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Mit der falschen Generation angelegt

Ein Jahr nach dem Putsch in Myanmar regt sich immer noch vielfältiger Widerstand gegen die Junta

Von Helene Buchholz

Demo der FGWM 2021 in Yangon/Myanmar
Seit einem Jahr protestieren die Menschen in Myanmar gegen die Machtübernahme der Militärs, wie hier einige Wochen nach dem Coup in Yangon. Foto: Federation of General Workers Myanmar (FGWM)

Im Januar 2021, als in Myanmar das Militär erneut die Macht übernimmt, ist Thwin Htet gerade dabei, ihre Masterarbeit zu schreiben. Sie will Ingenieurin werden. Während Myanmar seit dem Ende der Kolonialzeit die meiste Zeit von einer Militärjunta regiert wurde, hat Thwin Htet in den vergangenen zehn Jahren erlebt, wie das Land sich öffnete. Zwar hatte das Militär nach wie vor viel Macht, aber es gab nun eine mehrheitlich zivile Regierung unter Aung San Suu Kyi, die bei aller Kritik aus dem Westen noch immer eine zentrale Figur für die Freiheitsbewegung in dem südostasiatischen Land ist.

Ein freies Land ist Myanmar zwar auch in den vergangenen Jahren nicht geworden – und vor allem für ethnische Minderheiten wie die Rohingya blieb das Leben weiterhin gefährlich. Und doch hatte sich einiges getan: Es bildeten sich Gewerkschaften in den zahlreichen Nähfabriken, die gerade in den Ballungszentren aus dem Boden sprossen, Frauen konnten sich freier auf der Straße bewegen und das Internet wurde nicht mehr vom Militär kontrolliert. Fast Jede*r hatte Zugang zu mobilen Daten und der Preis für ein Smartphone sank nach 2011 rapide, nachdem das Militär auf Druck der Demokratiebewegung erste Reformen eingeleitet hatte.

Aber dann gab es im November 2020 Wahlen und die Partei von Aung San Suu Kyi, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), gewann mehr Stimmen als erwartet. Das Militär, das sich bis dahin immer 25% der Sitze im Parlament reserviert hatte, reagierte etwas mehr als zwei Monate später mit einem Putsch. Wieder übernahm es die Macht und wieder sperrte es die Politiker*innen der zivilen Regierung weg. Aung San Suu Kyi, die schon 15 Jahre ihres Lebens in Hausarrest verbracht hatte, wurde nun wieder zu Hause eingesperrt. Angeblich sei bei der Wahl betrogen worden, hieß es von der neuen Militärregierung.

Feministische Kämpfe

Aber nun passierte, womit kaum jemand gerechnet hatte: Massen gingen auf die Straße. Die Bevölkerung von Myanmar wollte diesen Putsch nicht hinnehmen. Es gab riesige Demonstrationen in allen größeren Städten. Vor allem junge Menschen, die größtenteils während der Öffnung des Landes aufgewachsen waren, wollten die neue, alte Diktatur nicht akzeptieren. »You messed with the wrong generation« war auf einigen Bannern und Plakaten zu lesen.

Aber nicht nur junge Leute, sondern auch viele Frauen haben in den vergangenen zehn Jahren ihre Stimme gefunden. Sie haben erlebt, welche Möglichkeiten und welche Macht sie haben könnten, sagt Kant Kaw, die seit 15 Jahren in den USA lebt. Viele ihrer Freund*innen und Verwandten sind noch in Myanmar. Mit dem weltweiten Netzwerk Sisters2Sisters will sie darauf aufmerksam machen, wie das Militär sexualisierte Gewalt systematisch als Kriegswaffe einsetzt.

Gegründet wurde die Kampagne, nachdem Shwe Yamin Htet aus dem Gefängnis entlassen worden war. Die 17-Jährige war gemeinsam mit ihrer Mutter bei einem Protestmarsch verhaftet und nur freigelassen worden, weil sie minderjährig ist. Auf Facebook berichtete sie, wie eine Zellengenossin in Gewahrsam Opfer von sexualisierter Gewalt wurde. Die Frau hatte angegeben, dass sie mit einem muslimischen Mann – also einem Angehörigen einer ethnischen Minderheit – zusammen sei. Allein das sei für die Militärs Grund genug gewesen, sie zu foltern. Shwe Yamin Htet versteckt sich seitdem.

Auch wenn sie sich nicht explizit als Feminist*innen bezeichnen, wüssten viele Frauen, dass das Leben unter der Junta vor allem für sie gefährlich ist.

Auch Thwin Htet ist Teil von Sisters2Sisters. Sie lebt nach wie vor in Myanmar und bezeichnet sich selbst als Feministin. Sie sagt, der Kampf gegen die Junta ist auch ein feministischer Kampf. Denn die Junta steht für gewaltvolle, patriarchale Strukturen. Frauen sind in den Augen der Militärs weniger wert als Männer und haben traditionelle Rollen zu erfüllen. Auch für Trans-Personen ist das Leben unter der Diktatur gefährlich. Sie werden verfolgt, beleidigt und gedemütigt, Trans-Frauen werden in Männergefängnisse gesteckt. Und auch wenn viele sich nicht explizit als Feminist*innen bezeichnen, so wüssten auch Frauen wie Thwin Htets Schwester und ihre Mutter, dass das Leben unter der Junta vor allem für sie gefährlich ist. Auf die Straße geht Thwin Htet kaum noch, schon gar nicht zu Protestaktionen. Sie versucht vor allem Online gegen die Junta zu kämpfen. Alles andere sei zu gefährlich, das könne sie ihrer Mutter nicht antun.

Kein Geld für die Junta

Thwin Htet erinnert sich noch genau an den 28. Februar 2021: Da war sie auf einer der großen Demonstrationen in Yangon, vier Wochen nach dem Putsch, 19 Tage, nachdem die erste Demonstrantin vom Militär erschossen worden war.

Plötzlich brach Panik aus, berichtet sie. Es sei das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie Schüsse gehört habe. Dann sei sie nur noch gerannt. Sie wusste, wenn sie nicht weiter rennt, könnte sie sterben. Also rannte sie und versteckte sich schließlich, bis sich die Situation wieder beruhigt hatte. Inzwischen waren 18 Menschen bei Protesten vom Militär getötet worden. Thwin Htet hat es nach Hause geschafft.

Seitdem geht sie nur noch raus, wenn es sein muss. Ihr Handy lässt sie dabei zu Hause und nimmt ein anderes mit, ein »sauberes«, denn es gibt zahlreiche Checkpoints, an denen das Militär die Handys der Passant*innen kontrolliert. Sie versucht, diese Checkpoints so gut es geht zu meiden.

Ihre Masterarbeit hat Thwin Htet bis heute nicht abgegeben. Sie und ihre Kommiliton*innen wollen keinen Abschluss »von der Junta«. Sie streiken, so wie auch zahlreiche andere Arbeiter*innen im Land streiken oder gestreikt haben: Näher*innen, Busfahrer*innen, Ärzt*innen und auch Regierungsangestellte haben im vergangenen Jahr ihre Arbeit bei mehreren Generalstreiks niedergelegt. Viele zahlen ihre Stromrechnungen und Steuern nicht mehr, denn sie wollen der Junta kein Geld geben. Geld, mit dem diese am Ende nur ihre grausamen Angriffe auf die Bevölkerung in Myanmar finanziert.

Mit der so genannten »Blood Money Campaign« versuchen die Initiator*innen aus Myanmar darauf aufmerksam zu machen, dass internationale Unternehmen wie Chevron (USA), TotalEnergies (Frankreich), Posco (Südkorea) oder Petronas (Malaysia) mit ihren Öl- und Gasgeschäften eine der wichtigsten Finanzquellen für das Militär sind. Aber auch Bekleidungsfirmen wie Adidas stehen in der Kritik, da sie nach wie vor in Myanmar produzieren lassen und damit die Junta unterstützen.

Am 1. Februar jährt sich der Putsch nun zum ersten Mal. Ursprünglich hatte die Junta den darauffolgenden Ausnahmezustand für ein Jahr angekündigt und Neuwahlen in Aussicht gestellt. Aber ein Ende des Ausnahmezustands ist nicht in Sicht. Stattdessen sind die Prozesse gegen Politiker*innen der zivilen Regierung in vollem Gange und nach und nach werden sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch Journalist*innen füllen die Gefängnisse.

Kant Kaw berichtet von einem Freund ihrer Familie, der Teil der zivilen Regierung war. Er wurde nach dem Putsch festgenommen. Da das Militär in der Regel auch gegen die Familien der von ihnen ausgemachten Feinde vorgeht, hat Kant Kaw gemeinsam mit Freund*innen ein Safe-House für seine Familie organisiert und Spenden für die Finanzierung gesammelt. Die Angehörigen seien jetzt in Sicherheit, müssten sich aber verstecken, berichtet sie. Von dem Freund selbst habe nie wieder jemand etwas gehört.

Nadelstiche gegen das Regime 

Solche und ähnliche Geschichten gibt es Tausende. Gewalt, Übergriffe, Verhaftungen sind Alltag geworden in Myanmar. Aber die weltweite Aufmerksamkeit hat abgenommen. Dabei gibt es jeden Tag Berichte darüber, dass ein Dorf niedergebrannt wurde, Menschen gefoltert oder getötet wurden. Erst am 24. Dezember haben Soldaten ein Dorf niedergebrannt, die Bewohner*innen erschossen und angezündet.

Einige Wochen zuvor wurde ein Bild im Internet veröffentlicht, bei dem die Umrisse von Menschen zu sehen waren, die sich im Sterben vor Schmerz gewunden hatten. Ihre Körper bestanden nur noch aus Asche. Sie sollen bei lebendigem Leib und mit gefesselten Händen verbrannt sein.

Während das Militär die Proteste in der ersten Woche nach dem Putsch noch gewähren ließ, geht die Junta mittlerweile äußerst brutal gegen Protestierende und Aktivist*innen vor. Seit Beginn der Proteste sind laut der NGO »The Assistance Association for Political Prisoners (Burma)« knapp 1.500 Menschen getötet und mehr als 8.000 inhaftiert worden. Zwar machte die Junta im Herbst damit Schlagzeilen, dass sie 5.000 politische Gefangene freigelassen habe – viele von ihnen sind mittlerweile jedoch wieder verhaftet worden. Berichte darüber sind in den Medien kaum zu finden.

Große Demonstrationen gibt es nicht mehr. Stattdessen werden immer wieder Flashmobs organisiert: Plötzlich finden sich ein paar Dutzend Menschen auf der Straße zusammen, packen Banner aus und rennen – Protestslogans rufend – durch die Straße, bevor sie genauso plötzlich wieder verschwinden. Manchmal erwischt sie das Militär, manchmal nicht. Ein Video von Anfang Dezember zeigt, wie ein großer, schwarzer, militärischer Geländewagen in eine solche Menge hineinrast.

Ansonsten hat es sich etabliert, dass Menschen zu Hause am Fenster auf Töpfe und Pfannen schlagen, um damit lautstark ihren Protest auszudrücken. Denn so grausam das Militär vorgeht – der Protest mag sich verändern, versiegen tut er nicht. Einmal haben Frauen ihre traditionellen Gewänder, ihre Sarongs, quer über die Straße gespannt. Denn die männlichen Militärs wollen Frauenkleidung nicht berühren. So mussten die Soldaten sich überlegen, ob sie diese Straße meiden oder ob sie sich »demütigen« und durch die großen Tücher hindurchkämpfen.

Solche und ähnliche kleine Nadelstiche gibt es immer wieder. Aber die Junta denkt nicht daran aufzugeben. Und so sind inzwischen viele Menschen nach Thailand geflohen. In der Grenzstadt Mae Sot leben zahlreiche Geflüchtete in einem viel zu kleinen Lager. Andere schließen sich dem bewaffneten Widerstand an: Die People Defense Forces (PDF) finden auch bei jüngeren Menschen immer mehr Zulauf. Denn niemand will dem Militär die Macht überlassen.

Und so versuchen alle auf ihre Weise, der Junta in Myanmar die Stirn zu bieten: einige Online, andere im bewaffneten Kampf, einige mit Flashmobs, andere mit Töpfen und Pfannen. Weltweite Kampagnen werden geplant, um die Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit wachzuhalten. Manche kämpfen innerhalb des Landes, andere von außerhalb. Der Widerstand ist groß. Aber das Militär hat einen langen Atem.

Helene Buchholz

arbeitet eigentlich beim Radio. In ihrer Freizeit reist sie gerne und ist politisch aktiv. Hin und wieder schreibt sie Texte für kleine linke Zeitungen.