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Kommunismus, die Alternative in Graz

Der Wahlerfolg der KPÖ bei den Gemeinderatswahlen sendet Signale über die Stadt hinaus, sagen Marlies Pratter und Max Zirngast

Interview: Hannah Eberle

Landschaftsbild Graz mit einem Plattenbau in der MItte und kleineren Wohnhäusern druherum
In Graz erreichte die KPÖ in allen Bezirken über 20 Prozent der Stimmen. Foto: ErWin / Flickr , CC BY-ND 2.0

In Graz ist die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) zur stärksten Kraft gewählt worden. Die rechtskonservative, bisher regierende ÖVP verliert knapp zwölf Prozent. Wie ist der Wahlerfolg zu erklären? Und was bedeutet diese Wahl für die österreichische Linke? Darüber sprach ak mit Journalist Max Zirngast, der für die KPÖ nun im Gemeinderat sitzt, und der Aktivistin und Journalistin Marlies Pratter.

Die KPÖ hat 8,5 Prozent mehr Stimmen und ist jetzt mit knapp 29 Prozent stärkste Kraft in der 300.000 Einwohner*innen großen Stadt. Wie erklärt ihr einen solchen Wahlerfolg?

Marlies Pratter: Die KPÖ ist schon lange stark in Graz. Sie verfolgt seit Jahrzehnten eine konsequente Sozialpolitik, die vor allem die Wohnpolitik in den Mittelpunkt rückt. Außerdem hat sich alles, was unter der konservativen Regierung schief gelaufen ist, jetzt noch einmal zusammengeballt. Graz ist Feinstaubhochburg, es gibt keine gescheite Verkehrspolitik und nichts in Richtung Verkehrswende. Im Gegenteil, es gibt weiter Flächenversiegelung, Bauboom und Projekte wie U-Bahnen und eine Stadtgondel. Dabei gibt es keine Nachfrage danach.

Max Zirngast: In Graz und in der Steiermark machen wir seit 30, 40 Jahren Politik im direkten Kontakt mit und orientiert an den konkreten Problemen der Bevölkerung. Wir tun, was wir sagen und machen keine großen Versprechungen, die wir nicht halten können. Das wird jetzt in Zukunft ganz wichtig sein, denn die ganz großen Würfe, quasi eine völlig andere Gesellschaft, werden auf kommunaler Ebene bei den bestehenden Kräfteverhältnissen nicht durchzusetzen sein: Das Budget (österr. Haushalt, Anm. der Redaktion) ist begrenzt und es gibt Kräfte, die sich gegen eine substantielle Veränderung wehren. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der KPÖ und anderen Parteien ist diese unspektakuläre, direkte Art, Politik mit den Menschen zu machen. Während die meisten anderen Parteien sich bei pompösen Events und Empfängen tummeln, macht Elke im Volkshaus ihre Sozialsprechstunden. (Elke Kahr mögliche, neue KPÖ-Bürgermeisterin, Anm. der Redaktion)

Porträts von Marlies und Max
Marlies Pratter (links) und Max Zirngast (rechts)

Marlies Pratter und Max Zirngast

Marlies Pratter ist engagiert beim Freien Radio Helsinki in Graz. Max Zirngast sitzt künftig für die KPÖ im Gemeinderat und arbeitet in der Bezirksleitung der KPÖ Graz.

Die Reaktionen in Österreich und Deutschland waren euphorisch und es wurde schon über Linksverschiebungen diskutiert …

Marlies: Von einem Linksruck würde ich nicht sprechen, aber eventuell sind da Tendenzen abzusehen. Graz ist immerhin die zweitgrößte Stadt in Österreich.

Max: Das Bedürfnis nach einer Politik links der Sozialdemokratie und der Grünen und einer Alternative zum System Kurz geht über Graz hinaus. Das sieht man allein an einer Umfrage, wie verlässlich auch immer, dass die KPÖ mittlerweile bundesweit bei 4 Prozent landen würde und über 40 Prozent der österreichischen Bevölkerung sich grundsätzlich vorstellen könnte, eine KPÖ wie in Graz zu wählen. Es gab über 150 Beitrittsanfragen außerhalb der Steiermark, vor allem aus Wien, wo die Sozialdemokratie noch immer eine starke Machtbasis hat, sich aber sukzessive nach rechts entwickelt.

Nennt mich pessimistisch, aber am gleichen Wochenende wurde in Oberösterreich vermutlich eine neue schwarz-blaue Koalition gewählt und trotz Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt und ÖVP Zentrale wirkt das System-Kurz stabil.

Max: Graz hat Symbolwirkung. Dort war die ÖVP schon vor Sebastian Kurz gefestigt. Und jetzt ist es die erste schwere Niederlage, seit Kurz die ÖVP übernommen hat. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum Graz in den Fokus der Bundes-ÖVP gerückt ist. Die äußerte sich den Wählerinnen und Wählern gegenüber herablassend. Das ist auch der Spin einiger Medien. Dort heißt es, die Wählerinnen und Wähler wüssten gar nicht, was sie da gewählt haben. Sie denken, sie hätten die lächelnde Frau Kahr gewählt, dahinter verberge sich aber angeblich die Fratze des Kommunismus.

Marlies: Wir müssen da unterscheiden. In Oberösterreich waren Landtagswahlen, hier eine Gemeinderatswahl. Dann gibt es auch Unterscheide zwischen Stadt und Land. In Oberösterreich wohnen Großbauern, das klassische Klientel der ÖVP. Aber es gibt auch einen Teil der ÖVP, der sich christlich-sozial ausrichtet, der eben nicht d’accord geht mit der Kurz-Linie. Beispielsweise haben sich Kirchenvertreter für eine Evakuierung von den griechischen Lagern eingesetzt.

Max: Der Grund, warum Kurz so fest im Sattel sitzt, ist, dass es keine substanzielle Alternative gibt. In Graz war die KPÖ eine solche Alternative. Selbst in einigen Villenvierteln hatte die KPÖ über 20 Prozent und sicherlich nicht nur, weil wir die Protestpartei sind. Auch diese Leute sind genervt von der Stadtentwicklung und der Zerstörung von Grünfläche. Klar ist so ein Ergebnis nicht einfach auf Bundesebene reproduzierbar, aber es zeigt, dass es möglich ist, eine Politik zu machen, die sich an den Interessen der Menschen orientiert.

Das System Kurz

Am 6. Oktober berichtet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Sebastian Kurz soll 2016 als Außenminister gemeinsam mit anderen ÖVP-Funktionären positive Umfragewerte aus Steuergeldern bezahlt haben. Chatprotokolle lassen darauf schließen, dass gezielte Berichterstattung erwünscht wurde, um Kurz an die Parteispitze zu bringen. Am 8. Oktober, ringt sich der grüne Koalitionspartner der ÖVP-geführten Koalition zu der Aussage durch, dass eine Regierung unter Kanzler Kurz nicht mehr tragbar sei. Und erst am 9. Oktober legt er sein Amt nieder. Damit tritt Kurz schon zum zweiten Mal als Kanzler ab. Ein Comeback ist nicht ausgeschlossen: Kurz bleibt, Stand jetzt, bei vollem Rückhalt der Partei ÖVP-Fraktionschef.

Es gab verschiedene Parteigründungsversuche; in Wien 2015 mit »Wien anders« und 2016 bundesweit mit »Aufbruch“. Beide scheiterten. Jetzt gibt es zwar »links« in Wien, aber der Versuch darüber hinaus mit »KPÖplus« einen linken Aufbruch voran zu treiben hat bisher noch nicht gefruchtet, oder?

Max: Es braucht Leute, die so etwas aufbauen. Elke Kahr und Ernst Kaltenegger und andere sind seit 30 Jahren von früh bis spät, sieben Tage die Woche am arbeiten und sind überall, wenn sie jemand anruft. Elke ist da, wenn du eine Wohnung ausräumen musst oder wenn es darum geht, jemanden zur Bank zu begleiten, um ein Formular auszufüllen. Man kann aus Graz lernen, dass die KPÖ nicht von heute auf morgen auf 29 Prozent gekommen ist. Salzburg hat einen Gemeinderat von KPÖplus, eine gemeinsame Liste von KPÖ und den Jungen Linken (unabhängige, linke, parteiförmige Jugendorganisiation, Anm. der Redaktion), in Linz gibt es jetzt zwei Gemeinderät*innen, in Innsbruck zumindest die Alternative Liste. Es gibt auf kommunalpolitischer Ebene also auch Erfolge. Wenn diese Inseln des Widerstands größer werden und sich gegenseitig stärken, dann ist auch auf Bundesebene einiges möglich. Kurz vor der Wahl solche Bündnisse zusammen zu zimmern, die keine klare Linie haben und auf stetiger Alltagsarbeit beruhen, funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad.

Historisch betrachtet sind die Bewegungen dafür verantwortlich, dass sich was bewegt und nicht so sehr die Parteien in den Parlamenten.

Marlies

Und was ist mit Außerparlamentarismus?

Max: Da tut sich ja auch was. Es gab große Mobilisierungen in feministischen und antirassistischen Bewegungen, auch klimapolitisch, zum Beispiel jetzt mit der Baustellenbesetzung in Lobau (Wien). Soziale Bewegungen sind teilweise sehr stark, mobilisieren schnell, aber für die Kontinuität sorgt nur ein kleiner Kern von Leuten. Dagegen spricht ja auch nichts. Soziale Bewegungen in einen Wahlerfolg zu übersetzen, funktioniert jedoch weniger. Das ist ein wesentlicher Fehler der Grünen auf Bundesebene. Sie haben eigentlich ein gesellschaftliches Mobilisierungspotenzial, aber seit sie in der Regierung sind, haben sie eher demobilisiert. Das ist eben die Falle bürgerlicher Politik und man muss aufpassen, nicht reinzufallen.

Marlies: Historisch betrachtet sind die Bewegungen dafür verantwortlich, dass sich was bewegt und nicht so sehr die Parteien in den Parlamenten. Mit einer KPÖ an der Spitze hat man vielleicht einen besseren Ansprechpartner, und die KPÖ kann das nutzen, wenn sie sich darauf bezieht.

Max: Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen politischer und gesellschaftlicher Macht. Die Macht des Kapitals ist nicht im Gemeinderat oder im Parlament. Wir können jetzt natürlich mehr machen im Stadtsenat, aber alleine haben wir keine Mehrheit, und die Rahmenbedingungen sind beschränkt. Und man darf nicht unterschätzen, dass das, wofür Kurz steht, zu Resignation führen kann. Aber wenn das einmal gebrochen ist, wie jetzt hier in Graz, dann motiviert das. Und davor haben die Herrschenden Angst.

Wie geht es denn jetzt weiter?

Max: Es ist durchaus realistisch, dass Elke in einer Zusammenarbeit mit Grünen und SPÖ zur Bürgermeisterin gewählt wird. Dann geht es gleich darum, ein Budget für das nächste Jahr zu erstellen. Die Kommunalwahl und die Budgetsitzung waren so angesetzt worden, dass das Budget bereits auf die ÖVP zugeschnitten war und in den nächsten zwei Monaten kann kein neues aufgestellt werden. Der große Wurf kann es also nicht werden, aber wir wollen dann größere Schritte setzen, wenn das alles funktioniert, wie wir uns das jetzt vorstellen.

Hannah Eberle

ist Aktivistin und Sozialwissenschaftlerin in Wien. Bis 2022 war sie Geschäftsführerin bei ak.