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|ak 691 | Lesen |Rezensionen: aufgeblättert

Leidarbeit

Aufgeblättert: »Wortergreifung, Worterstarrung, Wortverlust« von Slave Cubela

Von Stefan Dietl

Greift man zu einer gängigen Darstellung der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, wird einem diese meist als Organisationsgeschichte präsentiert. Die Entstehung und Entwicklung verschiedener Parteien und Gewerkschaften werden anhand von Kongressen, Reden und Schriften nachvollzogen, innerorganisatorische Debatten rekonstruiert und entscheidende Kämpfe, Erfolge und Niederlagen analysiert. Slave Cubela verlässt diese ausgetretenen Pfade. Ihm gelingt mit seinem Konzept der industriellen Leidarbeit ein neuer Zugang zur Geschichte der moderneren Arbeiter*innenklasse, in dem der Blick »von unten«, das erlebte Leid der Lohnarbeit, sowie dessen sprachliche Verarbeitung im Zentrum stehen. Durch diese andere politisch-historische Perspektive erscheinen bisher verschüttete, randständige Erkenntnisse und soziale Dynamiken in einem neuen Licht; es eröffnet sich »eine Welt der versteckten Arbeiter-Eigen-Sinnigkeiten und informellen Arbeiterkämpfe« jenseits der großen Arbeiter*innenparteien und -organisationen. Dabei lässt der Autor die Betroffenen immer wiederzu Wort kommen und ihre Erfahrungen schildern. Wer sich mit dem im Buch beschriebenen »Wortverlust« und der Lähmung der Arbeiter*innenklasse im 21. Jahrhundert nicht abfinden will und sich, wie der Autor in seinem abschließenden Kapitel, auf die Suche machen möchte nach neuen Ansätzen zur Überwindung der bestehenden Verhältnisse und des Leides der Lohnarbeit, kommt um Cubelas beeindruckende Studie nicht herum.

Slave Cubela: Wortergreifung, Worterstarrung, Wortverlust. Industrielle Leidarbeit und die Geschichte der modernen Arbeiterklassen. Westfälisches Dampfboot, Münster 2023. 424 Seiten, 48 EUR.