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Wolfsjagd in Frankreich

Von Nick Brauns

Junge Männer zeigen den Wolfsgruss und andere schwingen türkische Flaggen
Mit Wolfsgruß und Flagge: Türkische Faschisten, hier in Wien. Foto: Presse Service Wien

Das französische Innenministerium erklärte am 4. November das Verbot der türkischen faschistischen Grauen Wölfe. Unmittelbarer Anlass waren armenierfeindliche Ausschreitungen von Anhänger*innen der Grauen Wölfe in dem aufgrund seiner vielen armenischen Bewohner*innen als »Klein Armenien« bekannten Vorort von Lyon, Décines, wo auch ein Mahnmal für die Opfer des türkischen Genozids an den Armenier*innen 1915/16 geschändet wurde. Frankreich ist die Heimat einer rund eine halbe Million Köpfe zählenden armenischen Diaspora von Nachfahren der Überlebenden des Völkermordes. Ein weiterer Grund des Graue-Wölfe-Verbots ist wohl im geopolitischen Kollisionskurs zu suchen, auf dem sich Frankreich und die Türkei im Gasstreit im östlichen Mittelmeerraum, in Libyen und nun auch im Kaukasus bewegen.

Ob das Verbot mehr als bloße Symbolpolitik in Richtung Ankara ist, wird sich zeigen. Im Verbotsbescheid heißt es, die als Graue Wölfe bezeichnete Gruppierung sei von nun an aufgelöst. Doch einfach die Grauen Wölfe zu verbieten, ohne zu benennen, welche Parteien und Vereine konkret gemeint sind, ist ähnlich abstrakt, wie »die Nazis« verbieten zu wollen. Denn eine Gruppe, die sich selbst Graue Wölfe nennt, gibt es nicht. Unter dieser auf einen turanischen Mythos zurückgehenden Bezeichnung wurden zuerst die für zahlreiche Morde an Linken, Alevit*innen und Kurd*innen berüchtigten Paramilitärs der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) in der Türkei in den 1970er Jahren bekannt. Seitdem dient der Name als Oberbegriff für türkische Ultranationalisten und Faschisten. Die MHP ist heute strategischer Allianzpartner von Erdoğans Regierungspartei AKP ebenso wie die militante Große Einheitspartei BBP, während die MHP-Abspaltung Gute Partei (İyi Parti) zum Oppositionslager zählt.

In Deutschland wurden die Grauen Wölfe Ende der 1970er Jahre in Folge einer Abmachung zwischen dem CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß und dem MHP-Führer Alparslan Türkeş aktiv. Denn die türkischen Faschisten waren aus Sicht der deutschen Rechten ein willkommenes Gegengewicht gegenüber linken und klassenkämpferischen Strömungen unter türkeistämmigen Arbeitsmigrant*innen. Der Verfassungsschutz half aktiv bei der Etablierung der Türkischen Föderation. Diesem MHP-Auslandsverband mit weit über 10.000 Mitgliedern gehören heute zahlreiche Vereine, Moscheen und Fußballvereine an. Aus der Tradition der Grauen Wölfe kommt in Deutschland auch der Islamverband ATİB, der innerhalb des Zentralrates der Muslime den größten Mitgliedsverband bildet und einen Vizevorsitzenden stellt. Das hindert unverständlicherweise weder die Bundesregierung noch Teile der Linkspartei daran, im Zentralrat einen Partner für antirassistische Manifestationen zu sehen.

Neben den Verbänden gibt es eine vor allem über soziale Medien verbundene gewaltbereite Jugendszene der Grauen Wölfe und rockerähnliche Gruppierungen. Wie die Bundesregierung im Juli auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt hatte, nutzt der türkische Geheimdienst die Grauen Wölfe, »um nachrichtendienstliche Belange zu fördern«. Es ist also anzunehmen, dass bei den armenierfeindlichen Ausschreitungen in Frankreich – ebenso wie bei tagelangen Angriffen jugendlicher türkischer Faschist*innen auf linke Zentren im Wiener Stadtteil Favoriten im Juli – Ankara die Hand im Spiel hat.

Von türkeistämmigen Antifaschist*innen in Deutschland wird seit dem ersten hierzulande von den Grauen Wölfen begangenen Mord am türkischen Kommunisten Celalettin Kesim im Januar 1980 in Berlin-Kreuzberg ein Verbot der Grauen Wölfe gefordert. Der Forderung nach einem Verbot dieser faschistischen Bewegung, die in Deutschland über schätzungsweise 18.000 Anhänger*innen hat, haben sich nach der Pariser Entscheidung auch Politiker*innen von Grünen und Linkspartei angeschlossen.

Noch wichtiger als die angesichts des Kuschelkurses der Bundesregierung gegenüber Ankara wenig aussichtsreiche Verbotsforderung wäre es allerdings, wenn antifaschistische Linke in Deutschland ihre türkischen und kurdischen Genoss*innen nicht länger im Stich lassen und mit diesen angesichts der Bedrohungen durch die Grauen Wölfe gemeinsam auf die Straße gingen. Faşizme karşı omuz omuza! Schulter an Schulter gegen den Faschismus!

Nick Brauns

Nick Brauns ist Journalist und Historiker. Er hat mehrere Bücher zur Geschichte der Arbeiterbewegung sowie der kurdischen Bewegung und der Linken in der Türkei veröffentlicht.