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Grünes Label für Atomwaffen

Kernenergie sei für die Stromversorgung unverzichtbar, argumentiert Frankreich – das ist nur vorgeschoben

Von Angelika Claußen

Der französische Präsident bringt es auf den Punkt: »Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung der Technologie – und ohne die militärische Nutzung gibt es auch keine zivile Atomenergie.« Foto: Jean-Michel Roche / Wikimedia, CC BY-SA 3.0

In den vergangenen Jahren hat sich der französische Präsident Emmanuel Macron zusehends deutlicher als Verfechter der Atomkraft positioniert. Geschichtlich gesehen ist Frankreichs unabhängige Entwicklung der Atomtechnologie für Atomwaffen und Energieerzeugung eine wichtige Quelle nationalen Stolzes. Seit den 1990er Jahren ist der Atomtrend jedoch rückläufig – eine Folge der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Jährliche Berichte des internationalen Beraters für Energie- und Atompolitik Mycle Schneider zeigen das. Dennoch wirbt Frankreich unermüdlich für Investitionen in diese Technologie.

Zum Jahreswechsel hat ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission Investitionen in Atomenergie und Gas als nachhaltig eingestuft. Es geht um Milliarden-Fördertöpfe. Macron machte sich dafür stark, Atomenergie ein »grünes Label« zu verschaffen. Welche Interessen tatsächlich hinter der Atomenergie stehen, zeigt ein Zitat aus der Rede des Präsidenten bei seinem Besuch in der Atomschmiede Le Creusot im Jahr 2020: »Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung der Technologie – und ohne die militärische Nutzung gibt es auch keine zivile Atomenergie.« 

Im Klartext: Ohne gut ausgebildete Ingenieur*innen und eine Atomwirtschaft auf dem neuesten technischen Stand kann Frankreich sein Atomwaffenarsenal nicht ausbauen und modernisieren. Das gilt für alle neun Atomwaffenstaaten, die derzeit aufrüsten. Russland und die USA schaffen neue Trägersysteme an, die ihre Atombomben schneller und präziser ans Ziel bringen, so dass dem Gegner keine Abwehrmöglichkeiten bleiben (Hyperschallraketen). Ein neues atomares Wettrüsten hat begonnen. 

Der US-Thinktank Atlantic Council beschreibt die Notwendigkeit der zivilen Nutzung der Atomenergie für die nationale Sicherheitspolitik offen: »Die zivile US-amerikanische Atomindustrie bildet ein strategisches Anlagegut von lebenswichtiger Bedeutung für die nationale Sicherheit der USA.« Ähnliches findet man in den Reden der jeweiligen Präsidenten der Atomwaffenstaaten. 

Stromkunden subventionieren mit dem »Klimaretter Atomkraft« militärische Anwendungen.

Auch Frankreich will an dieser Entwicklung teilhaben, die in anderen Atomwaffenstaaten längst begonnen hat. Macron hat angekündigt, eine Milliarde Euro in die Forschung und den Bau von Small Modular Reactors (SMR) zu investieren. SMR-Reaktoren sind kleine Atomreaktoren, die vor allem als Antrieb von U-Booten und damit der militärischen Nutzung an entlegenen Kriegsschauplätzen dienen sollen. Macron war sehr verärgert, als Australien den Auftrag für französische U-Boote kündigte und stattdessen Technologie von den USA und Großbritannien kaufte. Die örtlich flexiblen U-Boot-basierten atomaren Waffensysteme besitzen für alle Atomwaffenstaaten größte strategische Bedeutung. Gleichzeitig untermauert der Besitz dieser Technologie den Weltmachtstatus. Frankreich und die weiteren »offiziellen« Atomwaffenstaaten USA, Russland, China und Großbritannien werden darauf nicht verzichten. 

Am 12. Januar 2022 hat Emmanual Macron die französische EU-Ratspräsidentschaft in Brest eröffnet – ausgerechnet dort, wo die seegestützten französischen Atomwaffen stationiert sind: eine Demonstration der Vormachtstellung Frankreichs. Schon bei der erwähnten Rede in Le Creusot hatte Macron die militärischen Ambitionen des Landes bekräftigt: »Die Atomenergie wird der Eckpfeiler unserer strategischen Autonomie bleiben. Es geht um alle Teile der Abschreckung, um den Antrieb unserer Atom-U-Boote, U-Boote für den Abschuss ballistischer Raketen. Und um den Antrieb unserer nuklearen Flugzeugträger.« Andere europäische Länder positionieren sich eindeutig gegen Atomenergie und Atomwaffen. Mit dem Atomwaffenverbotsvertrag existiert seit Januar letzten Jahres der erste multilaterale UN-Vertrag zum Verbot dieser Massenvernichtungswaffen. 59 Staaten sind dem Abkommen bereits beigetreten, darunter Österreich, Irland und Malta. Deutschland ist bislang nicht dabei, weil der Nato-Bündnispartner wegen des Konzepts der Nuklearen Teilhabe ein Land ist, in dem die USA Atombomben stationiert haben. Die Vorgängerregierung verweigerte sogar den Beobachterstatus. Mit der Ampelkoalition hat sich das geändert. Deutschland wird mit Norwegen, Schweden, Finnland und der Schweiz an der ersten Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag im März 2022 in Wien als Beobachter teilnehmen. 

Kritiker*innen werten das völkerrechtliche Verbot als Symbolpolitik. Befürworter*innen halten dagegen: Ein Atomkrieg würde mit dem abrupten Absinken der globalen Durchschnittstemperatur drastische Klimafolgen für die gesamte Menschheit nach sich ziehen und hätte extreme Hungersnöte auf der Nord- und der Südhalbkugel zur Folge. Zudem sind die finanziellen Kosten für den zivil-militärischen Atomkomplex immens. Das Atlantic Council schätzt, dass der zivile Atomkomplex die USA jährlich mindestens 42,4 Milliarden US-Dollar kostet. Die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) gibt an, dass alle Atomwaffenstaaten zusammen über 100 Milliarden US-Dollar jährlich in ihre Arsenale investieren. 

Letztlich versteckt Frankreich hinter der geplanten Modernisierung der französischen Atomkraft für angeblich billigeren Strom die Agenda seines Atomwaffenprogramms. Die exorbitanten Kosten seiner zivil-militärischen Atomindustrie bürdet der Staat seit Jahren den französischen Steuerzahler*innen auf: Die Kosten für den Bau des Druckwasserreaktors in Flamanville betragen beispielsweise allein 19,4 Milliarden Euro. Stromkund*innen und Investor*innen subventionieren mit den »Klimaretter Atomkraft« damit auch militärische Anwendungen. 

Angelika Claußen

ist Co-Vorsitzende der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW).

Eine erste Fassung dieses Textes erschien auf der Website des IPG-Journals.