Funktioniert das? Abschiebungen verhindern
Von Lotte Laloire

Seit Monaten wird lamentiert, und die neue Bundesregierung will die Rechte von Migrant*innen noch weiter abbauen: Asylsuchende an der Grenze zurückweisen, das Aufnahmeprogramm für Afghan*innen stoppen, den Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter aussetzen. Der Koalitionsvertrag enthält nur wenige gute Ideen: Das Arbeitsverbot für Geflüchtete auf drei Monate verkürzen und Wohnsitzauflagen für Gewaltbetroffene lockern. Doch Papier ist geduldig. Was Union und SPD wirklich umsetzen werden, steht in den Sternen.
Sicher ist aber: Es wird weiter abgeschoben werden – wahrscheinlich noch mehr als bisher. Und in den Herkunftsländern herrschen weiterhin Krieg, Armut, Klimakrise, Autoritarismus, Queerfeindlichkeit und so weiter. Was also können Antirassist*innen tun, damit Menschen nicht dorthin zurückgezwungen werden? Was funktioniert, um Abschiebungen zu verhindern?
Knastsprengung
Im Jahr 1995, zu einer Zeit, als das Asylrecht schon mal massiv verschärft wurde, haben unter dem Namen K.O.M.I.T.E.E. drei Linksradikale versucht, einen im Bau befindlichen Abschiebeknast in Berlin-Grünau in die Luft zu jagen. Aus der Sprengung wurde nichts, sie mussten türmen und um der Repression zu entgehen, fristeten sie fast ihr gesamtes Leben außerhalb Deutschlands. Einer von ihnen, Bernd Heidbreder, ist 2021 in Venezuela gestorben (ak672). Im April dieses Jahres sind die anderen beiden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Geflüchteten hat ihre Aktion nichts gebracht. Von ihrer Bereitschaft, das eigene bequeme Leben aus Solidarität für andere zu riskieren, könnte sich heute allerdings so manch einer eine Scheibe abschneiden.
Petition
Am anderen Ende des Militanz-Spektrums angesiedelt sind Petitionen. Viele Linksradikale mögen darüber die Nase rümpfen, doch sie können durchaus etwas bringen. Zum Beispiel letzten November in Wilstedt bei Bremen: Dort waren zehn kolumbianische Beschäftigte eines Pflegeheims aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Doch 80.000 Unterschriften, kombiniert mit dem an sich ekligen Verwertungsargument, der deutsche Arbeitsmarkt benötige Fachkräfte, haben dazu geführt, dass die zehn vorerst bleiben können. Sie haben eine »Ausbildungsduldung« erhalten.
Blockade
Eine direktere Aktion hat die Nachbar*innenschaft von zwei geflüchteten Männern im Jahr 2021 im schottischen Glasgow gewählt: Als die beiden abgeholt werden sollten, stellten sich 200 Menschen dem Fahrzeug der Migrationsbehörde in den Weg. Es konnte stundenlang nicht abfahren. Ein Mann legte sich sogar unter den Wagen. Die Körper der Solidarischen bildeten eine Art physische Brandmauer gegen den staatlichen Rassismus. Sie riefen: »Lasst unsere Nachbarn in Ruhe, lasst sie gehen.« Am Ende sorgte die schottische Polizei dafür, dass die Migrationsbehörde, die dem britischen Innenministerium unterstellt ist, den Versuch der Abschiebung abbrach.
Plakate mit Anti-Abschiebe-Tipps
Aus den USA lässt sich eine weitere, sehr simple Praxis lernen, die in Deutschland bisher nur an sehr wenigen linken Orten praktiziert wird: Plakate mit Tipps gegen Abschiebungen aufhängen. An US-amerikanischen Universitäten wie der City University of New York verbreiten diese sich zunehmend. Darauf steht: »Was tun, wenn die Polizei vor meiner Tür steht?« oder »Wohin kann ich mich wenden?« Dann folgen kurze verständliche Tipps auf Englisch. In Deutschland müssten derartige Plakate natürlich in einige andere Sprachen übersetzt werden. So könnten nicht nur Betroffene, sondern auch andere Menschen aufgeklärt werden, was ihren Mitmenschen droht und wie sie diese unterstützen könnten.
Statt zum hundertsten Mal die Flugscham-Debatte zu führen, könnte man sich vor der Abreise auch zehn Minuten Gedanken über zivilen Ungehorsam machen.
Standhaftigkeit
Auch Abschiebeflüge lassen sich verhindern. Planvoll tat das etwa 2018 die damals 21-jährige Schwedin Elin Ersson. Sie sorgte dafür, dass eine Afghanin nicht von Göteborg via Türkei nach Afghanistan gebracht werden konnte. Ersson wurde berühmt, weil sie ihre Aktion filmte und ins Netz stellte. Spontan gelang das gleiche 2013 einem Kanadier, der eigentlich von Berlin-Tegel nach Budapest wollte. Doch statt wie geplant seine Freundin zu besuchen, entschied er sich, eine Person vor der Abschiebung zu bewahren, von der er durch ein Flugblatt im Terminal erfahren hatte. »Es gibt Dinge, die sind ein bisschen wichtiger als der eigene Spaß«, sagte er danach.
Bald geht die Feriensaison los. Statt zum hundertsten Mal die Flugscham-Debatte zu führen, nur um sich dann doch ein Ticket zu kaufen, könnte man sich vor der Abreise auch zehn Minuten Gedanken über zivilen Ungehorsam machen. Ob man sich vorstellen kann, einen Abschiebeflug zu verhindern, muss jede*r für sich wissen. Dies ist kein Aufruf. Sicher ist aber: Es geht schneller als eine Petition und birgt weniger Risiken als eine Sprengung. Eine Anleitung, wie man dabei vorgehen sollte, hat die Journalistin Malene Gürgen schon 2018 in der taz veröffentlicht. Kurz gesagt: Man muss im Flieger einfach stehen bleiben, statt sich auf seinen Platz zu setzen. Dann kann das Flugzeug nicht abheben. Dagegen kann auch Polizei nichts ausrichten, denn hier gilt internationales Recht, dem zufolge sie keine Zwangsmaßnahmen anwenden darf. Man sollte erklären, dass man so lange stehen bleibt, bis die Person, die abgeschoben werden soll, das Flugzeug verlassen hat. Gelingt das, folgt in der Regel zwar Abschiebegewahrsam, aber das verschafft Zeit. Und die ist wichtig, um mit anwaltlicher Unterstützung Abschiebehindernisse vorzutragen. Natürlich kann das für den*die Stehenbleiber*in rechtliche Konsequenzen haben – welche, hängt vom Einzelfall ab. Und keine davon ist so gravierend wie die Abschiebung in den Tod.