittlich 91 Euro der Unterkunftskosten im Monat selbst aufbringen, diese Reduzierung des Grundbedarfs durch die Hinterhand bleibt.

Alleinerziehende Mütter

Frauen machen mehr als 50 Prozent der Hartz-IV-Berechtigten aus. Die Hälfte davon lebt mit Kindern. Ein Beispiel aus der aktuellen Beratung: Zwei Kinder einer alleinerziehenden Mutter sind 18 Jahre alt geworden. Sofort fällt für die Mutter der Mehrbedarf als Alleinerziehende weg. Das macht 85,80 Euro weniger im Monat zum Einkaufen. Der Deutsche Juristinnenbund e.V. weist in einer Stellungnahme zum Bürgergeld darauf hin, dass die Bedarfsgemeinschaft eine Rechtskonstruktion mit erheblichen Nachteilen ist. Diese sei »nicht mit Art. 3 Abs. 2 GG zu vereinbaren und (würde) die eigenständige Existenzsicherung von Frauen beeinträchtigen.« Kindergeld und Elterngeld werden auch vom Bürgergeld weiterhin komplett abgezogen. Alleinerziehende Frauen sowie Familien mit Kindern werden weiterhin ohne einen verlässlichen und qualitativ hochwertigen Kitaplatz ins Rennen um Jobs geschickt. Und weiterhin bekommen Mütter Ärger vom Amt, wenn sie den Namen des Erzeugers ihres Kindes nicht nennen. Ein potenzieller Unterhalt wird vom Jobcenter dabei vom Bürgergeld abgezogen.

Der repressive Umgang mit nicht-deutschen EU-Bürger*innen wird auch mit dem Bürgergeld bleiben. Verarmte nicht deutsche EU-Bürger*innen haben auch nach der Umbenennung in Bürgergeld oft keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen. Grenzen werden geöffnet, um benötigte ausländische Arbeitskräfte hereinzulassen, ansonsten sind sie unerwünscht. Weiterhin will die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft durch sogenannte Saisonhilfskräfte decken, da der Bedarf nicht durch eine EU-weite Rekrutierung gedeckt werden könne, wie die Agentur in einer Weisung 2021 schreibt. Der Niedriglohnsektor bleibt weiter ein Ort der Überausbeutung von Wanderarbeiter*innen.

Arm trotz Arbeit

Egal, was die Politik in ihren Reden verkündet, Jobcenter haben zentrale Ziele: Die Ausgaben von Behörden zu senken, den Druck auf Arbeitslose aufrechtzuerhalten und möglichst eine Antragstellung zu erschweren. Bund und Kommunen teilen sich die Ausgaben für Miete und Heizkosten. Klamme Kommunen werden an Wohnkosten sparen, zumal hier eine deutliche Mehrbelastung durch Energiekrise und Inflation auf sie zukommen wird. Für eine wachsende Zahl von Arbeiter*innen sind Phasen des Niedriglohnbezugs und der Erwerbslosigkeit ein fester Bestandteil des Erwerbslebens. Der Transferbezug hält die Lohnstückkosten niedrig und stützt das kapitalistische System. Das Lohnabstandsgebot, was vor allem die CDU propagierte, lässt grüßen.

Es bedeutet nur, dass Sozialleistungen so gering sind, dass Menschen möglichst jedes Jobangebot annehmen. Zu den gängigen Praktiken gehören weiterhin Kontrolluntersuchungen durch Ärzt*innen der Bundesagentur für Arbeit, die als Mitwirkungspflicht unter Androhung der kompletten Leistungseinstellung unangetastet bleiben wird. Ziel dieser Praxis ist es, strategische Krankschreibungen und Entscheidungen Bürgergeld-Berechtigter, um Termine und Maßnahmen zu umgehen, durch diese Ärzt*innen verhindert werden sollen. Die umfassende Kontrolle soll mit dem Bürgergeld erhalten bleiben. Jobcenter bleiben Orte, in denen minimale demokratische Gepflogenheiten und Regeln nicht gelten.

BASTA!

wird gemacht von Erwerbslosen und Beschäftigten mit geringem Einkommen. An drei Orten in Berlin bietet die Initiative eine solidarische und mehrsprachige Beratung zu ALG II an. Armut, Konkurrenz und Erpressbarkeit sind Phänomene, die den Kapitalismus stabilisieren, die also nicht zwingend so bleiben müssen. bastaberlin.de